Badeanzüge für die Meisterschaft: Schwimmrekorde ohne Speedo

Topzeiten im Anzug des Schwimmverbandes kamen den Funktionären recht, um auf der Deutschen Meisterschaft von einer heiklen Frage abzulenken: Schwimmt man mit Speedo schneller?

Helge Meeuw im richtigen Anzug. Bild: reuters

Es geschah alles zwischen halb vier und halb fünf Uhr am Samstagnachmittag. Die Europarekorde von Sarah Poewe über 100 Meter Brust und von Helge Meeuw über 100 Meter Rücken verliehen dem zweiten Wettkampftag der Deutschen Meisterschaften in Berlin einen ganz besonderen Glanz. Zudem verbesserte der zuletzt auffälligste deutsche Schwimmer, Paul Biedermann, seine erst kürzlich aufgestellte nationale Bestmarke über 200 Meter Freistil. Unerwartet souverän hatten sich damit alle drei für einen Einzelstart bei den Olympischen Spielen in Peking qualifiziert. Es ist schon einige Zeit her, dass deutsche Schwimmer für so viele gute Nachrichten innerhalb nur einer Stunde gesorgt haben.

Umso eigentümlicher wirkte danach der Auftritt von Christa Thiel. Die Präsidentin des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) gratulierte auf der Pressekonferenz kurz dem neben ihr sitzenden glücklichen, aber erschöpften Meeuw und wandte sich dann ausgiebig ihrem Hauptanliegen zu. Sie wehrte sich gegen den am Vortag in der Bild-Zeitung erhobenen Vorwurf, der DSV würde lieber Geld anstatt Gold(medaillen) haben. Deshalb, so die Kritik, beharre der DSV auf die Vertragsbindung mit seinem Ausstatter und erlaube seinen Sportlern nicht, bei den Olympischen Spielen den Schwimmanzug der Marke Speedo anzuziehen. Mit diesem Badetextil wurden zuletzt fast alle Weltrekorde geschwommen.

Thiel redete und redete um ihre Funktionärsehre, bis Örjan Madsen sie nach geraumer Zeit unterbrach. Der DSV-Sportdirektor sagte rigoros, der Verband müsse sich nicht verteidigen. Und er erklärte: "Ich würde es sehr schön finden, wenn wir uns jetzt den Ergebnissen von heute zuwenden könnten." Es würde doch gewiss alle brennend interessieren, warum Meeuw nur so schnell schwimmen konnte.

Am Wunderanzug lag es jedenfalls nicht. Den besitzt Meeuw ebenso wenig wie Paul Biedermann. Gerade deshalb eigneten sich die beiden mit ihren Fabelzeiten hervorragend als Botschafter der offiziellen DSV-Lehrmeinung, dass um die Bekleidungsfrage zu viel Aufhebens gemacht wird. Madsen sprach von einem sehr erfreulichen Tag, weil fast alle Schwimmer trotz der Anzugsdebatte ihr eigenes Leistungsvermögen gezeigt hätten. Wie schwer es derzeit ist, sich auf die eigenen Erfolge zu besinnen, hatte ja zuvor Christa Thiel vorgeführt.

Allerdings stand die nationale Schwimmerelite auch gehörig unter Druck. Für Peking kann man sich ausschließlich bei den bis zum Mittwoch andauernden Meisterschaften in Berlin qualifizieren. Die Normzeiten hatte Madsen zuvor noch unter die Empfehlungen des Weltverbandes gesetzt, also verschärft. Vereinzelte Kritik kam auf, die Hürden seien zu hoch gesteckt. Am Samstag sicherten sich immerhin sechs Athleten einen Einzelstart in China.

Manche wie die mehrfache Medaillengewinnerin Antje Buschschulte scheiterten jedoch tragisch knapp. Der Rückenspezialistin fehlten über 100 Meter lediglich sieben Hundertstel zur Teilnahme bei den Spielen. Cheftrainer Madsen sagte dazu nur: "Das bedaure ich sehr. Sie ist nach ihrer Rückenoperation noch nicht so weit." Er ließ aber keinen Interpretationsspielraum zu, dass er seine Kriterien nachträglich aufweichen werde. Auch nicht im Falle der erst 17-jährigen Christin Zenner, die die Norm über 100 Meter Rücken um ein Hundertstel verpasste.

Zurück zur Frage, warum Meeuw (23) eigentlich so schnell schwamm. Er erklärte kokett: "Ich habe das Laufen gelernt." Mittlerweile würde er zusätzlich zu seinen Einheiten im Wasser zwei bis dreimal pro Woche joggen. Sein Coach achte dabei sehr genau auf technische Details. Diese Art des Beintrainings hätte ihm sehr geholfen. Mit 53,10 Sekunden blieb er über 100 Meter Rücken lediglich zwölf Hundertstel über dem Weltrekord. Dennoch sagte Meeuw: "Ich bin noch nicht da, wo ich hinwill."

Wesentlich euphorischer reagierte Sarah Poewe auf ihren Europarekord über 100 Meter Brust (1:07,10 Minute). "Das ist eine Hammerzeit", frohlockte sie. Vor zwei Jahren hatte sie noch über ein Karriereende nachgedacht. Die Rückkehr zu ihrer Familie und ihrem alten Trainer nach Südafrika wären verantwortlich für ihre deutlich angestiegene Formkurve, erzählte Poewe am Wochenende. Außerdem hätte sie sieben Kilo abgespeckt.

Ihr durchtrainierter Körper steckte am Samstag übrigens in einem Speedo-Anzug. Doch darüber sprach beim Schwimm-Verband keiner. Der wahre Held der deutschen Schwimmfunktionäre war Helge Meeuw. Ein Europarekord in der Bekleidung des Verbandsausstatters Adidas - das war Balsam auf ihre geschundenen Seelen.

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