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Bayerische HochschulreformDer Widerstand wächst

Mehr Wettbewerbsfähigkeit soll die geplante Reform den bayerischen Hochschulen bringen. Kritiker rechnen mit einer zunehmenden Ökonomisierung.

Bayern: Kritik an der Hochschulreform von Wissenschaftsminister Sibler (r.) und Söder (l.) Foto: Sammy Minkoff/imago

München taz | „Keine Studiengebühren durch die Hintertüre“ steht auf einem Schild, das ein bayerischer Student auf Facebook in die Kamera hält. „Weil Wissenschaft nicht kommerzialisiert werden darf“, heißt der Slogan der Kommilitonin. Unter dem Hashtag #notmyhochschulgesetz formiert sich im Netz der Protest gegen die bayerische Hochschulreform.

Noch ist sie nicht beschlossene Sache. Im Frühjahr soll ein Gesetzentwurf stehen, noch vor der Sommerpause soll er in Kraft treten. Doch was man aus einem Eckpunktepapier, das vom bayerischen Kabinett am 20. Oktober 2020 beschlossen wurde, bereits über die Reformpläne weiß, reicht den Kritikern für ihren Unmut aus.

Erklärtes Ziel des Hochschulinnovationsgesetzes, so der volle Name, ist es, Bayerns Universitäten wie auch die Hochschulen für angewandte Wissenschaften, also die früheren Fachhochschulen, eigenständiger und wettbewerbsfähiger zu machen. Von einem Dreiklang von Forschung, Lehre und Transfer ist die Rede. Transfer ist dabei neu und heißt: Die Hochschulen sollen ihr Wissen künftig stärker und direkter in die Gesellschaft einbringen, wobei unter Gesellschaft vor allem auch Wirtschaft zu verstehen sein dürfte.

Schließlich ist die Hochschulreform Teil einer ambitionierten Hightech-Agenda von Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Sie soll Bayern bis 2023 mit milliardenschweren Investitionen bei modernen Technologien wie etwa der künstlichen Intelligenz international wettbewerbsfähig machen.

Vom Professor zum Gründer

Dementsprechend ist vorgesehen, dass Professoren sich künftig neben Lehre und Forschung auch unternehmerisch betätigen können, beispielsweise durch die Gründung eigener Start-ups. Dafür will Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) Anreize wie Gründungsfreisemester schaffen. Darüber hinaus sollen die Universitäten mehr Autonomie bekommen, etwa Berufungsverfahren selbst regeln und beschleunigen können und mehr englischsprachige Studiengänge anbieten.

Am Ende, so Siblers Plan, würden Bayerns Hochschulen nicht mehr in einer Liga mit der Ruhr-Universität Bochum oder der Freien Universität Berlin spielen, sondern mit Harvard, Cambridge und Co.

Klingt nach großem Wurf, finden die Befürworter der Reform, darunter einige Hochschulpräsidenten. Klingt nach Größenwahn, finden dagegen Kritiker wie der Münchner Soziologe Stephan Lessenich. Der Regensburger Physik-Professor Ferdinand Evers wiederum befürchtet vor allem die Ökonomisierung der Hochschulen. Der Freistaat wolle sie zu reinen Zulieferern der Wirtschaft umfunktionieren, die Wissenschaftslandschaft in Bayern werde bald nicht mehr wiederzuerkennen sein.

„Wir müssen dann so arbeiten, wie der Markt unsere Produkte aufnehmen kann“, kritisiert Evers. Vieles, was die Hochschulen leisteten, finde aber in einem solchen Verwertungsdenken keinen Platz. „Unser Auftrag liegt viel tiefer, und der hat was mit Bildung zu tun und letztlich mit der Verankerung des vernünftigen Denkens in der Gesellschaft“, so der Physik-Professor. „Darauf kommt es an und nicht darauf, dass wir irgendwelche Autos besser bauen.“

Offener Brief mit tausend Unterzeichnern

Mit einem offenen Brief haben sich rund tausend Professorinnen und Professoren an Ministerpräsident Söder und seinen Wissenschaftsminister gewandt, in dem sie vor Gefahren für die Hochschullandschaft warnen und eine breite Diskussion einfordern, wie sie während der Pandemie nicht möglich sei. Ähnlich ist die Stoßrichtung einer Gruppe von Studenten und Wissenschaftlern aus dem akademischen Mittelbau, die ihre „Vision einer bayerischen Hochschullandschaft 4.0“ vorlegten.

Bemängelt wird zudem, dass die Freiheit der Hochschulen mehr eine Freiheit der Hochschulpräsidenten sein werde und diese agieren könnten wie Konzernchefs. Dazu kommt die Sorge, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften künftig ins Hintertreffen gerieten.

Minister Sibler indes zeigt sich überrascht angesichts des heftigen Gegenwinds, der ihm plötzlich entgegenschlägt – und geht in die Erklärungsoffensive. In Video-Livestreams versucht er, seine Vorstellungen einer Hochschulreform zu erläutern und Bedenken auszuräumen. Beim ersten Livestream sind immerhin schon 2.600 Zuschauer dabei. „Wir wollen gerade keine Ökonomisierung der Hochschulen“, verspricht der CSU-Politiker, „und keine undifferenzierte Output-Orientierung.“

Es würden auch keine demokratischen Strukturen zerschlagen, im Gegenteil: Künftig werde eine Studierendenvertretung im Gesetz verankert. Und es entstünden bestimmt keine Nachteile für Fächer, die keinen Transfer in die Wirtschaft leisteten. Schließlich spreche doch schon seine eigene Biografie für sich, so der Deutsch- und Geschichtslehrer. „Ich will einfach nicht mehr, dass tolle Dinge in Bayern erfunden werden, aber dann nicht mehr hier produziert werden.“

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5 Kommentare

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  • Eine Reform ist nicht nur in Bayern notwendig. Die geplanten Hochschulgebühren decken nur einen Bruchteil der Kosten und sind absolut richtig. Wer diese nicht bezahlen kann, hat immer noch die Auswahl bei vielen anderen UNIs wo in Deutschland keine Gebühren erhoben werden.

    • @Kristina Ihle:

      Man braucht nur nach GB und USA zu sehen, um zu erkennen, dass die Einteilung in gebührenfinanzierte "Elite"-Universitäten und den "Rest" auf Dauer nicht funktioniert. Höhere Bildung sollte m.E. weder vorranging wirtschaftlichen Interessen dienen noch einer selbsternannten Elite vorbehalten bleiben. Über Kosten und Effizienz kann man streiten; auch das Thema berufliche Bildung gehört dahin. Studiengebühren führen letztlich zu Segregation und verstetigen Bildungsungerechtigkeit. Ausnahmen bestätigen die Regel.

  • Die Berichterstattung zu den Livestreams ist doch recht unkritisch. Ich habe mir alle drei angetan, sehr schmerzvoll. Zwar ist Herr Sibler zurückgerudert, aber erstens wurden ihm von den vielen kritischen Fragen im Chat nur relativ harmlose vorgelegt, zweitens hat er keine substanziellen Veränderungen der Gesetzesvorlage in Aussicht gestellt, drittens hat er jegliche Kritik am Verfahren abgebügelt, sogar von Fake News gesprochen; also eine reine Propagandaveranstaltung, die einmal mehr die fehlende Kritikfähigkeit und das monarchische Selbstverständnis der bayerischen Staatsregierung beweist.

  • Die Studierendenvertretung, die im Gesetz verankert wird, hat nach dem Gesetz auch exakt 0 zu bestimmen. Kann gehört werden, kann aber auch ignoriert werden. Das kann man nicht wirklich Fortschritt nennen.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Wissenschaft lernt genauso viel aus Experimenten, die scheitern, wie aus Experimenten, die gelingen. Wenn politisch mehr Wettbewerb verordnet wird, werden Wissenschaftler:innen für's Scheitern bestraft. Das heißt, sie werden für das Experimentemachen bestraft.



    Kapitalismus ist auch nicht viel mehr als ein gesellschaftliches Experiment - und eine immer größer werdende Zahl von Wissenschaftler:innen sieht dieses Experiment als gescheitert an.



    Eine absurde, antiaufklärerische Politik als, die nicht nur Wisenschaftler:innen dafür bestraft, Wissenschaft zu betreiben, sondern ihnen auch noch verhindert, dass sie bestimmte Experimente vorantreiben, indem sie das kapitalistische Experiment als alternativlos verordnet.



    Für das Recht auf Experiment! Wer nicht scheitern kann, bei dem Versuch, es anders zu machen, kann auch nicht zeigen, dass es anders besser geht.