Autor über die Klimakrise in Romanen: „Es wird Leid geben und Gewalt“

Literatur, die realistisch bleiben will, muss den Klimawandel behandeln. Ein Gespräch mit dem Science-Fiction-Autor Kim Stanley Robinson.

Personen mit bunten Gewändern, denen die Hitze ins Gesicht bläst

„Wollen Sie den Lesern Angst machen?“ Robinson: „Ja.“ Sandsturm und Hitzewellen in Indien Foto: Imago

taz: Herr Robinson, Sie sind Science-Fiction-Autor. Was hat Sie dazu gebracht, sich mit dem Klimawandel zu befassen?

Kim Stanley Robinson: Anfang der neunziger Jahre reiste ich in die Antarktis, um für meine Mars-Trilogie zu recherchieren. In den Romanen geht es um das Terraforming, also die Schaffung eines Klimas auf dem Mars. In der Antarktis sprachen alle Wissenschaftler über den Klimawandel. Und sie beklagten, dass niemand über den Anstieg des Meeresspiegels spreche, obwohl dieser massiv sein werde. 2002 lieferte uns dann das Grönland-Eisbohrprojekt das Klima für Millionen Jahre.

1952 in Waukegan in Illinois, geboren, wurde bekannt durch seine Mars-Romane, die das Terraforming imaginieren, also die Schaffung eines erdähnlichen Klimas, und die Trilogie „Green Earth“ über die Aus­wirkungen des abrupten Klima­wandels auf die Stadt Washington. Robinson lebt in Davis, Kalifornien.

Die Eiskerndaten zeigten, dass das Weltwetter innerhalb von drei Jahren von warm und feucht zu kalt und trocken umschlagen kann. Dafür schufen die Wissenschaftler den Ausdruck „abrupter Klimawandel“, und damit meinten sie wirklich abrupt. Da wurde mir klar, dass es hier etwas zu erzählen gibt.

Sie schrieben die Trilogie, die heute in dem Band „Green Earth“ zusammengefasst ist. Darin entwerfen Sie die Zukunft Washingtons nach dem Abreißen des Golfstroms.

Die Romane wurden aufgenommen, als ob es sich um reine Science-Fiction handelte. Heute ist sich die ganze Welt bewusst, dass es tatsächlich um eine sehr gegenwärtige Gefahr für alle geht. Die Hitzewellen, die Wirbelstürme, die Überschwemmungen der letzten fünf Jahre und auch die IPCC-Berichte haben dies verändert.

Ihre Science-Fiction ist keine spekulative Literatur mehr.

Genau. Sie ist zu einem Realismus geworden. Ich sehe die Science-Fiction der nahen Zukunft als einen Realismus, der dem Ziel vorausschießt, um es zu treffen. Um realistisch zu bleiben, muss man über den Klimawandel schreiben. Ein Science-Fiction-Autor muss die Zukunft bringen, sie lebendig werden lassen wie eine gelebte Erfahrung. Denn solche Erfahrungen prägen einen, auch wenn sie fiktiv sind. Die Lektüre von Science-Fiction hat also auch politische Bedeutung.

Sie leben in Kalifornien. Was bedeutet das für Ihr Schreiben?

Kalifornien hat in der Science-Fiction eine starke Tradition. Aber ich erlebe hier auch die Auswirkungen des Klimawandels. Das Land beginnt, Wüste zu werden, die Waldbrände nehmen zu, wir verlieren die Schneedecke. In diesem Sommer bin ich in die High ­Sierra gefahren, um auf den Basin Mountain zu steigen. An der Stirnwand einer Bergschlucht waren bisher sieben Gletscher zu sehen. Zugegeben, sie waren klein, aber jetzt sind sie alle weg.

Ihr Roman „Das Ministerium für die Zukunft“ antizipiert die Welt in den nächsten zwanzig Jahren. Eine Hitzewelle in Indien fordert Millionen Todesopfer. Los Angeles geht unter, auf der ganzen Welt fliehen Menschen vor Dürre und Fluten. Aber es formiert sich auch der Widerstand. Gab es ein bestimmtes Ereignis, das den Roman veranlasst hat?

Ja, aber das Ereignis waren die wissenschaftlichen Berichte zur Feuchtkugeltemperatur: Menschen, die einer Kombination von großer Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit ausgesetzt sind, können nicht überleben. Sie sterben in wenigen Stunden an Überhitzung. Diese Kombination aus Hitze und Feuchtigkeit wird in Zukunft immer häufiger auftreten, nicht nur in den Tropen.

Eine der höchsten jemals gemessenen Feuchtkugeltemperaturen wurde nahe Chicago gemessen, also weit im Norden. Ökonomen glauben, der Mensch kann sich an alles anpassen, als sei die Wirtschaft mächtiger als die Realität. Diese Leute sind verblendet.

In Ihrem Roman führen Sie eine Vielzahl von Stimmen und Perspektiven auf. Sie erzählen die Geschichte von Mary Murphy, der Leiterin des UN-Ministeriums für die Zukunft, und Frank, einem Klimaaktivisten mit traumatischer Erfahrung. Aber Sie lassen auch Kollektive zu Wort kommen, Fischer, Bergleute, Flüchtlinge. Dazu gibt es Kapitel über Blockchain, Gletscher, Landreformen in Indien oder die spanische Genossenschaft von Mondragón. Was war die Idee dahinter?

Kim Stanley Robinson: „Das Ministerium für die Zukunft“. Aus dem Amerikanischen von Paul Bär. Heyne Verlag, München 2021. 720 Seiten, 17 Euro

Das Festival: Vom 27. 11. an erkundet in Berlin das Climate Cultures Festival „Planet schreibt zurück!“, wie sich die Klimakrise in Literatur, Film und Fotokunst niederschlägt. Schwerpunkte sind die arktischen Kulturen, die Petromoderne und das Klima in der Science-Fiction. Kim Stanley Robinson wird teilnehmen, außerdem die AutorInnen Ulrike Draesner, Esther Kinsky, Katharina Hagena, Lukas Bärfuss, Helon Habila, Regina Kanyu Wang und Chen Qiufan sowie der britische Kulturgeograf Mike Hulme und der grönländische Autor und Politiker Aqqaluk Lynge. Bis 29. 11. Infos: planet-festival.de/

Der Roman als literarische Gattung ist eigentlich eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, um von Menschen aus dem Bürgertum zu erzählen, die ihr individuelles Leben gegen die Gesellschaft und die Geschichte stellen. Wie konstruiert man nun einen Roman über den Klimawandel, der alle Menschen auf der Welt betrifft? Meine Lösung war die Vielzahl der Stimmen und Stile: Augenzeugenberichte, dramatische Szenen, Memos, Radio-Dialoge, Parabeln, Rätsel oder Mini-Erzählungen im Stil von Italo Calvino.

Aber es geht um den Klimawandel, ein intellektuell abstraktes, aber beängstigendes, katastrophales Thema. Wo bleibt da das Vergnügen? Ich dachte, es kann nur aus dem Spiel der Formen kommen. Es gibt diese schlichten Rezepte aus Hollywood, wie Romane funktionieren sollen, die inzwischen die gesamte Belletristik infiziert haben.

An den Universitäten werden sie in den Schreibschulen gelehrt. Ich lehne das alles ab. „Das Ministerium für die Zukunft“ ist kein bürgerlicher Roman. Er ist globaler, viel linker und radikaler, sowohl in der Form als auch im Inhalt.

Psychologie spielt in dem Roman auch kaum eine Rolle, Ihre Figuren werden getrieben von Tatsachen und Ereignissen. Ist das beabsichtigt?

Die modernen literarischen Fiktionen konzentrieren sich auf einzelne Protagonisten, die einzigartig oder außergewöhnlich sein sollen. Das ist der bürgerliche Roman, mit seinem Fokus auf dem individuellen Subjekt, als ob dies das Interessanteste für die Kunst wäre, und nicht die Beziehung der Menschen untereinander oder das Eingeständnis, dass wir alle ziemlich gleich sind.

Aber im „Ministerium für die Zukunft“ geht es genau darum, und all die Stimmen bringen diese Erfahrungen zum Ausdruck, egal ob einer von seinem Vater schlecht behandelt wurde. Der einzige Aspekt der Psychologie, der für viele Charaktere im „Ministerium für die Zukunft“ entscheidend ist, ist die posttraumatische Belastungsstörung. Das ist der ethische Zustand unserer Zeit geworden. Wir sind alle posttraumatisch.

Sie setzen in Ihrem Roman auf die Technologie. Indische Piloten pumpen Staub in die Atmosphäre, um die Temperaturen zu senken. In der Antarktis lassen Sie Wissenschaftler das Schmelzwasser der Gletscher abpumpen.

Sonnenstrahlungsmanagement heißt, Staub in die Atmosphäre zu streuen, um etwas Sonnenlicht abzulenken und die Temperaturen zu senken. Der Staub würde sich innerhalb von fünf Jahren senken. Was ist daran falsch? Wenn wir hingegen die Luft säubern, werden die Temperaturen steigen. Wir haben die großen Vulkanausbrüche als Beispiel und deswegen sollten wir mehr tun, um einen Ausbruch wie den Pinatubo nachzuahmen. Vielleicht würde das die Menschen davor bewahren, in Hitzewellen zu sterben.

Die andere Maßnahme, die ich in meinem Roman behandle, ist das Abpumpen des Schmelzwassers unter den großen Gletschern in der Antarktis und in Grönland. Das soll ihre Bewegung verlangsamen und ihr Abgleiten ins Meer aufhalten. Dadurch werden wir vielleicht in hundert Jahren keinen massiven Anstieg des Meeresspiegels haben. Was ist daran schlimm?

Fürchten Sie nicht unabsehbare Folgen des Geoengineerings? Oder dass sich eine profitorientierten Industrie die Technologie unter den Nagel reißt?

Geoengineering ist kein Komplott, um weiter fossile Brennstoffe zu verbrennen. Es gibt ein Geoengineering ohne Nachteile. Viele, die dagegen sind, verwechseln Wissenschaft und Kapitalismus. In Europa gibt es den Widerstand gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel, als seien sie gefährlich für den Menschen, obwohl das nachweislich nicht der Fall ist. Schon bevor wir moderne Menschen wurden, haben wir Pflanzen gekreuzt, also genetisch verändert. Es ist zum Wohle der Menschheit.

Die Leute sind trotzdem dagegen. Weil sich die Unternehmen das Genom aneignen würden. Sie sind also gegen den Kapitalismus, nicht gegen die Wissenschaft. Dieser Kategorienfehler ärgert mich, denn als amerikanischer Linker, als Umweltschützer, als Befürworter linker Lösungen für unsere sozialen und wirtschaftlichen Probleme scheint mir offensichtlich, dass die Wissenschaft eine Kraft zum Guten sein kann.

Das „Ministerium für die Zukunft“ in Ihrem Roman wurde als UN-Behörde geschaffen, zu Beginn scheint es ziemlich zahnlos zu sein, bis es eine Abteilung für geheime Operationen aufbaut. Die sabotiert Flugzeuge oder verwandelt Davos in ein postkapitalistisches Fortbildungscamp. Noch militanter werden die Children of Kali. Haben Sie das Vertrauen in die Politik verloren?

Ich bin ein ganz normaler amerikanischer Bürger aus der Mittelschicht. Ich glaube an Gewaltlosigkeit, Rechtsstaatlichkeit und ich würde gerne daran glauben, dass das politische System in der Lage ist, unser Problem zu lösen, weil es der beste Weg wäre, vielleicht der einzige. Aber das „Ministerium für die Zukunft“ soll realistisch sein: In den nächsten Jahrzehnten wird es Leid geben, Wut und Gewalt.

Wollen Sie den Lesern Angst machen?

Ja. Sie sollen denken, dass wir das Problem besser auf friedliche Weise lösen. Denn wenn wir die Gewalt entfesseln, kann sie uns wer weiß wohin führen. Ich selbst könnte von jemandem in die Luft gesprengt werden, der wütend ist, weil wir nicht genug gegen den Klimawandel getan haben. Es gibt ein gutes Buch von Erica Chenoweth: „Why Civil Resistance Works“. Sie argumentiert, dass Gewaltlosigkeit der effektivste politische Widerstand ist.

Andererseits hat der schwedische Philosoph Andreas Malm „How to Blow Up a Pipeline“ geschrieben. Er weist darauf hin, dass eigentlich bei allen gewaltfreien Widerstandsbewegungen, die erfolgreich waren, die Möglichkeit bestand, dass sie von einem gefährlichen, radikaleren, gewalttätigeren Flügel abgelöst werden. Vielleicht braucht man beides.

Aber ich würde sagen, dass wir uns an das Gesetz halten sollten. Sonst droht uns das Chaos.

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