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Bachmannpreis – Tag 2Im Schwindel

Am zweiten Wettbewerbstag in Klagenfurt dominieren schwere Themen: Genozid, Trauer, Trennung. Diskutiert wird auch über Möwenkacke.

Nebensatzkonstrukteur sondergleichen: Daniel Heitzler Foto: dpa

Klagenfurt taz | Wie sich die Dinge in Klagenfurt doch fügen. Da spricht Clemens J. Setz am Mittwoch in einer blitzgescheiten Eröffnungsrede davon, wie unsere Gegenwart von Fiktionen dominiert wird und welch fatale Folgen es haben kann, nicht mehr zwischen Fiktion und Wirklichkeit abstrahieren zu können, und dann sitzt am Freitagnachmittag beim Bachmannpreis Tom Kummer auf dem Podium. Jener Autor, der die Fiktionalisierung des Realen zum journalistischen Prinzip erhob, als er Interviews fälschte. Ein Relotius eines anderen, früheren Zeitalters, lange vor Fake-News-Wars.

Kummers eigene Biografie, die des unzuverlässigen Erzählers und des Hochstaplers, sie kommt in seinem Wettbewerbsbeitrag „Von schlechten Eltern“ auch vor. „Ich lüge ihn an. Ich lüge sie alle an“, erklärt sein Ich-Erzähler da einmal – ein Chauffeur, der durch die Nacht rauscht und der den Tod seiner Frau verarbeiten will. Dem Fahrgast schwindelt er vor, dass er sich zuhause den Avatar seiner toten Frau halte, „eine Schweizer Hausangestellte, die ich übers Internet buche“. Wie schon in Kummers jüngstem Roman „Nina und Tom“ geht es also eigentlich um Trauerarbeit.

Das Kummer-Alter-Ego will cool bleiben, seinen Mann stehen. Tatsächlich ist es ein etwas abgestandenes, gestriges Männerbild, das in der Figur des Chauffeurs hier in kurzen, präzisen Sätzen durch die Schweizer Nacht gejagt wird. Die Ich-Fiktion des Fahrers aber, sie geht nicht mehr auf. Man kann Kummers Geschichte somit auch als Abgesang auf den Mann alter Schule lesen – oder schwindelt er uns da etwas vor?

Um Schreiben und Wirklichkeit, um Sagbarkeit und Unsagbarkeit geht es auch zuvor, in der Erzählung der Leipziger Autorin Ronya Othmann. Ihr Text „Vierundsiebzig“ handelt vom Genozid an den Jesiden durch den IS, mutmaßlich erzählt anhand der eigenen Familiengeschichte. Sie berichtet darin von Reisen in die Kriegsgebiete.

Othmann ringt in diesem Text um Worte für diesen Massenmord, wobei die Autorin das Wort „Massenmord“ wohl sofort wieder zurücknehmen würde, denn ihre Geschichte enthält so starke Passagen wie folgende: „Angesichts der Gräueltaten und ich streiche das Wort Gräueltaten angesichts der Verbrechen und ich streiche das Wort Verbrechen, weil sowohl das Wort Gräueltaten als auch das Wort Verbrechen nicht tragen (…).“

Vom Genre her ist der Beitrag zwischen Ich-Reportage und Essay angesiedelt, und als Versuch, für etwas eine Sprache zu finden, „wofür wir keine Worte haben“, wie Othmann schreibt, überzeugt der Text. Wobei in der Jury die Frage aufkommt, ob man über die persönliche, grausame Geschichte, die hier geschildert wird, in literarischen Kategorien urteilen könne. Als habe man nach dem Holocaust nicht ständig darüber gestritten, wie etwas erzählt werden kann und darf oder nicht (heute streitet man lieber darüber, wer von etwas erzählen darf und wer nicht).

Während Othmanns Beitrag einem länger in Erinnerung bleiben wird, legen Birgit Birnbacher und Daniel Heitzler zwei Texte vor, die technisch voll und ganz überzeugen, bei denen man aber nicht weiß, ob das Erzählte stark genug ist, um von Dauer zu sein. Die Salzburger Autorin Birnbacher erzählt in „Der Schrank“ einmal mehr von sehr engen österreichischen (Wohn-)Verhältnissen, von Arbeitsbiografien und Lebensläufen, die immerfort genügen müssen, die in ständiger Beobachtung der Außenwelt stehen (ein „Beobachter“ spielt eine entscheidende Rolle in dem Text). Die Außenwelt beginnt im eigenen Haus, im Treppenhaus lauert das Böse. Durch und durch österreichisch, diese Erzählung.

Ganz woanders hin, nach Mexiko, führt einen der Berliner Autor Daniel Heitzler, Jahrgang 1996 und damit der jüngste Autor des Wettbewerbs. Sein Text „Der Fluch“ ist wie die Parodie eines mexikanischen Western angelegt; virtuos, aber auch sehr langsam erzählt. Vor seiner Lesung wusste man von ihm, dass er literarischer Newcomer ist, als Barkeeper arbeitet, Tennis spielt und Joy Division mag. Nach der Lesung weiß man: Er kann auch sehr lange Sätze mit scheinbar endlosen Nebensatzkonstruktionen grammatikalisch korrekt formulieren.

Eröffnet hatte den Tag der Kölner Autor Yannic Han Biao Federer, dessen Trennungsgeschichte aber nicht wirklich überzeugte – seine Erzählung „Kenn ich nicht“ wirkt wie ein arg konstruiertes Spiel mit Erzählebenen, die Sprachbilder scheinen zu vorhersehbar. Wobei die Jury am längsten über den letzten Satz des Textes sprach. Er lautet: „Am Hafen scheißt mir eine Möwe in die rechte Sandale, es stinkt und klebt.“

Es gab aber bei weiterem Bewegenderes an diesem zweiten Wettbewerbstag als das bisschen Möwenkacke.

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