Bauhaus-Künstler Johannes Itten: Gelebte und gelehrte Esoterik
Er gilt als Begründer der Farbtypenlehre und Anhänger einer rassistischen Pseudoreligion. Eine Ausstellung in Bielefeld.
Das Bauhausjahr 2019 hat trotz vieler Ausstellungen, Publikationen und zwei neu eröffneten Sammlungshäusern auch enttäuscht. So in der fortgeschriebenen Marginalisierung der künstlerischen Beiträge weiblicher Studierender am Bauhaus, die zu Beginn sogar in der Überzahl waren. Ebenso in der, keiner weiterreichenden Revision für nötig erachteten, während der frühen Jahren in Weimar gelebten und gelehrten Esoterik, zu der auch Rassentheorie zählte.
Während für die rückläufige Frauenquote Gründungsdirektor Walter Gropius verantwortlich zeichnete – der bereits 1920 die „scharfe Aussonderung, vor allem bei dem der Zahl nach zu stark vertretenen weiblichen Geschlecht“ forderte und eine „Frauenklasse“, die Weberei, einrichtete – wird für den zweiten Aspekt gemeinhin der Schweizer Johannes Itten (1888–1967) in Haft genommen.
Er war auf Empfehlung von Gropius’ Ehefrau Alma Mahler 1919 als einer der ersten Formmeister ans Bauhaus berufen worden und alternierend für fünf Werkstätten zuständig. Dort begründete er den für alle Studierenden obligatorischen Vorkurs, zeichnete aber auch für eine in Weimar gelebte und gelehrte sektiererische Esoterik verantwortlich, zu der eine Rassentheorie zählte.
1923 schied Itten in persönlichem Konflikt mit Gropius aus. Der Vorkurs aber blieb ein Herzstück der Bauhauslehre, in der Folge von so unterschiedlichen Temperamenten wie László Moholy-Nagy, Josef Albers, Paul Klee und Wassily Kandinsky vertreten.
Eugenisch-evolutionäre Ansichten
Was umfasste nun die Lehre Ittens, nicht nur am Bauhaus – wie lassen sich aus heutiger Sicht eugenisch-evolutionäre Anteile bewerten? Aufschluss dazu gab im Herbst 2019 eine mit rund 400 Exponaten opulent bestückte Schau des Kunstmuseums Bern, die Anfang März bei ihrem Kooperationspartner, dem Hermann Stenner Kunstforum in Bielefeld, gerade noch eröffnen konnte.
Nun ist auch sie geschlossen. Die Ausstellung legt einen Schwerpunkt auf Ittens als „Tagebücher“ bezeichnete Skizzenkonvolute, in denen er seine Lehrtätigkeit an diversen Institutionen theoretisch niederlegte, bearbeitete und revidierte, insofern er sie an die adressierten Studierenden und Fachdisziplinen anpasste.
Der begleitende Katalog vermag jetzt nicht den gesamtästhetischen Augenschein der Ausstellung zu ersetzen, doch seine Texte, unter anderem von Christoph Wagner, Kunsthistoriker und Itten-Forscher an der Universität Regensburg, sowie Co-Kurator der Ausstellung, vermitteln profund den Erkenntnisstand.
Wie wohl wenige künstlerisch und pädagogisch Tätige erweist sich Itten als permanent Suchender. Seine eigene Ausbildung umfasste abgebrochene Kunststudien in der Schweiz. 1912 aber machte er das Sekundarlehrer-Diplom der Universität Bern. Im Oktober 1913 brach er zu Fuß nach Stuttgart auf, um bei Adolf Hölzel zu studieren.
Itten dynamisiert das Zeichnen
Als Wegbereiter der Abstraktion vertrat Hölzel eine systematische Kompositionslehre, die sich über die Bildanalyse Grundkategorien künstlerischer Arbeit wie Fläche, Farbe, Raum und harmonische Proportion erschließen wollte. Hier beginnen Ittens Tagebücher, er schließt Freundschaften mit Oskar Schlemmer oder Ida Kerkovius, denen er am Bauhaus wiederbegegnen wird, und mit dem drei Jahre jüngeren Hermann Stenner, der, erst 23-jährig, bereits Ende 1914 an der Ostfront fällt. Itten übernimmt Stenners Atelier, betreut den Nachlass.
Ende 1916 eröffnet er seine erste private Kunstschule in Wien, die sich schnell in der österreichischen Avantgarde verankert. In seinen Tagebüchern formuliert er nun künstlerische und theoretische Maximen, zu Rhythmus und Harmonik, Farbenlehre, Ausdrucksform oder Zeit-Raum-Bewegung. Er dynamisiert das Zeichnen, lässt seine Studierenden etwa Skizzen eines sich bewegenden Aktes als reine Hand-Arm-Bewegungen oder mit geschlossenen Augen ausführen: Wirkungsformen, Gefühlsstenogramme.
Er erkennt unterschiedliche Künstlertypen in der Atmung – „rembrandtisch, giottonisch“ –, erweitert die Lehreinheiten um Gymnastik und Atemübungen. Itten will den Menschen aus der anerzogenen Form befreien, die erschreckend armselig sei, und sucht den Reichtum höchster Subjektivität. In Wien konfrontiert er seine Studierenden wie später am Bauhaus mit Spinnen oder der Distel: von ihr mussten sie sich stechen lassen, um das Schmerzhafte, Aggressive zu erspüren, ihre Form zu „erleben“ – die Synästhesie im Dienste künstlerischen Schaffens.
Diese Überhöhung des Subjektiven mag Itten für Welterklärungslehren wie den multireligiösen Mazdaznan und sein Evolutionsmodell empfänglich gemacht haben, an dessen Spitze, vom Mineral- über das Pflanzen- und Tierreich, die „weiße arische Rasse“ stehe. Er trägt diese Idee ins Bauhaus, zeichnet für die erste Bauhausmappe 1921 das „Haus des weißen Mannes“: Ein prototypisch weißer Kubus, der aber jeglicher NS-Ästhetik so offen zuwiderläuft, dass er 1937 in der Feme-Schau „Entartete Kunst“ gezeigt wird.
Im Konflikt mit dem NS-Regime
In weiteren Lehrtätigkeiten – seiner eigenen interdisziplinären Kunstschule ab 1925 in Berlin, zu deren Lehrenden japanische Tuschemaler oder die Fotografin Lucia Moholy gehörten, und parallel ab 1932, der Leitung der Fachschule für textile Flächenkunst in Krefeld – gerät Itten trotz seinem wohl nicht nur verbalen Opportunismus in Konflikt mit dem NS-Regime.
31 seiner Werke werden aus deutschen Sammlungen entfernt. Seine Berliner Schule wird 1934, die Krefelder 1938 geschlossen. Diesem Widerspruch in Leben und Werk Johannes Ittens wird die Forschung weiter nachgehen müssen.
Johannes Itten kehrte in die Schweiz zurück, übernahm 1938 die Leitung des heutigen Museums für Gestaltung Zürich sowie der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK genannt), 1943 außerdem die Fachschule der Zürcherischen Seidenindustriegesellschaft. An der Zürcher Hochschule ist der Vorkurs bis heute Bestandteil des Propädeutikums.
Ab 1949 baute Itten die Sammlung außereuropäischer Kunst des Museums Rietberg auf, das 1952 eröffnete. Dafür soll er, so erzählt es Christoph Wagner, Devotionalien Lenins aus dessen Zürcher Zeit gegen chinesische Großplastiken aus Ostberliner Sammlungen getauscht und ihren Transport in die Schweiz persönlich kontrolliert haben.
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