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Autorin über DDR-Umerziehungsheime„Erst mal den Willen brechen“

Grit Poppe lässt Betroffene über ihre Zeit in Umerziehungsheimen der DDR berichten. Die Methoden waren so ähnlich wie in den Haasenburg-Heimen.

Ein Raum des ehemaligen Jugendwerkhofes Torgau. Heute befindet sich dort eine Gedenkstätte Foto: dpa / Peter Endig
Kaija Kutter
Interview von Kaija Kutter

taz: Frau Poppe, liest man die Berichte in Ihrem Buch, bekommt man schlechte Laune.

Grit Poppe: Das tut mir leid.

„Die Weggesperrten“ erzählt von Umerziehung in Spezialheimen der DDR. Warum ist das heute noch Thema?

Weil die Schicksale dieser Kinder wenig bekannt sind. Es gibt das Vorurteil: Wer im Jugendwerkhof war, muss was angestellt haben. Wegen dieser Abwertung schweigen viele. Doch wurden sie zu Unrecht weggesperrt. Manche wurden rehabilitiert, aber viele bis heute nicht.

Die waren einfach arm?

Es gab auch welche, deren Familien politisch auffielen. Aber die meisten der in Spezialheime Eingewiesenen kamen aus sozial schwierigen Verhältnissen. Wenn die Mütter arbeiteten, wie es Pflicht war, und es waren viele Kinder im Haus und kein Vater, hatten die dieses Stigma des Asozialen an der Backe. Sie waren unter Aufsicht der Jugendhilfe und es reichte eine Kleinigkeit, wie zum Beispiel Schule schwänzen.

Woher kennen Sie Opfer?

Ich habe zwei Romane geschrieben, deren Protagonisten im Jugendwerkhof Torgau landeten: ‚Weggesperrt‘ und ‚Abgehauen‘. Über die Recherchen und Lesereisen lernte ich mehr und mehr kennen. Manche beschäftigten sich erst spät mit ihrer Geschichte, wenn eine Krise alte Gefühle hervorholte. Ich habe auch Betroffene zur Gedenkstätte Torgau begleitet. Da existieren noch die Dunkelzellen im Keller, in denen sie eingesperrt waren.

Bild: privat
Im Interview: Grit Poppe

57, schrieb mit ihrem Sohn Niklas das Buch „Die Weggesperrten“ mit Berichten von Heimkindern der DDR sowie Exkursen in die NS-Zeit, zu den „Verdingkindern“ in der Schweiz, in ein Jugendfürsorgeheim der BRD und in Heime der Gegenwart. Für ihren Roman „Weggesperrt“ über eine Jugendwerkhof-Bewohnerin erheilt sie den Gustav-Heinemann-Friedenspreis für Kinder- und Jugendbücher.

Warum widmen Sie ein Kapitel der Haasenburg?

Als ich 2013 die taz-Berichte über diese Heime las, dachte ich, das kann nicht wahr sein. Es gab so viele Parallelen zur Umerziehung im Jugendwerkhof. Zum Beispiel der „Empfang“ am Anfang, der die Jugendlichen unter Schock setzen sollte.

Die ‚Explosionsmethode‘ von Anton Makarenko?

Genau. Dass die neu Eingewiesenen erst mal so eingeschüchtert werden, dass sie sich dann tatsächlich diesen Bedingungen anpassen. Dieses Schema gab es in den Umerziehungsheimen der DDR. Und auch in der Haasenburg gab es diese Rote Phase, wo die Insassen völlig entrechtet waren, alles abgeben mussten, Leibesvisitationen ertragen mussten von völlig Fremden, an die Tür klopfen, wenn sie aufs Klo mussten. Überhaupt, dieses Einsperren ohne Kontakt nach draußen. Das war alles ein bisschen anders, aber trotzdem gleich. Also den Willen brechen und die Persönlichkeit erst mal zerstören, weil die als rebellisch gilt.

Ein Erziehungskonzept aus Diktatur-Zeiten, schreiben Sie.

Ja. Wir beschäftigen uns im Buch auch mit dem Nationalsozialismus. In dieser Zeit wurden Kinder, die als „unerziehbar“ galten, mitunter sogar im Rahmen der „Euthanasie“ getötet. Statt Erziehung sah man hier im Zweifelsfall Vernichtung vor, das war in der DDR natürlich nicht so. In den ‚Jugendschutzlagern‘ beziehungsweise Jugend-KZs der Nazis gab es jedoch auch Strafsport und solche Strafmaßnahmen, die dann irgendwie später wieder auftauchten. Es fehlte in der DDR nach 1945 eine Hinterfragung von Heimerziehungsmethoden. Im Westen zunächst auch, doch seit 1968 bis in die 1970er hinein fanden dann in den Heimen Revolten statt. Die Zustände änderten sich im Westen, Schwarze Pädagogik wurde geächtet. Im Osten gab es diese Auseinandersetzung mit der repressiven Erziehung nicht. Gerade in den geschlossenen Heimen hat sich da viel vom alten Denken erhalten – wie man auch an den Haasenburg-Heimen sieht. In Brandenburg versagte zudem die Kontrolle des Landesjugendamtes. Die Betroffenen sagen, sie hätten keinen von denen gesehen. Und wenn, dann durften sie nicht reden.

Sie sagen, es fehlt die Aufarbeitung. Ist es nicht Konsens, dass Torgau schlimm war?

Nein. Manchmal hört man auch Sätze wie: Das war richtig, diese „schwierigen“ Jugendlichen wegzusperren, man müsste so etwas wie den geschlossenen Jugendwerkhof wieder aufmachen.

Ist Anpassung ein Ideal aus real-sozialistischen Zeiten?

Ja. Umerzogen werden sollten die Kinder und Jugendlichen ja zu ‚sozialistischen Persönlichkeiten‘. Da war ja fast jedes Mittel recht. Man hat sich nach 1989 sehr über die Stasi empört. Aber was da in den Heimen lief, hatte niemand auf dem Schirm.

Muss es Entschädigung für die Haasenburg-Kinder geben?

Ja. Da wurden Menschenrechte mit Füßen getreten, das kann ein Rechtsstaat nicht akzeptieren. Es war ein Systemversagen. Die Leute sind traumatisiert und brauchen Unterstützung.

Die Bücher

„Die Weggesperrten. Umerziehung in der DDR – Schicksale von Kindern und Jugend­lichen“: Propyläen 2021, 416 S., 22 Euro; E-Book 18,99 Euro

„Weggesperrt“: Oetinger Taschenbuch 2011, 336 S., 8 Euro; E-Book 6,99 Euro

„Abgehauen“: Oetinger Taschenbuch, 2015, 336 S., 6,99 Euro; E-Book 6,99 Euro

Für die DDR-Heimkinder gab es bereits einen Fonds. Zu wenig?

Es war ein Tropfen auf dem heißen Stein. Sie konnten Sachleistungen für bis zu 10.000 Euro beantragen. Manche mussten ganz ausführlich erzählen, dass sie geschädigt wurden. Bei anderen wurde gesagt: „Okay, wir glauben Ihnen.“ Und dann konnten sie ein kaputtes Haushaltsgerät ersetzen. Sie mussten alles einzeln beantragen und abrechnen.

Das klingt bevormundend.

Es regte viele auf. Dazu kommt, dass es keine Rehabilitierung im eigentlichen Sinne ist. Aber das wollen die Betroffenen. Schwarz auf weiß die Anerkennung dafür, dass ihnen Unrecht angetan wurde.

Also brauchen wir Entschädigung für junge und alte Opfer?

Ja. Vielleicht sollte man jemanden auf Bundesebene einsetzen, der sich um alle Heimkinder kümmert.

Sie waren DDR-Bürgerin. Wusste man davon?

Von Torgau nichts. Das war Tabu. Die Insassen mussten bei ihrer Entlassung unterschreiben, dass sie nichts sagen. Taten sie es doch, kamen sie wieder rein.

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