Parlament aufgelöst, neue Regierung gesucht

In Bangladesch ist der Jubel über den Sturz der Regierung Hasina in der Nacht einer neuen Welle der Gewalt gewichen. Am Tag wird über den politischen Neuanfang verhandelt

Demonstranten bejubeln am Montag neben einem Porträt der autoritären Minister­präsidentin Sheik Hasina deren Sturz Foto: Fatima Tuj Johora/ap

Von Sven Hansen

Bangladeschs Präsident Mohammad Shahabuddin hat am Dienstag das Parlament aufgelöst. Dies hatten er wie auch der Armeechef Waker-uz-Zamam bereits am Vortag angekündigt, nachdem Ministerpräsidentin Sheikh Hasina angesichts wochenlanger Proteste zurückgetreten war. Im Parlament gehörten 224 der 300 Sitze zu Hasinas Awami-Liga. Diese hatte das Wahlsystem manipuliert und kam auch angesichts eines Boykotts der Opposition im Januar 2024 zu dieser großen Mehrheit.

Die Auflösung des Parlaments gehörte auch zu ultimativen Forderungen der Students Against Discrimination (SAD). Diese Studierendenbewegung hatte im Juni die Antiregierungsproteste gestartet, die am Montag nach mehr als 300 Todesopfern plötzlich zur Flucht Hasinas nach Indien führten. Dabei gehört auch Präsident Shahabuddin der Awami-Liga an und dürfte seinen Posten Hasina zu verdanken haben. Und Armeechef Zamam, der erst seit Ende Juni im Amt ist, ist Ehemann einer Cousine Hasinas.

Die SAD fordert nicht nur eine Mitsprache bei der Bildung der Übergangsregierung, sondern auch eine direkte Beteiligung daran. Diese Regierung unter Ausschluss der Awami-Liga soll bis zu Neuwahlen amtieren. Nach dem Wunsch der SAD soll der Friedensnobelpreisträger und Gründer der Grameen-Mikrokreditbank, Muhammand Yunus, beim Übergang eine wichtige Rolle spielen. Bis 2011 sah Bangladeschs Wahlsystem stets eine unparteiische Übergangsregierung aus Technokraten vor jeder Wahl vor. Dieses System setzte Hasina außer Kraft.

Wie angekündigt wurde inzwischen auch die Ex-Premierministerin und langjährige politische Rivalin Hasinas, Khaleda Zia, von der konservativen Bangladesh National Party (BNP) nach Jahren unter Hausarrest freigelassen. Die 78-Jährige war 2018 wegen angeblicher Veruntreuung von Geldern zunächst in Haft und später in den Hausarrest gekommen. Ihre schnelle Freilassung hatten Vertreter der Armee und mehrerer bisheriger Oppositionsparteien am Montag vereinbart.

Die BNP könnte künftig wieder eine Schlüsselrolle spielen, wenn es der Reformbewegung der Studierenden nicht gelingen sollte, eine eigene parlamentarische Kraft aufzubauen. Die BNP hat in der Vergangenheit mit gewalttätigen Islamisten paktiert und unterschied sich in Methoden wie der Korruption ansonsten kaum von der jetzt gestürzten Awami-Liga.

Freikommen sollen auch im Zuge der Proteste festgenommene Demonstranten, deren Zahl auf 10.000 geschätzt wird. Armeechef Zamam hatte am Montag sogar versprochen, jeden einzelnen Todesfall im Zusammenhang mit den Protesten untersuchen zu lassen. Da das Gros der Toten auf das Konto von Polizei und Militär geht, dürfte dies zum Test seiner Glaubwürdigkeit werden. Zamam forderte zum Ende von Protesten und Gewalt auf. Am Dienstag wurde zudem der Ausnahmezustand aufgehoben und die Bevölkerung aufgefordert, wieder an die Arbeit zurückzukehren. Am Sonntag hatte die inzwischen gestürzte Regierung noch drei Feiertage angeordnet gehabt.

Am Tag nach der überstürzten Flucht Hasinas nach Indien blieb es in Bangladesch ruhig. Das war in der Nacht zuvor allerdings anders. Nachdem die Nachricht von Hasinas Flucht zunächst vor allem Jubel ausgelöst hatte, begannen später Plünderungen sowie Gewalttaten gegen Anhänger der Awami-Liga und ihrer Symbole. Auch Statuen von Hasinas Vater, Sheikh Mujibur Rahman, Bangladeschs Held der Unabhängigkeit von Pakistan, wurden aus Hass auf den von ihr inszenierten Personenkult gestürzt.

Die Studierenden fordern eine direkte Beteiligung an der neuen Regierung

Die Zahl der Toten allein in dieser Nacht wird auf rund 130 geschätzt. Damit dürfte die Gesamtzahl der Todesopfer im Rahmen der Proteste und ihrer Unterdrückung mindestens 430 betragen.

Dass Hasina zunächst in Indien Aufnahme fand, förderte im mehrheitlich muslimischen Bangladesch antiindische Ressentiments und Drohungen gegen Hindus. Doch postierten sich auch Muslime demonstrativ vor Hindu-Tempeln, um sie zu schützen. Hasina gilt als Indien-freundlich. Delhi fürchtet, dass der Rivale China künftig Einfluss gewinnen könnte. Peking hat in den letzten Jahren schon in Nepal, Sri Lanka und den Malediven seinen Einfluss vergrößern können.