Bandengewalt in Haiti: Port-au-Prince steht vor dem Fall
Die vereinigten bewaffneten Gangs kontrollieren etliche Straßen und Viertel der haitianischen Hauptstadt. Sie zeigen deutlich ihre Macht.

Symbol ihrer gestiegenen Macht ist auch die zeitweilige Besetzung des berühmten Hotels Oloffson, in dem schon Richard Burton und Elizabeth Taylor während der Verfilmung von Graham Greenes Haiti-Epos „Die Stunde der Komödianten“ übernachteten. Das Erdbeben von 2010 hat dem mehrstöckigen Holzbau mit Blick auf die Bucht nichts anhaben können. Der endgültige Zerfall des haitianischen Staates könnte ihm nun zum Verhängnis werden.
Nicht nur im alten Zentrum haben die Gangs militärische Erfolge erzielt und kontrollieren nun bald das Marsfeld samt Präsidentenpalast, sie haben auch eine der wenigen funktionierenden Gesundheitseinrichtungen, die Klinik der Ärzte ohne Grenzen, zeitweilig unter Beschuss genommen. Alle Zugänge nach Port-au-Prince befinden sich ebenfalls unter ihrer Kontrolle.
Heftige Kämpfe gab es um den Berggipfel Kenscoff, einst ein beliebtes Ausflugsziel der Hauptstadtbewohner. Von den 1.800 Metern hat man nicht nur einen schönen Blick, sondern eine strategische Kontrolle über die Hauptstadt und ihre Vororte, darunter auch Pétionville. Dort fühlten sich die Wohlhabenderen bislang halbwegs sicher. Doch die Gangs behielten auch in Kenscoff die Oberhand.
Die Bewohner sind zur Selbstverteidigung übergegangen
Frantz Duval, Chefredakteur der ältesten haitianischen Zeitung, Le Nouvelliste, die längst ihr altes Redaktionsgebäude an die bewaffneten Gruppen verloren hatte, warnte Ende vergangener Woche deshalb in einem Leitartikel: „Port-au-Prince hat so lange unter der Gefahr gelebt, dass man jetzt fürchten muss, dass die Gerüchte und Verzweiflungsschreie nicht mehr ein Echo dieser Gefahr sind, sondern der Sound für den endgültigen Zusammenbruch.“
Gerade erst wurden wieder 60.000 Menschen aus ihren Wohngebieten vertrieben. Sie addieren sich zu der von der UNO gezählten eine Million intern Vertriebener seit Ausbruch der Kämpfe im Februar 2024. Wenn die Gangs angreifen, stehen ihnen Hightechmaschinengewehre zur Verfügung, die sie problemlos aus den USA importieren. Wenn das Schießen beginne, bleibe nur die Flucht, schreibt Duval. Aber man könne ja nicht fliehen.
In den Stadtteilen sind die Bewohner deshalb zur Selbstverteidigung übergegangen. Tausende Mitglieder dieser Selbstverteidigungsgruppen demonstrierten letzte Woche in der Hauptstadt und verlangten von der Übergangsregierung eine entschlossene Bekämpfung der Gangs. Deren Antwort war ein brutaler Polizeieinsatz, der mindestens einen Demonstranten das Leben kostete.
Der haitianischen Polizei steht zwar eine von der UNO genehmigte polizeiliche Unterstützungsmission unter Führung von Kenia zur Seite. Aber von den versprochenen 2.500 Polizisten sind nur ein paar Hundert im Land angekommen. Sie haben die Lage nicht verbessert, im Gegenteil. Ihre Ohnmacht, so könnte man meinen, verleitet die Gangs zu weiteren Beweisen ihrer militärischen Stärke.
Die haitianische Polizei, die weder über Nachtsichtgeräte noch Hubschrauber verfügt, hat kürzlich zum ersten Mal Drohnen gegen die Gangführer eingesetzt. Die Kollateralschäden sollen groß gewesen sein, weil die Gangführer in überbevölkerten Elendsvierteln leben. Bislang ist man deshalb vor einer Bekämpfung durch Drohnen noch zurückgeschreckt.
Offen ist bisher, wie die Trump-Regierung mit den Problemen in Haiti umgehen wird. Nur eins ist sicher, Haitianer in den USA, die bislang einen temporären Schutz (TPS) genossen, müssen demnächst mit ihrer Ausweisung rechnen. Der Schutzstatus wurde von der Trump-Administration aufgehoben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
AfD im Bundestag
Keine Schlüsselposition für die Feinde der Demokratie
Trumps Kampf gegen die Universitäten
Columbia knickt ein
Daniela Klette vor Gericht
Großes Bohei um Geldraub-Vorwürfe
Letzte Generation angeklagt
Was sie für uns riskieren
„Friedensgespräche“ in Riad
Die Verhandlungen mit Russland sind sinnlos
Illegales Autorennen in Ludwigsburg
Männer mit Mercedes im Kopf