Bauen ohne den Rohstoff Sand: Kaffeepause für den Sand
Sand ist eine der wichtigsten Ressourcen und vor allem als Baustoff bisher unersetzlich. Weltweit suchen Forschende nach Alternativen.
Was haben Zahnpasta, Computerchips und Klebstoff gemeinsam? In allen Produkten ist Sand enthalten. Der ist nach Wasser die weltweit zweitwichtigste Ressource. Besonders für den Bau von Straßen, Dämmen und Häusern sind die feinen Körner unerlässlich, da sie für die Betonherstellung oder die Aufschüttung von Land benutzt werden.
Laut einem Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep) aus dem Jahr 2022 werden weltweit jährlich 50 Milliarden Tonnen Sand und Kies verbraucht. Das ist mehr als 16 Mal so viel, wie in Deutschland Lastwagen jedes Jahr an Gütern transportieren.
Doch Sand ist keine unendliche Ressource. Der Nachschub wird knapper und die globale Nachfrage steigt. Allein für Beton liegt der Mehrbedarf pro Jahr bei 5,5 Prozent. Hinzu kommt: Sand ist nicht gleich Sand. Korngröße und Inhaltsstoffe sind entscheidend – Wüstensand eignet sich beispielsweise nicht zur Betonherstellung, da der Wind die Körner zu rund geschliffen hat. Daher suchen Forscher:innen weltweit nach Alternativen.
Kaffeesatz
Fast vier Tassen Kaffee trinken Deutsche jeden Tag im Durchschnitt. Dabei bleiben jährlich etwa 20 Millionen Tonnen Kaffeesatz übrig. Dieser wird überwiegend entsorgt. Eine mögliche Lösung für seine Weiterverwertung haben australische Forscher im August 2023 in einer Studie in der Fachzeitschrift Journal of Cleaner Production vorgestellt.
„Wir wollten einen innovativen Weg finden, dem Kaffee eine doppelte Chance zu geben“, erklärt Rajeev Roychand von der RMIT University in Melbourne, der Hauptautor der Studie. Die Forscher erhitzten das gebrauchte Kaffeepulver im Vakuum auf 350 Grad Celsius.
Durch dieses sogenannte Niedrigenergieverfahren entsteht ein kohlenstoffreiches poröses Material: Kaffee-Biokohle. Die Kohle verwendete die Forschergruppe in unterschiedlicher Konzentration als Ersatz für Sand – bis zu 20 Prozent des Sandes tauschten sie in mehreren Schritten damit aus.
Durch ihre Porenstruktur und den Kohlenstoffgehalt speichert die Biokohle Wasser. Das kann sie bei Bedarf an den ausgehärteten Beton abgeben und so Mikrorisse, die beim Austrocknen entstehen könnten, verhindern.
Durch diesen Prozess soll die Betonfestigkeit verbessert werden. Kaffeesatz-Biokohle, die bei 350 Grad hergestellt und als 15-prozentiger Volumenersatz für Sand verwendet wird, erhöhe die Betonfestigkeit um etwa 30 Prozent, sagen die australischen Forscher.
Doch kann Kaffeesatz im Massenbau eine Alternative zu Sand bieten? Johannes Kreißig, Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), stellt das infrage. Er sehe bei Kaffeesatz keine skalierbare Lösung, die uns in Sachen Ressourcenschonung und somit bei dem Kampf gegen Verschmutzung weiterbringe, sagt Kreißig. „Selbst wenn aller Kaffeesatz gesammelt wird, kann damit nur ein verschwindend kleiner Bruchteil des gesamten Bausandbedarfs gedeckt werden. Zudem sind die mit den Transporten verbundenen CO2-Emissionen in den Blick zu nehmen.“
Gebrauchte Windeln
Mit einem kuriosen Sandersatz könnte die Baubranche bald in Indonesien planen: gebrauchte Windeln. Ein Forschungsteam der japanischen Universität Kitakyushu will Bauen in Indonesien bezahlbarer machen und zugleich Mülldeponien entlasten. Das berichteten sie im Mai 2023 in der Fachzeitschrift Scientific Reports.
Die Wissenschaftler:innen um Bauingenieurin Siswanti Zuraida nahmen für die Studie als Ausgangsmaterial entsorgte Windeln. Gereinigt, desinfiziert und geschreddert wurden die Windeln in verschiedenen Anteilen in Betonmischungen gegeben. Nachdem die Mischungen nach 28 Tagen ausgehärtet waren, prüften die Forscher:innen die Druckfestigkeit und mechanischen Eigenschaften der Baustoffproben.
Sie kamen zu dem Ergebnis, dass bei einem dreistöckigen Haus der Feinkornanteil maximal zu 10 Prozent durch Windeln ersetzt werden kann. Bei einem einstöckigen Gebäude sind es bis zu 27 Prozent. Je höher das Gebäude, desto niedriger somit der Anteil an Windeln.
Im Mörtel für Bodenplatten, im Haus oder auf der Terrasse, können die geschredderten Windeln laut der Studie bis zu 9 Prozent des Sands ersetzen. Die Forschungsgruppe erklärt, dass das Projekt derzeit noch nicht ohne Weiteres umzusetzen sei. Zum einen gebe es bislang keine Firmen, die Einwegwindeln als Recyclingmaterial verwenden, denn bisher werden Windeln mehrheitlich verbrannt.
Zum anderen erlauben die Bauvorschriften Indonesiens aktuell nur konventionelle Baumaterialien. Hinzu kommen Probleme bei der Aufbereitung der Windeln: Der Bedarf an Maschinen zur Zerkleinerung des Abfalls ist ebenfalls entscheidend für die Produktion von Windelbeton in großem Maßstab.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Annette Hillebrandt, Architektin und Professorin für Baukonstruktion an der Bergischen Universität Wuppertal warnt vor der Gefahr des Downcycling. Die in den Windeln enthaltenen Kunststoffe bekommt man nicht ohne Komplikationen aus dem Beton heraus. „Wir basteln uns gerade die Entsorgungsproblematik der Zukunft, wenn verschiedene Stoffgruppen, hier mineralische und kunststoffbasierte nicht getrennt werden.“ Ähnliche Bedenken äußert Kreißig. Neben den Schwierigkeiten des Recyclings ist die Reinigung und das Desinfizieren der Windeln mit einem hohen CO2-Ausstoß verbunden.
Müllverbrennungsasche
Auf deutschen Deponien lagern riesige Mengen von Hausmüllverbrennungsschlacken. Und jährlich kommen über fünf Millionen Tonnen Rückstände dazu. Diese Endprodukte dürfen die Mülldeponien nicht entsorgen, da sie beispielsweise Schwermetalle, Chloride oder Sulfate enthalten.
Das führe zu einer „Schönrechnung“, sagt Volker Thome vom Frauenhofer Institut für Bauphysik (IBP). „Sie verlassen die Deponien nicht, gelten aber als recycelt.“ Dabei ginge noch mehr: In Müllverbrennungsschlacken sind Schmelzgranulate enthalten, die extrem hart sind. Diese Stoffe können ohne weiteres als Sandersatz im Beton verwendet werden, sagt Thome. „Das ist eine Quelle, die nicht versiegt. Denn solange es Menschen gibt, wird es Müll geben; solange es Menschen gibt, wird es auch Müllverbrennungsschlacken geben.“
Damit Müllverbrennungsaschen als Ausgangsstoff von Beton verwendet werden können, müssen die Aschebestandteile und insbesondere die mineralische Rückständen aus der Müllverbrennungen möglichst sortenrein getrennt werden. Dafür wird bei der Aufbereitung zunächst der Grobschrott entfernt, dann Nicht-Eisenmetalle wie Kupfer oder Messing. Somit werden nicht nur Schmelzgranulate gewonnen, sondern auch große Mengen an Rohstoffen wie Kupfer oder Aluminium.
Befinden sich im aufbereiteten Ausgangsstoff Bestandteile wie Metalle oder Glas, könnte das nachteilige Effekte auf die Eigenschaft von Beton haben. Derzeit werden Schmelzgranulate noch nicht als Sandersatz eingesetzt, da sie zum Beispiel noch Sulfate erhalten. Das Ziel: reine Granulate ohne Störstoffe. Unterschiedliche Einrichtungen forschen zurzeit daran, diese Aschen oder Schlacken aufzubereiten. Auch beim Fraunhofer-Institut für Bauphysik läuft dazu ein öffentliches Projekt namens „ASHCON“. Aus den aufbereiteten Aschen sollen Pflastersteine hergestellt werden.
„Bislang haben wir keine Nachteile feststellen können, alle betontechnologischen Prüfungen gaben bislang keine Beanstandungen“, sagt Thome. Sollten weitere Untersuchungen positiv verlaufen, strebt das IBP eine Zulassung beim Deutschen Institut für Bautechnik an. Dann kann die Verwertung von Hausmüllverbrennungsaschen auf dem Markt umgesetzt werden.
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