Autorin über Männergewalt in der Ehe: „Täter werden ausgeblendet“
Die Journalistin Antje Joel hat ein Buch über häusliche Gewalt geschrieben. Kein Moment sei für Frauen lebensgefährlicher als der der Trennung.
taz: Frau Joel, Ihr Ex-Mann hat Sie immer wieder brutal verprügelt. Mehrfach haben Sie schon anonym darüber geschrieben. Warum jetzt, nach so vielen Jahren, ein Buch unter Ihrem Namen?
Antje Joel: Moment mal. Das Konzept habe ich vor acht Jahren das erste Mal angeboten. Das wollte aber kein Verlag haben.
Eine preisgekrönte Journalistin schreibt ein Buch über ihre drastischen Gewalterfahrungen beim Tabuthema häusliche Gewalt. Warum haben Verlage das abgelehnt?
Die Begründungen waren unterschiedlich. Die einen haben gesagt: Das ist schrecklich, das will doch keiner lesen, das hält man ja nicht aus. Von anderer Seite gab es Bedenken, dass ich nicht unbedingt das sympathischste Opfer bin …
Was war damit gemeint?
Als ich mich aus den gewalttätigen Ehen gelöst habe, bin ich für kurze Zeit ohne meine Kinder gegangen. Anders war es mir zu dem Zeitpunkt nicht möglich, ich hatte nichts mehr zu geben, ich war leer. Der Verlag meinte dann, ich hätte ja meine Kinder im Stich gelassen, das sei höchst unsympathisch.
Jahrgang 1966, arbeitet seit 1994 als freie Autorin. Für ihre Texte wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Mit 16 lernte sie ihren ersten Ehemann kennen, der sie schon bald und immer wieder krankenhausreif prügelte. Auch in ihrer zweiten Ehe erlebte sie psychische und physische Gewalt. Vor zwölf Jahren zog die Mutter von sechs Kindern ins Ausland – auch um sich zu schützen. An der Universität Worcester in England studiert Joel derzeit „Understanding Domestic Violence and Sexual Assault“. Ihr Buch „Prügel. Eine ganz gewöhnliche Geschichte häuslicher Gewalt“ ist bei Rowohlt erschienen.
Ein Opfer muss also jederzeit sympathisch sein, damit sich ein Buch verkauft?
Das sagt doch viel über unsere Gesellschaft aus und bei wem wir die Schuld suchen. Noch 30 Jahre nach meiner sehr gewalttätigen ersten Ehe werde ich immer wieder mit der Frage konfrontiert, warum ich denn nicht einfach gegangen bin und wie ich denn bitte da hineingeraten bin. Der Fokus liegt nicht darauf, warum ein Mann mir, einem damals 16-jährigen Mädchen, das angetan hat, sondern warum ich mir das habe bieten lassen. „Du musst ja ziemlich dumm gewesen sein“, sagte neulich ein Mann, dem ich von dem Buch erzählte. Das ist genau der Grund, warum ich mich entschieden habe, offen über meine Erfahrungen zu sprechen. Man hat mich lange genug in diese Ecke „geshamed“.
Was ist eigentlich häusliche Gewalt, wo fängt sie an?
Dazu möchte ich Evan Stark zitieren, einen amerikanischen Forensiker, der sich seit Jahrzehnten mit häuslicher Gewalt beschäftigt: „Wenn Sie auf körperliche Anzeichen häuslicher Gewalt warten, dann werden Sie 98 Prozent aller Fälle übersehen.“ In England gibt es einen Straftatbestand, der nennt sich „Coercive Control“ – Zwangskontrolle. Also wenn Sie jemanden durch Erniedrigung, Beleidigung, finanzielle oder soziale Kontrolle, Manipulation kleinhalten. Körperliche Gewalt ist nur ein Verstärker. Mein zweiter Mann hat mich erst am Ende unserer 14-jährigen Ehe geschlagen. Ich hätte in den ersten Jahren gar nicht gewagt, die Formen psychischer Gewalt zu sehen und zu sagen, „du tust mir hier etwas an“. Der Mann schlug mich – noch – nicht, das empfand ich schon als großes Glück.
Haben Sie ein Beispiel für diese Zwangskontrolle?
In meiner zweiten Ehe habe ich das Geld für uns und unsere sechs Kinder verdient, aber mein Mann hat es verwaltet – dafür hatte ich gar keine Kapazitäten mehr. Wenn ich mich dann aber gewundert habe, warum das Geld so schnell weggeht, dann sagte er: „Dann mach das doch gefälligst selbst.“ Es war keine Diskussion auf Augenhöhe möglich, es kam sofort eine Drohung.
Was sagen Sie den Menschen, die fragen, warum Sie denn nicht „einfach gegangen sind“?
Als ob Frauen einfach nur gehen bräuchten! Dazu muss man verstehen, welche Abhängigkeitsverhältnisse die Beziehung mit einem Gewalttäter beherrschen – Evan Stark vergleicht es mit einer psychologischen Geiselhaft. Selbst in der vermeintlichen Ruhephase, in der die Gewalt nicht eskaliert, übt der Mann Kontrolle aus. Und selbst wenn die Frauen „einfach gehen“, wie sieht die Zukunft aus? Es gibt zu wenig Frauenhausplätze, 60 Prozent der Väter zahlen keinen Unterhalt. „Einfach gehen“ bedeutet häufig, dass Frauen lange, lange Zeit an der Armutsgrenze leben müssen. Aber jetzt kommt das größte Hindernis: 75 Prozent der massivsten Angriffe gegen Frauen, Mord inklusive, erfolgen in der Trennungsphase oder nachdem die Frau gegangen ist. Es sind nämlich die Männer, die nicht gehen. Sie lassen die Frauen nicht in Ruhe. Das ist ja auch klar, wenn man versteht, was häusliche Gewalt, also Zwangskontrolle ist.
Dunkelfelder-Studien gehen davon aus, dass rund 25 Prozent der Frauen zwischen 16 und 85 Jahren mindestens einmal in ihrem Leben Partnerschaftsgewalt erleben. Mit dem Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ gibt es unter der kostenlosen Telefonnummer 08000 – 116 016 Unterstützung in allen Fällen von Gewalt gegen Frauen.
Steckt hinter der Frage „Warum ist sie denn nicht gegangen“ auch eine Art Abgrenzung? Nach dem Motto: Ich selbst wäre natürlich gegangen, ich wüsste, was zu tun ist...
Indem ich die Schuld auch bei der Frau finde, vergewissere ich mich, dass mir das nicht passieren kann. Auf diese Art und Weise werden ganz geschickt die Täter ausgeblendet. Über sie wird ja fast nicht gesprochen. Das zeigt sich auch daran, mit welchen Worten über häusliche Gewalt geredet wird. Da wird aus „ein Mann hat seine Frau geschlagen“ ganz schnell „die Frau wurde geschlagen“ oder noch schlimmer „die Frau hat sich schlagen lassen“.
Wie gelingt es, die Aufmerksamkeit auf die Täter zu lenken?
Das hängt von der Bereitschaft der Gesellschaft ab, die richtigen Fragen zu stellen.
Welche Fragen sollte sie denn etwa stellen?
Wenn wir davon ausgehen, dass 12 Millionen Frauen in Deutschland, die schon einmal körperliche Gewalt von ihrem Partner oder Ex-Partner erlebt haben, nicht immer an dieselbe, kleine Gruppe gewalttätiger Männer geraten, dann muss es ja auch eine unglaubliche Zahl von Männern geben, die glauben, dass es okay ist, Frauen zu schlagen und zu erniedrigen. Die Frage ist: Warum glauben sie das und auf welche Weise befördern wir das? Immer noch herrschen bestimmte Bilder vor, wie Frauen und Männer, wie romantische Beziehungen zu sein haben.
Es wird sicher Männer geben, die sagen, dieses Buch stellt uns doch wieder alle in die gleiche Ecke.
Das ist das, was der amerikanische Pädagoge und Filmemacher Jackson Katz statistische Taubheit nennt: Wenn er in einem Vortrag sagt „99 Prozent aller Vergewaltiger sind Männer“, dann könne er sicher sein, dass die Hälfte des Publikums versteht „99 Prozent aller Männer sind Vergewaltiger“. In meinem Buch geht es um Gewalttäter, und es müsste doch für nicht gewalttätige Männer ein übergeordnetes Interesse geben, sich von diesen Männern zu distanzieren. Und zwar nicht nur mit Worten, sondern mit echter Unterstützung.
In Ihrem Buch tauchen Richter, Polizisten, Ärzte, Therapeuten, Familie, auch Nachbarn auf, die die Gewalt gegen Sie indirekt oder direkt unterstützt haben.
Das ist mir beim Schreiben besonders schwergefallen: Noch einmal diese Einsamkeit, dieses Ausgeliefertsein zu spüren. Einmal hat mich die Nachbarin von unten drunter auf der Treppe beiseitegenommen und gesagt: „Geht das nicht ein bisschen leiser bei Ihnen da oben, Sie wissen schon.“
Was aber sind die richtigen Reaktionen?
Ich hätte mir gewünscht, die Menschen wären mir auf Augenhöhe begegnet. Was oft übersehen wird, sind die Kompetenzen von Frauen, die in gewalttätigen Beziehungen leben. Unter solchen Umständen zu arbeiten, Kinder großzuziehen, das erfordert viel Kraft. Stattdessen werden Frauen gern zu hilflosen Opfern degradiert, die es nicht schaffen, „einfach zu gehen“. Hört den Frauen zu, glaubt ihnen, nehmt sie ernst, respektiert sie! Und sagt nicht: „Du musst doch, du solltest, du kannst doch nicht...“ Das ist nämlich genau die Perspektive, aus der der Täter mit ihr spricht: „Du kannst es nicht und ich regele das jetzt für dich.“
In Ihrem Buch gibt es den eindringlichen Satz: „Ich will hier niemandem die Gelegenheit geben, sich zu distanzieren.“
Es ist eben nicht nur ein Buch für von Gewalt betroffene Frauen. Betroffen von den Auswirkungen und verantwortlich für das Entstehen und Verschweigen häuslicher Gewalt sind wir alle.
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