Bandengewalt in Haiti: Abgeschoben in die Hände der Gangs
Tausende Haitianer sollen aus den USA ausgewiesen werden. In Haiti eskaliert die Gewalt weiter. US-Söldner fliegen dort Drohnenangriffe auf Kriminelle.

Die haitianische Übergangsregierung ist derart abhängig von den USA, dass sie sich im Gegensatz zu den anderen betroffenen Staaten nicht weigern kann, die Flüchtlinge zurückzunehmen. Im August diesen Jahres läuft zudem der temporäre Schutzstatus (TPS) ab, der seit dem Erdbeben auf der Karibikinsel 2010 für Haitianer immer wieder verlängert wurde.
Die Trump-Administration hat schon angekündigt, auch dies nicht zu verlängern. Damit würden noch in diesem Sommer weit über eine halbe Million Haitianer in den USA in die Illegalität gedrängt. Dass die Rollkommandos der US-Abschiebepolizei ICE die haitianischen Viertel in den Städten durchkämmen werden, ist anzunehmen.
Die Haitianer, die die letzten 3 Jahre mit dem Biden-Programm in die USA gelangten, haben aber nicht nur sich selbst vorübergehend gerettet. Sie finanzieren auch allesamt ihre Angehörigen in Haiti, die aufgrund der grassierenden Ganggewalt über keinerlei Einkommen verfügen. Das Biden-Programm, das ursprünglich nur für die politischen Gegnerstaaten Venezuela, Kuba und Nicaragua vorgesehen war, musste Haiti aufnehmen, weil sonst die humanitäre Versorgung vor Ort noch früher zusammengebrochen wäre. Heute ist die Hälfte der elf Millionen Haitianer von akutem Hunger bedroht.
Im November 2024 gewann Donald J. Trump zum zweiten Mal eine Präsidentschaftswahl in den USA und amtiert seit Januar 2025 als 47. Präsident. Er treibt den Umbau öffentlicher Einrichtungen und einen Kurswechsel in der Außenpolitik voran.
Gangs kontrollieren 90 Prozent von Port-au-Price
Anders als in Europa versteht man in den USA die Dimension der Gerichtsentscheidung. Die New York Times bezeichnete die legale Auseinandersetzung, die nun so schlecht für das Menschenrecht der Geflüchteten endete, als eine „juristische Achterbahn zwischen Leben und Tod“.
Für Guerline Joseph, die Geschäftsführerin der NGO Haitian Bridge Alliance, die sich für die Rechte der Einwanderer in den USA einsetzt, ist die Entscheidung der Trump-Administration, die das Oberste Gericht nun bestätigt, schlicht „unglaublich“. Wie könne die Trump-Administration gerade jetzt Menschen nach Haiti zurückschicken?
Die Ausweisung der Migranten aus den USA – und aus dem ebenfalls auf der Insel Hispaniola liegenden Nachbarstaat Dominikanische Republik, der in diesem Jahr bereits mehrere Hunderttausend Menschen auswies – gießt Öl in ein Feuer, das schon wie Zunder brennt. Für die Situation in Haiti gibt es kaum noch Worte. Der US-Journalist Jason Bellini bereiste kürzlich den Norden des Landes. Es handele sich, sagte er in einem Interview mit der Fernsehstation Scripp-News, um einen „totalen Kollaps“.
Die Gangs kontrollieren 90 Prozent der Hauptstadt, die wichtigste Agrarregion, Artibonite, und die zentrale Durchgangsstation auf dem Weg von und in die Dominikanische Republik, Mirebalais. Dass die Regierung in Port-au-Prince und haitianische Menschenrechtsorganisationen den Einsatz von Drohnen gegen die Gangführer befürworteten, könne man angesichts der Dramatik der Lage verstehen, so Bellini.
Berüchtigte US-Sicherheitsfirma soll helfen
Der Interimsministerpräsident Dominique Fils-Aimé hat vor wenigen Wochen einen Vertrag mit Erik Prince geschlossen, dem Gründer der berüchtigten Firma Blackwater (heute Academi). Sie wurde bekannt als Privatarmee an der Seite der US-Armee im Golfkrieg von 2003. Ihr wurden damals mehrere Massaker an Zivilisten im Irak zur Last gelegt. Seit einigen Wochen fliegen deren Drohnen im Auftrag des Ministerpräsidenten Angriffe gegen Gangführer. Bisher sind allerdings keine Erfolge der Operation bekannt.
Pierre Espérance, der Direktor des haitianischen Menschenrechtsnetzwerkes RNDDH, wie auch andere Menschenrechtsvertreter begrüßen den Einsatz „professioneller Kräfte zur Stärkung der nationalen Sicherheitskräfte“. Mit Bezug auf die Gangs reden die Menschenrechtler nun von „Terroristen“, mit denen es keine Verhandlungen geben dürfe.
Espérance insistiert im Gespräch mit der taz, dass sich „Haiti mit entsprechenden Ressourcen von den Fesseln der Gangs befreien kann“. Seine Organisation fordert die Offenlegung des Vertrags mit Prince und vollständige Transparenz. Auch dürfe es beim Drohneneinsatz keine Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung geben. „Wir werden den Einsatz der Privatarmee und der Drohnen in dieser Hinsicht genau verfolgen“, so Espérance.
Verhandlungen mit den Gangs hatte zuletzt die Ministerpräsidentin von Domenica, einer kleinen Karibikinsel, gefordert, einem Mitgliedsstaat der Karibischen Gemeinschaft Caricom. Das wäre das Schlusskapitel einer langen Geschichte ausländischer Interventionen in Haiti unter der Ägide der USA. Man brächte die Monster, die man geschaffen hat und nicht mehr kontrollieren kann, endgültig an die Macht.
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