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Bayreuther FestspieleWagner goes Musical

Matthias Davids eröffnet mit seiner Inszenierung der „Meistersinger“ die Bayreuther Festspiele. Er überrascht mit einer knallbunten Komödie.

Kein Musikantenstadl, sondern „Die Meister­singer von Nürnberg“ von Wagner Foto: Enrico Nawrath

Endlich einmal eine Ouvertüre ohne Bebilderung! Aber als Daniele Gatti im verdeckten Ochestergraben den Taktstock hebt zum etwas mulmig intonierten C-Dur-Akkord, rumort es im Saal. Etliche sind noch auf der Suche nach ihren Plätzen, die Smartphone-Taschenlampen tanzen in der Dunkelheit.

Dann geht der Vorhang auf im Festspielhaus Bayreuth: Der Bühnenraum gähnt schwarz, eine aberwitzig steile Holztreppe führt hinauf zu einem winzigen Kirchlein mit erleuchteten Fenstern, das ausschaut wie in einem Märklin-Modelleisenbahndorf.

Aus dem Off tönt der mächtige Choral, die Bühnenmusiker trödeln herein, Eva schaut oben von der Treppe herab, unten lungert Walther von Stolzing im Hoody herum, bastelt einen Papierflieger, den er hinaufschießt zu Eva. Er kommt nicht an. Viele vergebliche Flieger liegen schon am Boden, Stolzing lässt sich schließlich mit ausgebreiteten Armen seufzend auf den Boden fallen. So verliebt! Schon diese erste Szene zeigt an: Hier soll es lustig und leicht zugehen, mit starken Bildern und spielfreudigem Personal.

Ambivalent und kontaminiert

Gute Idee eigentlich. Denn von allen Wagner-Opern sind „Die Meistersinger von Nürnberg“ der heikelste Brocken. Es geht schon los mit der Gattungsbezeichnung: Wagner hat das Werk in seinen Entwürfen zwar als „Komische Oper“ bezeichnet, schließlich aber ein Label ganz weggelassen. Weil die „Meistersinger“ eben zutiefst ambivalent sind. Ein Hybrid aus Satire, kunsttheoretischem Diskurs, Tragikomödie, Drama. Und noch dazu stark kontaminiert durch die heikle Re­zep­tions­ge­schichte nebst Anti­semitismusverdacht.

In Bayreuth sollen nun – nach zwei betont politischen Inszenierungen von Katharina Wagner und Barrie Kosky – endlich einmal die heiteren Züge des Werks zu ihrem Recht kommen. Dazu hat man mit Regisseur Matthias ­Davids einen ausgewiesenen Musicalspezialisten geholt, der für Leichtigkeit und Spielwitz sorgen soll.

Und das tut er mit Bravour und Intelligenz, anspielungsreich und bilderstark, obwohl Andrew D. Edwards raffinierte Bühnenbilder und Susanne Hubrichs grellbunt durch die Zeiten vagabundierende Kostüme im Laufe des Abends immer dicker auftragen. Der Regisseur sorgt dafür, dass niemals Stillstand herrscht auf der Bühne, das riesige Solistenensemble ist ständig in kommunizierender Aktion.

So erzählt Davids viele kleine Geschichten neben der großen, auch vom Chor steht niemand unbeschäftigt herum. Beim Quintett der Hauptfiguren zeigt sich sorgfältig ausgefeilte Personenführung, die ganz nah am Text bleibt, dennoch manche Situation ganz neu beleuchtet, allein durch Gesten, Blicke, gezeigte Unsicherheiten.

Elegante Lösung

Optisch und vom Habitus des Bühnenpersonals sind wir bei Davids in der Gegenwart und in einer DSDS-Atmosphäre, Geschmacklosigkeit ist Programm. Die Meister tragen bizarre Zipfelmützen, als tage hier ein Elferrat, am Buffet labt man sich an Mettigeln und Brühkaffee, einer der Meister verschwindet zum Kiffen, und Hans Sachs trägt rote Socken, womöglich ein Alt-68er?

Hans Sachs steht hier nicht über den Dingen, sondern neigt zu Wutausbrüchen und weinerlicher Melancholie, Eva ist selbstbewusst und zupackend, David ungewohnt lyrisch, Stolzing ein arg selbstverliebter Ego-Star und Beckmesser keine Nervensäge, sondern eine hinreißend komische, weil eigentlich zutiefst traurige Figur.

Es gibt enorm viel zu sehen in dieser quirligen Inszenierung und witzige Anspielungen, wie etwa einer der Lehrbuben, der als Christian-Thielemann-Look­alike umherspringt. Im heikelsten Moment, wenn es um die „heil’ge deutsche Kunst“ geht, lässt Davids buchstäblich die Luft raus. Die riesige aufgeblasene Plastikkuh über der Festwiese fällt schlaff zusammen, Eva und Stolzing hauen einfach ab, ohne sich weiter feiern zu lassen. Elegante Lösung.

Musikalisch vom Feinsten

Dennoch bleibt das Gefühl, dass etwas fehlt an diesem Komödienabend, der viel über normale Menschen erzählt, aber wenig über sehr grundsätzliche Fragen an die Kunst nachdenkt, die das Werk „Meistersinger“ ja mit viel Nachdruck stellt.

Musikalisch ist fast alles vom Feinsten, Daniele Gatti gelingt nach verstolpertem Beginn flüssige Frische und Transparenz, Michael Spyres singt mit seiner stimmlichen Sonderbegabung als Baritenor einen Stolzing mit bronzener Mittellage und feinen Piani, viel Geschmack und einem Hang zum kalkuliertem Zelebrieren. Christina Nilssons Eva-Sopran ist enorm tragfähig, mit leichtem Klirrfaktor, Matthias Stier ist ein David mit Mozart-Attitüde, Georg Zeppenfeld wächst in seiner für ihn eigentlich zu hoch liegenden Partie als Hans Sachs über sich selbst hinaus.

Und Michael Nagy ist ein überragender Beckmesser, stimmlich und darstellerisch der eigentliche Held des Abends. Beim dezimierten und neu besetzten Chor gibt es allerdings reichlich Luft nach oben, es klappert und die frühere Homogenität des Klangs ist dahin. Große Begeisterung, kaum Buhs.

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