BUND zur Zukunft des Tempelhofer Felds: „Die haben nichts verstanden“
BUND-Geschäftsführer Tilmann Heuser kritisiert, dass die Debatte um eine Bebauung des Tempelhofer Felds von CDU und SPD erneut aufgerollt wird.
taz: Herr Heuser, zehn Jahre nach dem Volksentscheid zum Schutz des Tempelhofer Felds wird schon wieder oder immer noch über eine Randbebauung diskutiert. Frustriert Sie das manchmal?
Tilmann Heuser: Ja. Diese Bebauungsdiskussion ist reine Symbolpolitik. Sie zeigt, dass große Teile der SPD und der CDU es nach wie vor als Niederlage empfinden, dass sie 2014 den Volksentscheid verloren haben. Und sie zeigt auch, dass diese Teile bis heute nicht verstanden haben, was den besonderen Wert des Tempelhofer Felds ausmacht. Sie haben nicht im Ansatz verstanden, welche gesamtstädtische Bedeutung das Feld als Freiraum, aber auch als Ort der Geschichte und der Identifikation für die Berlinerinnen und Berliner hat.
Der 57-Jährige ist seit 2005 Berliner Landesgeschäftsführer des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
In einer Umfrage hatten sich jüngst fast 60 Prozent für eine Randbebauung mit Wohnungen ausgesprochen. Romantisieren Sie den Identifikationsgrad der Berliner:innen mit dem Feld nicht ein wenig?
Natürlich gibt es immer Menschen, die mit dem Tempelhofer Feld nichts anfangen können. Aber für alle anderen, die sich damit beschäftigen, die dort hingehen, hat es einzigartige Qualitäten, nämlich Offenheit und Weite. Es ist eben kein Tiergarten, es ist keine Hasenheide, es ist das Tempelhofer Feld, und das ist zu sichern, für Natur, Erholung, Sportfreizeit. Auch wenn ich da irgendeinen Wald hinsetze, ist es nicht mehr das Tempelhofer Feld.
Sie spielen auf die alte CDU-Idee eines Tempelhofer Waldes an. Wäre eine Teilbewaldung nicht wünschenswert, wenn wir sonst über jede baumlose Straße als potenzielle Hitzeinsel klagen?
Auch diese Waldidee zeugt von einem absolut mangelnden Verständnis von Naturschutz, Artenvielfalt und Stadtklima. Wiesenflächen sind Kaltluftgeneratoren und mitentscheidend für die Abkühlung in der Nacht. Das interessiert Teile der Politik aber nicht. Für die sind Natur nur Wald und Bäume und alles andere ist nutzlose Brache. Berlin hat kaum noch große Wiesenflächen mit der entsprechenden Artenvielfalt. An Wäldern mangelt es dagegen nicht, zumindest im Vergleich zu anderen Städten.
Die Aufenthaltsqualität wird durch die Baumlosigkeit gerade tagsüber im Hochsommer aber nicht unbedingt erhöht.
Es ist ja vorgesehen, zusätzliche Bäume zu pflanzen, gerade als Schattenspender, aber nur in den Randbereichen. Das ist stadtklimatisch auch genau begründet, dass es hier nur einzelne Bäume gibt und keinen geschlossenen Wald. Es geht darum, dass die Abflüsse der Kaltluft vom Feld nicht blockiert werden. Das wäre übrigens auch ein Thema bei der Randbebauung.
Stets wird geklagt, dass bei Stadtplanungsprozessen die Bürger:innenbeteiligung zu kurz kommt. Jetzt hat SPD-Bausenator Christian Gaebler die Dialogwerkstätten zur Zukunft des Feldes angeschoben, ergebnisoffen, wie er betont. Der BUND kritisierte das schon vorab als „gesteuerte Veranstaltung“. Warum?
Wenn die Politik sagt, wir wollen die Randbebauung, dann haben wir auch kein Vertrauen, was die behauptete Ergebnisoffenheit betrifft. Zumal wir hier eine Komplettnegation dessen erleben, was es an Diskussionen in der Vergangenheit gab. Städtebauliche Wettbewerbe, Bürgerbeteiligung, das alles hatten wir bereits. Die Bebauungsfreunde fangen trotzdem wieder von vorn an. Der Prozess ist auch alles andere als ergebnisoffen aufgesetzt, wenn diejenigen, die das Feld offenhalten wollen, nicht in den Diskurs eingebunden werden.
Gaebler sagt, es gehe bei den Werkstätten zuvörderst darum, den Beitrag des Feldes für die gesamtstädtischen Bedarfe zu diskutieren. Das ist aus Ihrer Sicht nicht legitim?
Sicherlich können wir einen allgemeinen gesamtstädtischen Bedarf diskutieren. Aber dann müssen wir doch eigentlich über den Stadtentwicklungsplan Wohnen 2040 sprechen, in dem Flächen für den Bau von fast 250.000 neuen Wohnungen ausgewiesen sind – und zwar ohne das Tempelhofer Feld. Da ergibt es doch gar keinen Sinn, das ausgerechnet am Beispiel dieser konkreten Fläche zu thematisieren. Aber es zeigt, worum es wohl vor allem geht, nämlich darum, eine gewisse Legitimation für die eigenen Pläne zu erzielen.
Ihre Vorhersage: Wo stehen wir heute in zehn Jahren? Volksentscheid abgeräumt und Baukräne am Feldrand?
Ach was, in zehn Jahren dreht sich die Diskussion noch immer im Kreis. Und die Potenziale des Tempelhofer Felds für die Stadt werden immer noch nicht erkannt worden sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader