Avancen von Katy Perry: She kissed a boy …
… and he didn’t like it. Katy Perry hat bei der Castingshow „American Idol“ einen Kandidaten ungefragt geküsst. Kann man geil finden, muss man aber nicht.
#metoo? Ja, #metoo. Ich höre schon das Stöhnen, sehe das Genervt-mit-den-Augen-Rollen und es bimmelt der „Was-darf man-denn-überhaupt-noch?“-Klingelton. Deswegen vorab die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für diesen Text:
Nein, selbstverständlich ist der hier beschriebene Fall nicht so schlimm wie eine Vergewaltigung. Nein, niemand geht davon aus, dass bleibende Schäden verursacht wurden. Doch, man darf schon noch flirten und sich näher kommen. Nein, die Menschheit stirbt nicht so bald aus – zumindest nicht wegen der #metoo-Debatte. Und ja, natürlich gibt es Wichtigeres auf der Welt. Es gibt immer Wichtigeres auf der Welt.
So, abgehakt, kommen wir zur Geschichte: In der ersten Folge der neuen Staffel von „American Idol“ (dem US-amerikanischen Vorbild von „Deutschland sucht den Superstar“) tritt der bei der Aufzeichnung 19-jährige Benjamin Glaze aus Oklahoma auf. Jung und etwas zu aufgesetzt schüchtern betritt er die Bühne. Der Juror Luke Bryan fragt Glaze, ob er jemals ein Mädchen geküsst und ob es ihm gefallen habe. Warum auch immer es sofort um dieses Thema geht. Na ja, ist halt ’ne mittelgut gescriptete Castingshow. Außerdem, hihi, ist es eine Anspielung auf den berühmtesten Song von Katy Perry („I kissed a girl and I liked it“) – und die sitzt ja hinter dem Jury-Pult neben Bryan.
Glaze antwortet sinngemäß: Nein, habe er noch nicht, da er noch nie in einer Beziehung gewesen sei und man ja nur ein Mädchen küssen dürfe, mit dem man zusammen sei. Das will Katy Perry so nicht durchgehen lassen, beugt sich übers Pult, „komm her, mein Freund“, und hält ihm ihre Wange entgegen. Bryan zückt sein Handy für ein Foto, der dritte Juror, Lionel Richie, macht die passenden Kuss-Geräusche vor. Glaze küsst Perry auf die Wange, die besteht auf eine Wiederholung. Und kurz bevor er wieder auf ihre Wange küsst, dreht sie den Kopf und küsst ihn auf den Mund. Glaze fällt vor Schreck um.
Es war wie der Klaps auf den Po der Sekretärin vor versammelter Mannschaft. Inklusive Gegröle, Gejohle und all dem „Das wird man doch noch machen dürfen“. Männer hätten sich jetzt abgeklatscht. Immerhin darauf verzichtet Katy Perry.
Jeder Eklat ist gut
Klar, es geht um eine Unterhaltungsshow und jeder Eklat ist gut, weil er Aufmerksamkeit bringt. Und das ganze Thema Küssen und Jungfräulichkeit und Schüchternheit und so scheint auch schon grob im Drehbuch gestanden zu haben. Glazes Musikkarriere dürfte es auch nicht schaden. Mit größter Sicherheit hätte er sich bei einem ernsthaften Übergriff auch zu wehren gewusst. Und überhaupt: Welcher Hetero-19-Jährige würde nicht gerne von Katy Perry geküsst werden? Ist doch eine Win-win-win-Situation.
Doch ist es deswegen geil? Geht so. Glaze fand es so mittel: „Wenn sie vorher gefragt hätte, ob ich sie küssen wollte, hätte ich Nein gesagt“, sagte er der New York Times. „Ich bin in einer konservativen Familie aufgewachsen und ich fühlte mich dabei unwohl. Ich wollte, dass mein erster Kuss etwas Besonderes würde.“ Sexuell belästigt fühle er sich aber nicht, schrieb Glaze auf seinem Instagram-Profil. Wie gesagt: Niemand wird mit bleibenden Schäden leben müssen.
Benjamin Glaze, Betroffener
Dennoch muss man sich nur mal den umgekehrten Fall vorstellen: Männlicher Juror küsst ungefragt eine junge Teilnehmerin, die anschließend sagt: Wäre ich gefragt worden, hätte ich Nein gesagt. Es gäbe vermutlich – egal ob das Ganze inszeniert gewesen war oder nicht – zu Recht einen lauten Widerhall der Empörung. Und überhaupt verdeutlicht die Szene den schmierigen, jovialen, spätpubertären Unterhaltungs-Schwachsinn, wie er auch in Deutschland einst bei „Wetten, dass..?“ in Dauerschleife vorgetragen wurde. Sie wissen schon: Hier, mein Lieber, die Michelle, wär das eine? Frauen, haltet eure Männer fest. Männer, haltet eure Frauen fest.
Das berührte einen schon damals unangenehm – und es ist heute auch dadurch nicht erträglicher, dass, wie bei „American Idol“, die Geschlechterrollen mal umgedreht sind. Sie oben, er unten. Glaze wurde durch die in diesem Fall chauvinistische Katy Perry objektifiziert. Punkt. Eine kleine Machtdemonstration. Wie das sonst so häufig Frauen passierte und passiert.
Das mag die eine schlimm finden, die andere nicht. Schön mit anzusehen ist es aber eigentlich nie.
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