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Azubimangel im BauKnochenjobs zu vergeben

Überall im Norden fehlt dem Baugewerbe der Nachwuchs. Das liegt an den schlechten Arbeitsbedingungen, sagt die IG Bau.

Bald könnte es auf Baustellen ziemlich einsam werden: Dem Baugewerbe gehen die Azubis aus Foto: Christophe Gateau/dpa

Hamburg taz | Die Coronapandemie kann der Branche fast nichts anhaben: Im Baugewerbe sind die Auftragsbücher voll. Doch ein anderes Problem macht der Bauwirtschaft zu schaffen: Es mangelt an Nachwuchs. Überall im Norden ist die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze gestiegen. Spitzenreiter ist Hamburg.

Laut der Gewerkschaft IG Bau liegt das – trotz vergleichsweise guter Bezahlung – an den miesen Arbeitsbedingungen im Gewerbe. Das sieht der Arbeitgeberverband allerdings gänzlich anders und vermutet lediglich ein schlechtes Image als Ursache.

Nach Angaben der IG Bau waren 70 Prozent aller Hamburger Ausbildungsplätze auf dem Bau, die am 1. August starteten, zu diesem Stichtag noch unbesetzt gewesen. Das entspricht einem Anstieg von fast 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zwar gibt es laut der IG Bau in städtischen Ballungsgebieten wegen der großen Anzahl an alternativen Ausbildungsplätzen immer einen etwas höheren Wert an freien Stellen.

Aber auch im ländlichen Bereich sieht es kaum besser aus. So waren etwa im Landkreis Göttingen noch 54 Prozent aller Ausbildungsplätze nicht vergeben, im Emsland 68 Prozent. Ähnliche Werte lassen sich in nahezu allen Regionen finden.

Gewerkschaft fordert Wegezeitentschädigung

„Zwar ist das Ausbildungsgehalt vergleichsweise gut, allerdings sind die Arbeitsbedingungen zu wenig attraktiv für junge Leute“, sagt Andre Grundmann, Regionalleiter der Gewerkschaft im Norden. Tatsächlich ist das Ausbildungsgehalt in dieser Branche überdurchschnittlich. Im ersten Lehrjahr verdienen Azubis 850 Euro und im vierten Lehrjahr sogar 1.580 Euro pro Monat.

Dass das Interesse dennoch sinkt, erklärt Grundmann einerseits damit, dass die branchentypisch harte und körperlich anstrengende Arbeit bei Wind und Wetter immer mehr junge Leute abschrecke. Besonders problematisch seien zudem die langen Fahrtwege zu den Baustellen, die von den Arbeitgebern nicht bezahlt werden.

„Wer einen festen Arbeitsplatz hat, kann sich die Entfernung des Wohnsitzes dorthin aussuchen – im Bau geht das nicht“, sagt Grundmann. Und so komme durch das tägliche Pendeln zur Baustelle eine enorme unbezahlte Stundenzahl zusammen. Laut IG Bau kommen auf jede*n Arbeiter*in für die Fahrtzeiten von und zur Baustelle im Schnitt etwa 400 unbezahlte Stunden pro Jahr zusammen. Das will die Gewerkschaft ändern. „Wegezeit ist Arbeitszeit“, sagt Grundmann.

Aufseiten der Arbeitgeber gibt es dafür kein Verständnis. „Die Bauwirtschaft ist ein attraktiver Arbeitgeber, auch wenn die IG Bau derzeit versucht, die Branche schlechtzureden“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, Felix Pakleppa. Die Gewerkschaft versuche die Branche in ein schlechtes Licht zu rücken und dadurch junge Leute abzuschrecken.

Das sieht auch der norddeutsche Regionalverband so – er hält die Gewerkschaft für Nestbeschmutzer. „Die Gewerkschaft redet die Branche schlecht“, sagt deren Geschäftsführer Michael Seitz. Außerdem gebe es mit dem sogenannten Bauzuschlag schon eine unternehmerische Beteiligung für den ständigen Wechsel der Baustelle.

Grundmann kann die Wutder Arbeitgeberseite nicht nachvollziehen. Die Unternehmer müssten ja nicht unbedingt mehr zahlen, sagt er. Sie könnten stattdessen auch die Arbeitszeit auf dem Bau reduzieren. Man könnte auch darüber reden, nur den Teil der Fahrtzeit, der über eine durchschnittliche Anfahrtszeit in anderen Berufen hinausgeht, als Arbeitszeit gerechnet zu berechnen.

Die Arbeitsbedingungen sind zu wenig attraktiv für junge Leute

André Grundmann, Regionalleiter Nord der IG Bau

Unterdessen ist fraglich, ob wirklich nur das schlechte Image ursächlich für den Mangel an Azubis ist. Unter den aktuellen Auszubildenden spiegelt die hohen Abbrecherquote eine große Unzufriedenheit wider. Laut dem aktuellem Ausbildungs- und Fachkräftereport der Sozialkassen des Baugewerbes bringt jeder dritte Auszubildende im Baugewerbe seine Ausbildung nicht zu Ende.

Nun könnte ein Arbeitskampf zwischen der Gewerkschaft und dem Baugewerbe bevorstehen. Die laufenden Tarifverhandlungen im Bauhauptgewerbe, zu dem etwa der Rohbau, Hoch- und Tiefbau oder der Straßen- und Landschaftsbau gehören, hat die IG Bau abgebrochen. Der zentrale Streitpunkt ist auch hier die Wegezeitentschädigung

Am kommenden Freitag soll deshalb auf dem Hamburger Heiligengeistfeld eine Kundgebung stattfinden, auch in Bremen wollen Bauarbeiter*innen protestieren.

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12 Kommentare

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  • Die Bauwirtschaft und Bauindustrie hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Zwar werden klassische Fachkompetenzen aus der Bauwirtschaft nicht verschwinden. Aber die Schwerpunkte haben sich gewandelt. Man denke nur an die neuen Bereiche im Bereich Digitalisierung, Industrie 4.0, schwere Lasten werden nicht mehr ausschließlich von Menschenkraft transportiert. Dafür gibt’s Hebetechnik Geräte (vgl. www.ro-tech.de/ ), Maschinen und andere Hilfsmittel. Auch wir haben gemerkt, dass Computerarbeit, digitale Apps die Arbeit in eine andere Richtung lenken.

  • Nun ja, von welchen Bauunternehmen reden wir? Regionale Firmen mit einem relativ kleinen Einzugsgebiet oder die Bauindustrie mit den Großbaustellen? Bei den regionalen Firmen wird das oft im Kollegenkreis organisiert, der Chef stellt ein entsprechendes Fahrzeug und einer fährt halt die Sammeltour. Bei uns sind es eh 2-3 Mann in der Kolonne, auf die Wohnorte wird bei der Zusammenstellung Rücksicht genommen und die Einheit hat ihren eigenen Dienstwagen.



    Und spätestens, wenn die Azubis mit 18 einen Führerschein haben und ein eigenes Auto, fährt ein Teil selber, koste es, was es wolle ;-)

  • Die Wege zu Baustellen muss jeder selbst organisieren und bekommt dafür nichts? Das wusste ich nicht.

    Also bei uns ist es selbstverständlich, dass die Firma sowohl die Reise (Mietwagen, Tickets) als auch den Aufenthalt (Hotel) auf Montage organisiert und bezahlt.

    Diese Ausbeuter. Was soll denn von 850€ übrigbleiben, wenn der Stift selber jeden Tag 200km fahren und bezahlen muss?

  • Das ließe sich bestimmt mit einer Frauenquote verbessern.

  • Meiner persönlichen Erfahrung nach würde ich schätzen, dass die völlig unmöglichen Umgangsformen zwischen Bauarbeiter*innen die gesundheitsschädlichen Tätigkeiten und das permanente standardmäßige Missachten von Sicherheitsvorschriften ebenfalls eine Rolle spielen. Statistische Untersuchungen habe ich aber auch keine.

    • @syle x:

      Haben Sie selber Erfahrung auf dem Bau? Nach 40 Jahren (Bereich Haustechnik) denke ich, daß da sehr viel Vorurteile mitspielen.



      Die Umgangsformen sind andere als im Büro, ehrlicher, auch mal rauher, aber durchaus nicht "unmöglich".



      Die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften ist (Belehrungen/Einweisungen sind Arbeitgebersache und auch zu dokumentieren) obliegt im Eigeninteresse dem Arbeiter, man sollte aber auch mal die Arbeit bei nachweislichen Mängeln nicht angehen (z.B. unsicheres Gerüst), sondern sich entsprechend beschweren.

      • @Wundersam:

        Hab mehrmals im Sommer für die Saison Dachdecker, Abriss oder ähnliches gemacht. (kurzer Eindruck; schon klar)

        Ehrlicher ist es bestimmt und waren auch gute Menschen aber wenn man in der Hierarchie unten steht, dann ist es halt nicht so einladend und ich war wenig gewillt als einziger die Gefahren zu reklamieren und wenn, dann wurde ich halt noch mehr angeschrien...

        • @syle x:

          Gut, ganz unten in der Hierarchie ist es natürlich schwieriger, etwas zu bewegen.



          Nur muß ich aus eigener Erfahrung, gerade bei Abriß und Demontagen, sagen, daß die am grünen Tisch entstandenen Sicherheitsvorschriften von Idealbedingungen ausgehen und mancherorts nur teilweise bis gar nicht umzusetzen sind. Die Arbeit muß trotzdem erledigt werden und hier ist dann halt Eigenverantwortung gefragt, wenigstens eine improvisierte Sicherung herzustellen und besonders aufmerksam zu sein.



          Ich hatte derlei Diskussionen mit den Weißhelmen, z.B. bei Montagearbeiten in Schächten, die entweder Platz für ein ordnungsgemäßes Gerüst oder die zu montierenden Teile hatten. Wir haben uns aus entsprechenden Materialien passende Arbeitsbühnen gebaut, es gab erst einen lauten Brüller und nach genauerer Inaugscheinnahme das OK.



          Aber klar, eine gewisse Dickfelligkeit braucht man schon.



          ein schönes und sicheres Wochenende.

    • @syle x:

      @syle x

      einspruch...

      die umgangsformen unter bauleuten sind derb aber herzlich.



      ehrlicher als in jedem büro !

      bin bau-mann.

  • 8G
    83492 (Profil gelöscht)

    Ich verstehe nicht, warum in Deutschland Fahrzeiten zu Baustellen keine Arbeitszeit sind. Es gab eine Entscheidung des EuGH, dass bei Arbeitnehmern ohne festen Arbeitsplatz die Anfahrt zum ersten und Heimfahrt vom letzten Einsatzort des Tages Arbeitszeit ist. Wer auf Baustellen arbeitet, hat keinen festen sondern einen wechselnden Arbeitsplatz, da müsste doch das Urteil gelten.

    "Das mit der Rechtssache befasste spanische Gericht legte dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens die Frage vor, ob die Zeit, die die Arbeitnehmer*innen für die Fahrten zu Beginn und am Ende des Tages aufwenden, Arbeitszeit im Sinne der "Arbeitszeitrichtlinie" (Richtlinie 2003/88/EG) ist. Der EuGH bejahte dies.

    Die Zeit, die Arbeitnehmer*innen ohne festen oder gewöhnlichen Arbeitsort für Fahrten zwischen ihrem Wohnort und dem Standort des ersten und des letzten Kunden des Tages zurücklegen, stellt Arbeitszeit dar."

    www.dgbrechtsschut...n/details/anzeige/

    • @83492 (Profil gelöscht):

      Es verhält sich so:



      Wird zunächst auf Weisung der Führungskraft ins Büro gefahren und anschließend zur Baustelle, zählt der Weg zur Baustelle als Arbeitszeit. Ist Arbeitsbeginn wiederum auf der Baustelle, zählt diese als (vorübergehend) fester Arbeitsort. Das verhält sich dann wie mit einem Büro, das immer mal wieder umzieht.

      Das von Ihnen genannte Urteil bezieht sich darauf, dass gar kein Büro mehr da ist und nur Kunden aufgesucht werden. Hierbei gibt es also gar keinen festen örtlichen Bezugspunkt, der einigermaßen regelmäßig zu Arbeitsbeginn aufgesucht wird.

  • Sollen sie doch selber arbeiten, die Bau-Arbeit-„Geber“, wenn ihre Jobs so attraktiv sind!

    Aber das wollen sie offenbar nicht. Sie wollen lieber arbeiten lassen. Wobei die „guten alten Zeiten“ vorbei zu sein scheinen, in denen die Arbeit-„Geber“ (oder muss ich neuerdings Arbeit-Gebende sagen?) die Arbeitsbedingungen einseitig diktieren konnten. Wird ja auch Zeit!

    Zumindest im Westen der Republik scheint der Trend in Richtung eines echten Arbeits-Marktes zu gehen, auf dem Arbeit-„Nehmer“ bzw. -Nehmende und Arbeit-„Geber“ bzw. -Gebende gleichberechtigte Verhandlungspartner sind. In einer Marktwirtschaft sollte das eigentlich der Regelfall sein, oder?

    In anderen Branchen müssen Anbieter schließlich schon lange attraktive Angebote unterbreiten, wenn sie Kunden überzeugen wollen von ihren Angeboten - oder wenigstens gehirnwäscheartig dafür werben.

    Wobei. Das mit der Werbung ist in diesem Fall wohl nicht so einfach. Der „Kunde“ muss ja nicht nur einen Vertrag unterschreiben. Er sollte auch nicht unbedingt gleich wieder kündigen, weil sich die Werbung als Schwindel entpuppt.

    Also, liebe Job-Verkäufer, denkt euch schleunigst etwas aus, wenn ihr auch morgen noch Profit ziehen wollt aus der Arbeit anderer. Und wenn ihr auch zum Selber-Denken zu faul seid, nehmt wenigstens die Ideen der Gewerkschafter an. Die wollen schließlich euer Bestes. Schon deswegen, weil es auch ihr Bestes ist.