Baden in Paris: Wasserratten, taucht tiefer!
Endlich wieder schwimmen in der Seine? Wegen drohender Verunreinigung doch nicht machbar. Zum Abkühlen taugt ein Flussbad eh nur bedingt.
E s war ein historisches Ereignis, das die Pariser:innen wie die sprichwörtlichen Wasserratten in Scharen am Samstag in die Seine lockte: Endlich Abkühlung! Über 100 Jahre war das Baden im Fluss verboten. Nun ist es offiziell wieder erlaubt. Ein Jahrhundertereignis also.
Doch Jahrhundertereignisse oder besser eine Jahrhundertwende gibt es derzeit auch in bedrohlicher Form: Der Juni war der 13. Monat in Folge, in dem die weltweite Durchschnittstemperatur über 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau lag.
Aber so romantisch die Vorstellung vom Bad in der Seine, Spree oder im Rhein auch sein mag, angesichts der Klimakrise auch ist, für die Problemlösung müssen wir tiefer abtauchen. Ohnehin mussten nach nur einem Tag die neuen Badestellen in Paris wieder geschlossen werden. Wegen Regen drohte eine Verunreinigung.
Zehn Mülltonnen toter Fisch
Paris hat, wie viele Städte in Europa, ein Mischwassersystem, in dem Abwasser und Regenwasser zusammenfließen. Wenn es dann in einer Stadt viel und stark regnet – was ja auch eine Folge des Klimawandels ist –, laufen vorhandene Speicher im System schnell über. Dann kann sich ein giftiger Cocktail aus Regen, Fäkalien, Mikroplastik, Medikamentenresten und Chemikalien direkt in Flüsse und Seen ergießen. Selbst gereinigtes Abwasser enthält noch Spurenstoffe, die Ökosysteme belasten.
Auch Berlin kennt dieses Problem: 2023 wurden nach nur einem Starkregen etwa 2,5 Kubikmeter tote Fische aus den Kanälen gefischt – das entspricht rund zehn gefüllten Mülltonnen.
Es ist leicht, angesichts der Hitze nach mehr Pools und Badestränden zu rufen und darin eine gute Lösung für die Abkühlung zu sehen. Wir Menschen lieben das Sichtbare. Ein kühles Bad im Fluss? Großartig. Das stinkende Abwasser unter unseren Füßen? Lieber verdrängen. Genauso funktioniert unser kollektives Ausblenden der Klimakrise: Die Hitze betäuben wir mit einem Sprung ins Wasser, doch die Ursachen – zu viel CO2, zu viel Beton, zu wenig Grün – bleiben unangetastet. Auch politisch ist das Thema oft wie vom Gulli verschluckt.
Immer mehr Menschen sterben an den Folgen von Hitzewellen – allein in Deutschland gab es 2023 und 2024 zusammen rund 6.000 hitzebedingte Todesfälle, mehr als durch Verkehrsunfälle. Dass Menschen dringend Abkühlung brauchen, ist unbestritten. Doch die Lösung können nicht mehr Flussbäder sein.
Viel wichtiger wäre es, die städtische Infrastruktur grundlegend zu modernisieren: mehr Grünflächen, mehr Böden, in denen das Regenwasser versickern und auch wieder verdunsten kann, um die Umluft zu kühlen. So würde auch weniger Wasser die überlaufenden Kanäle belasten. Immerhin: In Berlin-Mitte entsteht derzeit ein 40 Meter großes Auffangbecken, das bei Starkregen Wasser speichern und kontrolliert in das Wassersystem abgeben soll. Fertigstellung: 2026. Aber der medienwirksame Badespaß im Fluss lenkt davon ab, das es mehr solcher größeren und kleineren Abkühlungsprojekte bräuchte. Solange wir unsere Städte nicht radikal umbauen, bleibt das Flussbaden eine PR-Show, ein städtisches Trostpflaster auf eine nässende Wunde.
Die wirkliche Lösung: moderne, leistungsfähige Abwassersysteme, getrennte Kanäle für Regen- und Schmutzwasser, zusätzliche Speicherbecken, Schwammstadt-Konzepte mit begrünten Flächen. So können wir Städte kühlen, Überschwemmungen verhindern und Flüsse wirklich sauber halten.
Wir Wasserratten oben und die Kanalratten unten kämpfen im Grunde denselben Kampf: den ums Überleben in überhitzten und gleichzeitig überfluteten Städten. Nur wer auch den Blick nach unten wagt, kann oben wirklich unbeschwert baden.
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