Bauen im Friedrichshainer Nordkiez: Brauerei im Dornröschenschlaf
Ein lange leerstehender Kinokomplex wird abgerissen. Der Neubau soll Büros und eine Kita beherbergen. Die alte Brauerei nebenan dämmert vor sich hin.
Das Bezirksamt habe sich für die Errichtung einer Kita für 25 Kinder mit einer eigenen Außenspielfläche auf dem Grundstück eingesetzt. Die Bereitschaft des Eigentümers, auf diese Weise einen Beitrag zur sozialen Infrastruktur des Bezirks zu leisten, habe man im Ausschuss positiv aufgenommen. Das neue Vorhaben soll auf der Grundlage des noch rechtsverbindlichen Vorhaben- und Erschließungsplans in Verbindung mit einem neuen Durchführungsvertrag realisiert werden. Die Einflussmöglichkeiten des Bezirksamtes bei der Verwendung der Fläche beschränkten sich laut Schmidt auf den Durchführungsvertrag, da der Eigentümer geltendes Baurecht nutze.
„Wir befinden uns mitten im Baugenehmigungsverfahren“, sagt Jürgen Mentzel, Leiter der Projektentwicklung der Centrum Gruppe, die das Grundstück 2018 erworben hat. In den vergangenen Jahren hatte es etliche Eigentümerwechsel gegeben. Man beginne gerade mit der Vermietung, so Mentzel, erste Interessenten gebe es bereits. Terrassenartig angelegte Gebäude, viel Glas, viel Grün – bis spätestens zum zweiten Quartal 2022 soll „ein Gebäudeensemble mit heller Klinkerstruktur“ entstehen. Die Lücke zur benachbarten Wohnbebauung – das Projekt Walden48 mit 40 Wohnungen am oberen Rand des St. Georgen Friedhofs gelegen, fast fertig, aber noch nicht bezogen –, wird geschlossen.
„Aus städtebaulicher Sicht wird der Standort aufgewertet“, meint Baustadtrat Schmidt. Das Gebäude liegt in unmittelbarer Nähe des Friedrichshainer Vivantes Klinikums. In dem mehrgeschossigen Gebäude wurde 20 Jahre lang das Multiplexkino UCI Kinowelt betrieben, bis es im August 2018 eingestellt wurde. UCI-Pressesprecherin Nadine Breuer sagte damals gegenüber der taz, dass die Rahmenbedingungen es ihnen nicht ermöglichten, das Kino erfolgreich weiter zu betreiben. Genauere Angaben dazu gibt es trotz Nachfrage nicht. In dem Gebäude hatten außerdem ein Friseur, eine Fahrschule und gleich zwei Stoffgeschäfte ihr Domizil.
Brauerei besetzt
Gleich neben dem ehemaligen Kinogebäude scheint eher Stillstand angesagt: Die ehemalige Patzenhofer- und spätere Schultheiß-Brauerei steht seit nunmehr bald acht Jahren leer. Das Backsteingebäude aus den 1850er Jahren ist denkmalgeschützt, doch es wirkt verwahrlost: Junge Birkenstämme drängen zwischen den roten Backsteinmauern hervor, die Fenster sind mit Holz vernagelt, auf Gehsteighöhe kleben Werbeplakate und Graffitischmierereien. Teile der Brauerei wurden seinerzeit für den Bau des nun zum Abriss stehenden Kino-Gebäudekomplexes geopfert und abgerissen.
„Der bauliche Zustand des Denkmals bedingt umgehend Maßnahmen, um es zu erhalten“, meint Schmidt. Die neuen Eigentümer hätten ursprünglich die Bereitschaft signalisiert, dies zuallererst zu gewährleisten. Den Worten seien bisher aber keine Taten gefolgt. „Darum wird der Bezirk demnächst eine Erhaltungsanordnung nach Maßgabe des § 8 Abs. 2 des Berliner Denkmalschutzgesetzes aussprechen, sollte der neue Projektplaner weiterhin untätig bleiben.“
Auch eine Ersatzvornahme durch den Bezirk selbst und die Erstattung der entstehenden Kosten durch den Eigentümer sei eine Möglichkeit, die das Bezirksamt nicht mehr ausschließt. Die Untere Denkmalschutzbehörde des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg möchte nach eigenen Angaben sicherstellen, dass der nächste Winter an den Denkmälern keinen weiteren Schaden verursacht.
Im letzten September war die Brauerei im Rahmen der „Tu mal wat“-Aktionstage kurzzeitig besetzt worden. „Das waren nicht wir, aber wir waren hoffentlich eine Inspirationsquelle“, meint Gustav Kleinschmidt. Er ist Sprecher des Kunstvereins LA54, der seit Jahren mit verschiedenen Kunstaktionen gegen den anhaltenden Leerstand und den zunehmenden Verfall der Brauerei protestiert.
Eigentümer mehrfach gewechselt
Von 2006 bis 2012 hatten die Künstler:innen in dem Gebäude ihre Ateliers, bis das Bezirksbauamt wegen baulicher Mängel und Fehlen der Genehmigung des Pächters die dortige Arbeit verbot. Zuvor waren dort 70 Künstler:innen und fünf Galerien aktiv, bis zu 1.000 Besucher:innen kamen zu den veranstalteten Kunstfestivals.
Laut einer mündlichen Vereinbarung zwischen Bezirk, damaligem Eigentümer und Kunstkollektiv aus dem Jahr 2014 sollten auf dem Komplex der Brauerei eigentlich Sozialwohnungen, eine Kita und ein Ort für Kunst entstehen. Die Bezirksverordnetenversammlung bewilligte das Vorhaben, doch aufgrund eines erneuten Eigentümerwechsels musste das Verfahren nach jahrelanger Planung eingestellt werden. Die Künstler:innen von LA54 sind seitdem bemüht, Kontakt mit den jeweiligen Eigentümern zu halten, die in den letzten Jahren mehrfach gewechselt haben – teilweise drei Mal im Jahr.
Der momentane Eigentümer ist die Patzenhofer GmbH. Auskunft über das aktuelle Vorhaben könne man derzeit keine erteilen, sagte Michael Alert, der Projektleiter bei Investa, dem Mutterkonzern der Patzenhofer, auf taz-Anfrage. Man befinde sich in Abstimmungsprozessen mit der Stadtplanung, der Bauaufsicht und den Nachbarn. Investa hat die Liegenschaft im Juli 2017 erworben – als sogenannten Sharedeal (Deutsch für Anteilskauf).
Laut Schmidt gibt es zu der geplanten Nutzung erste Entwürfe, die „noch einen hohen Abstimmungsbedarf“ hätten. „Der neue Investor möchte am Standort kein Wohnen mehr entwickeln, sondern entsprechend des noch gültigen Vorhaben- und Erschließungsplans V-VE 2 seine Nutzungen realisieren“, so der Baustadtrat. „Gegenwärtig sind hier Hotel- und Büronutzungen, Sondergastronomie und die Nutzung der Trinkhalle mit Biergarten vorgesehen.“
„Nichts zu verlieren“
Auch hier verfüge der Bezirk über den Durchführungsvertrag nur über eine geringe Einflussmöglichkeit auf die Planungen. „Das Landesdenkmalamt steht dem aktuell geplanten Vorhaben positiv gegenüber.“ Das Bezirksamt setzt sich nach eigenen Angaben weiterhin dafür ein, dass die früher zugesagten Räumlichkeiten für den Kunstverein LA54 bereitgestellt werden.
Kleinschmidt gibt die Hoffnung nicht auf, dass das Künstler:innenkollektiv bei den Planungen berücksichtigt wird. Und er wünscht sich, dass das Grundstück für die Öffentlichkeit zugänglich wird, da der Ort voller kommunaler Geschichte sei. Trotz uneingelöster Versprechen und jahrelanger Verhandlungen bleibt er positiv: „Das Schöne ist ja: Wir haben nichts zu verlieren.“
Künstlerische Aktionen seien weiterhin möglich, und man stürze sich gerne mit Kunst in den Dialog. „Ich sehe das nicht als ein verlorenes Gebäude, wir können ja weitermachen, weitere zwanzig Jahre. Es geht uns um die politische Auseinandersetzung, um Kommunikation und um Kunst. Wir glauben nicht an das Eigentum an sich, sondern daran, dass es um die Nutzung geht.“ Mit ihren Aktionen hat die LA54 immer wieder auch spekulativen Leerstand und Sharedeals kritisiert.
Letzten Sommer hatte die LA54 die Trinkhalle besetzt und darin Zimmer für Wohnungslose hergerichtet. Anfang Juli wurden sie im Auftrag der Eigentümerin, der Patzenhofer GmbH, von der Polizei geräumt – widerrechtlich, meint Kleinschmidt.
Fester Ort für die Kunst
Die Beamten hätten keinen richterlichen Beschluss gehabt. „Die Polizei darf da nicht einfach Tatsachen schaffen“, sagt Kleinschmidt. „Das ist schon ein dickes Ding, dass die Polizei uns als Handlanger der Eigentümer geräumt hat.“ In einer Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht Berlin fordert er die Rückgängigmachung des Verwaltungsaktes.
Unterstützung bekommt die LA54 auch von der Kulturstadträtin Clara Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen). Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg stehe für eine vielfältige Kunst- und Kulturszene, meint die Politikerin. Sie ist überzeugt, dass die Kunst wieder einen festen Ort im Friedrichshainer Norden braucht. „Steigende Mieten und ein hoher Verwertungsdruck treffen insbesondere die freie Kulturszene.
Gerade die vielen nichtkommerziellen Initiativen und freien Künstler*innen-Kollektive brauchen Freiräume, die sie mit ihrer Kreativität prägen und entwickeln können“, sagt Herrmann. In Zeiten von Corona sehe man zurzeit verstärkt, wie sehr uns Kulturorte fehlten. „Dieses bewusste Erleben mit anderen können auch die vielen digitalen Angebote nicht komplett ersetzen.“ Vielleicht kommt wieder Bewegung in die Landsberger Allee 54.
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