BGH-Urteil zu ehemaligem SS-Mann: Willig, gehorsam, schuldig
Oskar Gröning war ein Rädchen in der Maschinerie des Nationalsozialismus. Er machte sich wegen Beihilfe zum Massenmord strafbar.
Gröning, damals ein überzeugter Nationalsozialist, trat 1940 freiwillig in die SS ein und arbeitet ab September 1942 in der „Häftlingsgeldverwaltung“ von Auschwitz. Dort sortierte er das Geld der Ermordeten, verbuchte es und brachte es nach Berlin. Seine Arbeit im KZ war ihm wichtig, weil er so nicht an die Front musste. Dabei wusste er, dass Juden im industriellen Stil ermordet wurden.
Konkret warf die Justiz Gröning eine Mitwirkung an der „Ungarn-Aktion“ vor. Von Mai bis Juli 1943 wurden rund 430. 000 Juden aus dem eben besetzten Ungarn in 141 Güterzügen nach Auschwitz-Birkenau gebracht. An der dortigen Rampe wurden sie selektiert, die „Arbeitsfähigen“ kamen zur „Vernichtung durch Arbeit“ ins Arbeitslager. Mehr als 80 Prozent der Neuankömmlinge aber wurden sofort in Gaskammern getötet, die Leichen anschließend im Krematorium verbrannt.
Im Juli 2015 verurteilte das Landgericht Lüneburg den damals 94-jährigen Gröning wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Der legte Revision ein. Nun hat der 3. BGH-Strafsenat das Urteil in vollem Umfang bestätigt. Dabei verzichtete das Gericht auf eine mündliche Verhandlung, wohl um das Verfahren zu beschleunigen. Denn wäre Gröning vor einer BGH-Entscheidung gestorben, wäre das Verfahren ohne rechtskräftiges Urteil beendet gewesen.
Beihilfe in doppelter Hinsicht
Der BGH entwickelte in seiner Entscheidung keine neue Rechtsprechung, sondern wandte die „allgemeinen Grundsätze“ an. Danach ist jede Handlung als Beihilfe strafbar, die den Erfolg des Haupttäters fördert oder erleichtert. Bei einem hoch arbeitsteilig durchgeführten staatlichen Massenmord genüge es für die Annahme einer Beihilfe, so der BGH, wenn zumindest einem der Täter geholfen wurde. Die konnten dabei die Personen sein, die den Massenmord angeordnet und vorbereitet haben – aber auch solche, die ihn dann im Rahmen einer Hierarchie ausführten.
Gröning habe nach diesen Grundsätzen in doppelter Hinsicht Beihilfe geleistet. Zum einen hatte er zugegeben, während der Ungarn-Aktion drei Mal selbst Dienst an der Rampe geleistet zu haben. Dabei hatte er das Gepäck der Neuankömmlinge bewacht. So half er, die Arglosigkeit der Opfer aufrechtzuerhalten, die nichts von ihrer bevorstehenden Ermordung wussten. Da er in Uniform und mit Pistole an der Rampe stand, war er auch Teil einer Drohkulisse, die jeden Gedanken an Flucht und Widerstand im Keim erstickte. Damit habe er den SS-Wachmannschaften unmittelbar beim Morden geholfen.
Vertreter der Nebenklage
Neben den drei Rampendiensten wurde Gröning aber auch seine „allgemeine Dienstausübung“ in Auschwitz vorgeworfen. Diese habe die Führungspersonen in Staat und SS unterstützt. Zwar hätten diese Gröning nicht persönlich gekannt, doch sie wussten, „dass alle im Rahmen der Tötungsmaschinerie auszufüllenden Funktionen mit zuverlässigen, gehorsamen Untergebenen besetzt waren“. Der entscheidende Satz der BGH-Entscheidung lautet: „Nur weil ihnen eine derart strukturierte und organisierte industrielle Tötungsmaschinerie mit willigen und gehorsamen Untergebenen zur Verfügung stand, waren die nationalsozialistischen Machthaber überhaupt in der Lage, die Ungarn-Aktion anzuordnen und in der geschehenen Form auch durchführen zu lassen.“ Somit haben sich die SS-Mannschaften von Auschwitz-Birkenau generell der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht.
Die Ruhe ist vorbei
Das klang 1969 noch anders. Damals hatte der BGH im Fall des Lagerzahnarztes von Auschwitz, Willi Schatz, Straffreiheit verlangt, soweit das Morden nicht „konkret gefördert“ wurde. Im aktuellen Beschluss kritisierte der BGH das fast 50 Jahre alte Schatz-Urteil nicht. Jenes habe eine andere Frage behandelt, weshalb man nun auch nicht davon abweiche. Vermutlich ging es bei dieser Einschätzung ebenfalls um eine Beschleunigung des Verfahrens, weil nun sofort entschieden werden konnte und nicht der Große Strafsenat des BGH angerufen werden musste.
Das BGH-Urteil von 1969 hatte allerdings dazu geführt, dass die Auschwitz-Wachmannschaften jahrzehntelang in Ruhe gelassen wurden. Erst als das Landgericht München 2011 den Ukrainer John Demjanjuk allgemein für seine Tätigkeit im Vernichtungslager Sobibor verurteilte, kam wieder Bewegung in die Justiz. Nun wurde auch gegen die wenigen noch lebenden, heute greisen SS-Leute von Auschwitz ermittelt. Das Demjanjuk-Urteil konnte allerdings nicht rechtskräftig werden, weil der Angeklagte kurz nach dem Münchener Urteil starb.
Um so wichtiger ist nun die BGH-Entscheidung im Fall Gröning. Die Vertreter der Nebenklage begrüßten den Beschluss. Endlich sei klar: „Auschwitz war ein Ort, an dem man nicht mitmachen durfte.“
(Az.: 3 StR 49/16)
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