Becks Scheitern am Schwielowsee: Ins letzte Gefecht
Die Klausurtagung der SPD-Spitze: Die geplante Krönungsmesse für Steinmeier gerät mit dem Rücktritt von Parteichef Kurt Beck zum Desaster.
Wie groß die Verwirrung in der SPD ist, das zeigt besonders gut eine Nebenfigur. Am Rand der SPD-Vorstandsklausur im idyllischen Werder stellte sich am Sonntagvormittag Klaas Hübner vor eine Fernsehkamera. Stolz verkündete der Sprecher des rechten Seeheimer Kreises vor der Kulisse des Schwielowsees, was die Botschaft dieses Tages sein sollte: "Es ist ein guter Tag für die SPD und ein guter Tag für Deutschland." Hübner meinte die Kür von Frank-Walter Steinmeier zum Kanzlerkandidaten. Nun hätten die Sozialdemokraten "Klarheit gewonnen", jubilierte Hübner.
Aber da war der Bundestagsabgeordnete schon nicht mehr auf dem neuesten Stand. Vollkommen überraschend erklärte kurz darauf Kurt Beck seinen Rücktritt vom Amt des Parteivorsitzenden. Franz Müntefering beerbt seinen glücklosen Nachfolger. Da war es vorbei mit aller Klarheit. Die Krönungsmesse war zum Desaster geraten.
Eigentlich hatten sich die SPD-Granden die Inszenierung so schön vorgestellt: Ein Jahr vor der Bundestagswahl beendet ein vorausschauend handelnder Kurt Beck alle Spekulationen und überlässt dem beliebten Außenminister die Kanzlerkandidatur. Wie eine Entscheidung aus freien Stücken hatte es aussehen sollen, einvernehmlich ausgehandelt zwischen Steinmeier und Beck. Doch dann ging alles schief.
Selbst die Parteispitze war nicht in den Deal eingeweiht. Fraktionschef Peter Struck hatte in den Tagen zuvor erklärt, auf der Klausur werde keine Entscheidung fallen. Zwischendurch verließ Struck sogar das Tagungshotel "Ressort Schwielowsee" - und musste eilig wieder zurückkehren, als sich die Ereignisse überschlugen.
Was war schiefgelaufen? Steinmeier, Beck und Generalsekretär Hubertus Heil hatten sich am Morgen in ein Landhaus zurückgezogen. Die Tagungsregie geriet ins Stocken. Nach dem Sechs-Augen-Gespräch betrat ein wütend dreinblickender Kurt Beck das Tagungshotel durch den Hintereingang. Zehn Minuten später verließ er es wortlos wieder. Dazwischen lag die Ankündigung, er werde den Parteivorsitz niederlegen.
Laut Sachsen-Anhalts Finanzminister Jens Bullerjahn, der an der Sitzung teilnahm, spielte sich Folgendes ab: Beck hob an zu reden, sprach von Enttäuschungen und seinem Rücktritt. Die Teilnehmer traf Becks Ankündigung unvorbereitet. Nach drei, vier Minuten stand er auf, sagte: "Ich gehe" - und verließ den Raum.
Offenbar hatte ein Bericht in der neuen Ausgabe des Spiegels seine Wut befeuert. Darin wird Steinmeier als selbstverständlicher Kanzlerkandidat präsentiert und ihm in den Mund gelegt, er habe nicht bis Weihnachten auf eine Entscheidung warten können. Bis dahin könne die Autorität in der Parteispitze so weit zerfallen sein, dass eine geordnete Übergabe unmöglich werde.
Das dabei entstehende Bild muss Beck zuwider sein: Steinmeier erscheint als zupackender Retter in der Not. Beck hingegen muss die Rolle des Verhinderers geben, den der Held zum Wohle der Partei aus dem Weg räumt. Das hatte sich Beck anders vorgestellt: Der Nochparteichef hatte sich eine geordnete Übergabe ohne Gesichtsverlust gewünscht. Und dann dies. Später erklärte Fraktionschef Struck, Beck habe sich erst am Morgen zum Rücktritt entschieden.
Am späten Nachmittag ließ Beck eine persönliche Erklärung veröffentlichen. Wut und Enttäuschung klingen darin durch. Vor zwei Wochen habe er Steinmeier gebeten, die Spitzenkandidatur zu übernehmen. Am Sonntag habe er die Entscheidung bekannt geben wollen.
Doch "aufgrund gezielter Falschinformationen haben die Medien einen völlig anderen Ablauf meiner Entscheidung dargestellt. Das war und ist darauf angelegt, dem Vorsitzenden keinen Handlungs- und Entscheidungsspielraum zu belassen. Vor diesem Hintergrund sehe ich keine Möglichkeit mehr, das Amt des Parteivorsitzenden mit der notwendigen Autorität auszuüben."
Zum Abschluss dieser missratenen Klausur stellten sich Steinmeier und Generalsekretär Hubertus Heil unter einem wolkenverhangenen Himmel der versammelten Presse. Steinmeier sprach davon, dass die Partei sich jetzt "unterhake" und er bei der Bundestagswahl "nicht auf Platz" setze.
Überraschend verkündete Steinmeier, "seit vielen Monaten" habe festgestanden, dass er die Kanzlerkandidatur übernehme. Er selbst wolle die Partei bis zu einem Sonderparteitag führen, habe aber bereits Franz Müntefering dem Parteivorstand als neuen Vorsitzenden vorgeschlagen.
Der alte und neue Parteichef verkörpere eine "lebendige, kämpferische Sozialdemokratie". "Kurt Beck", sagte Steinmeier mit verschlossener Miene, "hat die Partei verstanden." Es sollte wie Lob klingen. Es ließ sich auch als Eingeständnis verstehen, dass der Kanzlerkandidat sie nicht versteht.
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