BND-Chef vor NSA-Ausschuss: „Gegner haben wir reichlich“
Laxe Kontrolle war die „Erbsünde“, sagt Gerhard Schindler. Dennoch verteidigt der Chef des BND die Kooperation mit dem US-Geheimdienst.
BERLIN taz | Hinter den Scheiben des Bundestagssaals 4.900 geht am Donnerstagabend die Sonne unter. Das warme Abendlicht fällt auf das Gesicht von Gerhard Schindler, auf seine malmenden Kiefer, die knetenden Hände. Zwei Stunden spricht Schindler da schon vor dem NSA-Untersuchungsausschuss. Die Anspannung aber löst sich nicht. Schindler hat eingeräumt, dass Kontrollen in seinem Haus „unzureichend“ waren. Er sprach von „abgeschotteten“ Außenstellen.
Nun nennt er die laxe Prüfung von Tausenden von NSA-Suchbegriffen, die der Bundesnachrichtendienst seit 2005 in sein Datensystem aufnahm, eine „Erbsünde“. Schindler hält den Blick ernst, zieht die Stirn in Falten: Schindler, der Reumütige.
Seit vier Wochen ist Schindlers Geheimdienst in einer Affäre gefangen, die längst auch die Bundesregierung mitreißt. Spionagehilfe für die NSA gegen europäische Politiker und Unternehmen, lautet der Vorwurf. „Landesverrat“ warf die Opposition dem BND vor. Das Kanzleramt attestierte dem Dienst „organisatorische Defizite“. Niemand steht in der Affäre so nah am Rücktritt wie Schindler.
Zum ersten Mal seit Ausbruch der Krise verteidigt sich Schindler öffentlich. Stundenlang stand er zwar schon dem Geheimdienst-Kontrollgremium des Bundestags Rede und Antwort. Die Sitzungen aber waren vertraulich. Ganz allein sitzt Schindler nun auf der langen Zeugenbank im Saal 4.900. Kein Rechtsbeistand, acht leere Stühle rechts neben ihm, acht links. Auf dem Tisch zwei Ordner, rot und schwarz, kleine Wasserflaschen. Schindler blickt direkt auf die Phalanx der Abgeordneten, oben auf der Empore lauern die Journalisten.
Mission Impossible
Es ist eine Mission Impossible, gewinnen kann er im Grunde nicht. Entweder wusste er, dass die NSA seinen Dienst für antieuropäische Spionage nutzte und tat nichts dagegen. Oder er wusste es nicht und hat seinen Laden damit nicht im Griff. Ein Skandal, betonte die Opposition wiederholt, wäre beides.
Schindler entscheidet sich für den schwächeren Vorwurf, den zweiten. Als Präsident des BND trage er die Verantwortung, „salopp gesagt für alles“, sagt er in seinem Eingangsstatement. Und ja, es gab Probleme. Aber nicht er trage Schuld. Es sei sein Vorgänger gewesen, der schon 2010 und 2011 Hinweise zu den illegalen NSA-Spähversuchen bekam, ohne zu reagieren.
„Ich kann mir das nicht erklären.“ Er selbst hingegen habe, als er im März dieses Jahres davon erfuhr, sofort das Kanzleramt informiert. Er habe angeordnet, das Erfassungssystem komplett umzustellen, die Kontrolle zu verstärken. Die Gesichter der Abgeordneten bleiben ungerührt. So leicht kommt Schindler nicht davon.
Eine schnurgerade Karriere
Schindler in der Defensive: Die Rolle schmeckt ihm nicht. Der 62-Jährige pflegt sonst einen forschen Auftritt. Fester Händedruck, lockere Sprüche, krachendes Lachen. Schindler, Arbeiterkind aus der Eifel, ist Jurist, Langstreckenläufer und ehemaliger Fallschirmspringer. Dazu FPD-Mitglied seit Uni-Zeiten, politisch aber stets auf Seiten der Sicherheitsapparate. Schnurgerade lief die Karriere, vom Bundesgrenzschutz durchs Bundesinnenministerium zum BND.
Dort trat er 2012 den Chefposten mit dem markigen Spruch „No risk, no fun“ an. Hinein in die Krisengebiete: Afghanistan, Syrien, Somalia. „Als erste rein, als letzte raus“, gab Schindler vor. Er startete eine Entbürokratisierung, ließ seinen Mitarbeitern mehr Freiräume. Er baute die Datenspionage aus. Er rückte den BND näher an die amerikanischen Dienste heran. Lieber ein paar Informationen zu viel, als eine zu wenig. All das fällt Schindler jetzt auf die Füße.
Christian Flisek, SPD: „Würden Sie sagen, es gab ein Problem in der Führungskultur, dass Sie persönlich etwas anders hätten machen müssen?“
Schindler (überlegt): „Nein.“
Seit im Juni 2013 der NSA-Aussteiger Edward Snowden Zehntausende interne Geheimdienstpapiere veröffentlichte, erscheint der BND als Laden, der sich im Zweifel nicht um Gesetze schert und gefügig den US-Diensten unterstellt. Schindler, hieß es in den Snowden-Papieren aus dem Jahr 2013, habe den „dringenden Wunsch“, enger mit der NSA zu kooperieren, suche „Führung und Rat“.
Im Untersuchungsausschuss sagten bereits BND-Mitarbeiter aus. Sie wirkten nicht wie ausgefuchste Agenten, eher wie überforderte Beamte. Ihr Dienst sei technisch „nicht up to date“, gestanden sie. Einigen waren die Dienstvorschriften nicht bekannt. Zwar entdeckten einzelne 2013 die suspekten Suchbegriffe der NSA, meldeten sie aber nicht nach oben. Man habe das nicht für wichtig erachtet. Schindler hat eine weitere Erklärung. „Vielleicht war da auch der Gedanke, lieber nicht eskalieren, weil wir so abhängig sind von der NSA.“
Flisek: „Wir haben ja hier jetzt schon einige Ihrer Kollegen befragt. Wissen Sie, was mein Eindruck ist? Ein fataler. Ein ganz fataler.“
Schindler: „Hmm.“
Flisek: „Mir kommt das wie ein Schwarzer-Peter-Spiel vor. Keiner übernimmt Verantwortung, keiner hat etwas falsch gemacht.“
Schindler: „Hmm.“
Schindler hört solche Vorwürfe geduldig an. Dann schaltet er auf Vorwärtsverteidigung. Sein BND sei nicht so schlecht, wie dargestellt. Im Gegenteil sei man „so leistungsfähig wie schon lange nicht mehr“. Allein in Afghanistan habe man 19 Attentate auf die Bundeswehr verhindert. Dann setzt Schindler zu seiner eigentlichen Botschaft an. Die derzeitige Debatte schade seinem Nachrichtendienst und der Sicherheit Deutschlands, sagt er. Es brauche die internationale Zusammenarbeit. „Gegner haben wir reichlich. Die NSA gehört nicht dazu.“ Erste Dienste träfen sich heute schon ohne den BND. „Diese Entwicklung bereitet mir große Sorgen.“
Schindlers Strategie
Schindlers Strategie seit den Snowden-Leaks: nicht zurückstecken, offen zur eigenen Arbeit stehen. Der Schritt ist alternativlos. Denn zu verstecken gibt es seitdem wenig. Noch weniger, seit der Untersuchungsausschuss auch penibel den BND durchleuchtet. 175.000 Aktenseiten lieferte der Dienst bisher an die Abgeordneten. Im vergangenen Jahr verkündete Schindler eine „Transparenz-Offensive“ und enttarnte sechs Außenstellen. Eine davon: die Abhörstation Bad Aibling – Epizentrum der jetzigen Affäre.
Flisek: „Wenn Sie nicht sicherstellen können, dass Ihnen in Zukunft solch gravierende Vorgänge gemeldet werden, dann sind Sie ganz schön in der Bredouille, oder?“
Schindler: „Ich bin eigentlich sicher, dass der Vorgang dazu geführt hat, dass inzwischen alles gemeldet wird. Da würde ich die nächsten fünf Jahre für garantieren.“
Fünfeinhalb Stunden fragen die Abgeordneten. In den Pausen tritt Schindler auf die Außenterrasse, zieht Zigaretten durch. Um 0.02 Uhr beendet der Vorsitzende die Sitzung. Weil die Stenografen Feierabend machen müssen. Schindler muss noch einmal wiederkommen. Noch wird sein Posten von ganz oben gesichert. Schindler ist der Puffer zur Kanzlerin. Ginge der BND-Chef und die Affäre würde noch brenzliger, stünde das Kanzleramt direkt unter Beschuss. Schindler entschwindet in den gläsernen Aufzug, dann in die Nacht.
Er wird weiter bangen müssen. Denn noch während er Fragen beantwortete, wurden neue NSA-Spählisten für die vom BND gesammelten Daten bekannt. Sie sind mehrere Hunderttausende Begriffe stark. Für Schindler heißt das einmal mehr: viel risk, no fun.
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