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Autoindustrie in der CoronakriseUngewisser Ausgang

Was machen Corona- und Klimakrise mit der Automobilindustrie? Zwei Szenarien eines Nachhaltigkeitsforschers.

27. April, Wolfsburg: mit Mundschutz in der Produktion Foto: Swen Pförtner/dpa

Berlin taz | In diesen Tagen beraten die Ministerpräsidenten der Länder mit starker Autoindustrie über Stützungsmaßnahmen für die Branche. Bei der Videokonferenz von Markus Söder (CSU), Stephan Weil (SPD) und Winfried Kretschmann (Grüne) wird es um Hilfen wie eine neue Abwrackprämie gehen, die es auch für klassische Verbrennerautos geben soll. Vor allem Weil und Söder sind bereits mit Forderungen nach großzügigen Hilfen vorgeprescht.

Wird die Coronakrise die Autoindustrie stützen oder die Verkehrswende beschleunigen? Das ist offen, findet der Nachhaltigkeitsforscher Markus Wissen von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, der mit dem Gesprächskreis Mobilität der Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Positionspapier zur Autoindustrie veröffentlicht hat. „Die Krise kann ein Katalysator für den nachfolgenden Wandel sein“, sagt er.

Die Pandemie trifft die Autobranche hart. Im März ist die Zahl der neu zugelassenen Autos in der EU um 55 Prozent zurückgegangen. In Deutschland und anderen Ländern läuft die Produktion nach mehrwöchigem Stopp gerade erst wieder an. Wie hoch die Verluste sein werden, ist noch unklar. Unternehmen können einen Teil der Produktion etwa mit Sonderschichten nachholen, nicht jeder aufgeschobene Kauf ist ein aufgehobener. Trotzdem werden Rufe nach Hilfen für die Branche immer lauter. Darum wird es auch beim Autogipfel in der nächsten Woche im Kanzleramt gehen. Das Gespräch von Söder, Kretschmann und Weil ist eine Vorbereitung dafür.

Szenario 1: Zurück in den Vorkrisenmodus

Politikwissenschaftler Wissen hält zwei Szenarien für möglich: Im ersten kehrt die Autoindustrie in den Vorkrisenmodus zurück. Die Hersteller versuchen die Absatzdelle auszugleichen. Dabei könnte ihnen eine Abwrackprämie für AutokäuferInnen helfen, wie sie nach der Finanzkrise eingeführt wurde und wie sie jetzt von Automanagern gefordert wird. „Die Autohersteller nutzen die Coronakrise als Vorwand, um Boden gutzumachen, den sie verloren haben“, sagt Wissen. Schon vor Ausbruch der Pandemie hat die Branche unter sinkendem Absatz gelitten. Neben diesem konjunkturellen Problem haben die deutschen Hersteller ein strukturelles: Sie haben den Einstieg in das Geschäft mit Elektromobilität zu lange hinausgezögert.

Nach der Finanzkrise hat die Regierung die Zahlung für Autokäufe als „Umweltprämie“ bezeichnet. Ökologisch hat das nicht viel gebracht, weil die neuen Autos größer und damit klimaschädlicher waren. Auch jetzt könnte die Prämie ein ökologisches Mäntelchen bekommen, etwa an den CO2-Ausstoß gekoppelt werden.

Szenario 2: Der Einstieg in die Wende

Die Rückkehr zum Vorkrisenmodus hält Wissen für eine schlechte Option. „Das Schrumpfen der Autoindustrie ist ein klimapolitisches Muss.“ Der Verkehrssektor hat bei der Verringerung von CO2-Emissionen kaum Fortschritte gemacht. Deshalb hofft Wissen auf das zweite mögliche Szenario: die Coronakrise als Einstieg in die Mobilitätswende. „Wir müssen weg vom individuellen System der Mobilität, wir brauchen dringend eine Verkehrswende“, sagt er. „Dafür liegt in der Krise eine Chance.“

Was dafür spricht: Heute sind die Autohersteller in einer völlig anderen Lage als nach der Finanzkrise, in der sie der deutsche Staat mit der milliardenschweren Abwrackprämie gestützt hat. Heute wie damals gilt die Autoindustrie als Stütze der deutschen Wirtschaft, weil an ihr viele Arbeitsplätze hängen. Aber während die Autobauer vor zehn Jahren quasi sakrosankt waren, weil es nur wenige KritikerInnen gab, sind sie heute in weiten Teilen der Gesellschaft umstritten.

Der Dieselskandal hat das Vertrauen in die Redlichkeit der Branche erschüttert, mit Fridays for Future hat der Einsatz für Klimaschutz den Kreis der üblichen Verdächtigen weit überschritten. Dabei steht die Kritik am individuellen Autoverkehr ganz vorne. Das zeigen auch Aktionen wie zur Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt am Main im vergangenen September und die Gesprächsbereitschaft der Manager gegenüber AutokritikerInnen – das wäre im Umfeld der Finanzkrise nach 2008 undenkbar gewesen.

„Wir haben gerade die Politisierung der ökologischen Krise erlebt“, sagt Wissen. Gesellschaftliche Diskurse haben sich verschoben, hat er beobachtet. „Das schlägt sich nicht unmittelbar in staatlicher Politik nieder“, sagt Wissen. Aber es bleibe auch nicht folgenlos. „Das Klimapaket der Bundesregierung wäre ohne Fridays for Future noch schwächer ausgefallen“, sagt er.

Nur der Umstieg auf E-Autos reicht nicht

Der Politikwissenschaftler ist davon überzeugt, dass die Coronakrise auf eine andere Gesellschaft trifft als die Finanzkrise. Zurzeit machen viele Menschen völlig neue Erfahrungen. Nicht nur die urbanen Mittelschichten, auch Arbeiter aus der Autobranche leben entschleunigt, haben ihren Alltag grundlegend geändert – und sie sehen, was ökonomisch alles geht, wenn die Politik es will. Wissen: „Warum nicht diese Erfahrung für eine grundlegende sozialökologische Transformation nutzen?“

Mit dem Umstieg auf E-Autos ist es dabei nicht getan. Die Autoindustrie müsse heruntergefahren, im Gegenzug müsse etwa die Produktion für die ÖPNV-Infrastruktur heraufgefahren werden, sagt Wissen. Stadtplanung, Güter- und Personenströme müssten neu gestaltet werden. „Wir müssen Wirtschaft neu denken – und zwar von der Gebrauchswertseite“, fordert er. Für den Umbau der Autoindustrie ist nach Wissen eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung, dass der Staat in Unternehmen einsteigt. Bei VW ist das bereits der Fall, hier gehört das Land Niedersachsen zu den Anteilseignern. „Wir brauchen eine Vergesellschaftung der Autoindustrie“, fordert er.

Das bedeutet: Alle, die von Entscheidungen des Unternehmens betroffen sind – Beschäftigte, Anwohnende, Umweltgruppen –, werden an den Beschlüssen beteiligt. „Dafür müssten geeignete Verfahren entwickelt werden“, sagt Wissen. Als Modell dienen könnten sogenannte Transformationsräte, die etwa die IG Metall fordert. Dabei analysieren regionale Gremien mit VertreterInnen von Gewerkschaften, Unternehmen und Umweltinitiativen, welche Mobilitätsbedürfnisse es gibt und mit welchen Maßnahmen Arbeitsplätze erhalten werden können.

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6 Kommentare

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  • Vergesellschaftung als Lösung?



    Das bewirkt das Gegenteil - wie an Niedersachsen erkennbar:



    Als Teileigentümer setzt sich die Politik dann mit aller Kraft für das Unternehmensziel ein - statt im Unternehmen für öffentliche Ziele...

  • Ich bin eigentlich gegen oeffentliche Verkehrsmittel und fuer den Individualverkehr. Ich liebe mein Fahrrad

  • Nachdem der Lockdown gegen Covid scheinbar gut von den Menschen angenommen wird, muss man ähnliches auch für umweltschädliche Geschäftsmodelle, die den viel gefährlicheren Klimawandel anheizen, einführen.

    Also Abwrackprämie nur bei Nichtersetzen des PKW oder Ersatz des PKW durch Fahrrad, notfalls Pedelec.

    Schade um die Arbeitsleistung und das ganze Geld was für PKW verschwendet wird. Damit könnte man ja auch Schulen Krankenhäuser oder Altenheime bauen. Aber nein, die Umverteilung muss ja weitergehen.

  • Einfach geschrieben, gut verständlich und doch ist auch hier ganz klar zwischen den Zeilen zu lesen das es für Forscher wie Herrn Wissen auch nicht mehr gibt als gut gemeinte Ansätze. Darüber das es wichtig ist die Umwelt zu entlasten und möglichst Klimaneutrale Ziele als Hauptaugenmerk für die Zukunft zu entwickeln sind sich zumindest diejenigen einig die den Tatsachen auch ins Auge sehen.



    Die Feststellung daß das Vertrauen in die Autoindustrie seit dem Abgasskandal erschüttert ist , ist für mich der wichtigste Punkt im Text. Wem können wir als Verbrauer denn überhaupt noch vertrauen ? Etwa denen die es bisher nicht geschafft haben sich über die Stromtrassen der Offshore Windanlagen zu einigen ? Etwa denen die ihre Produktion von Systemrelevanten Produkten weiterhin in Billigländer verlagern ? Etwa denen die nach wie vor Firmen gründen die nur dazu dienen Geld in Steuerparadise umzuleiten ? Es ist alles eine Vertrauenfrage und somit ist für mich der Menschliche Faktor der wichtigste Punkt überhaupt ! Denn was nützen die besten Ideen wenn der Mensch nur an sich selbst denkt ?! Ein Beispiel ist für mich ist das es im Zeitalter von App und co. nach wie vor so ist das gefühlte 90% der Autos nur mit einer Person besetzt sind ! Ein Corona App soll möglich sein , oder gibt es in einigen Ländern schon, aber das Menschen völlig selbstlos jemand anderen mitnehmen scheint nicht möglich .... Also ; worüber wird hier eigendlich geschrieben ?



    Darüber das die Busverbindungen auf dem Land im 10 Minuten Takt fahren sollten ? Darüber das der Paketdienst nur noch einmal die Woche liefert ? Darüber das Wohnort und Arbeitsplatz maximal 5 km auseinanderliegen sollten ? Meinem Empfinden nach sind viele Lösungen auf einer andern Ebenen zu suchen als in der Erforschung von Zahlen.

  • Herr Wissen hat offenbar übersehen, dass die aktuelle Krise den öffentlichen Verkehr wesentlich stärker getroffen hat als den Individualverkehr: Busse & Bahnen gelten als potentielle Infektionsorte. Dementprechend ist auch die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel stärker eingebrochen als der Individualverkehr.

    Mit der "Transformation" (jedenfalls was den Personenverkehr anlangt) sollte man dann doch lieber noch 1-2 Jahre warten. Und wer weiß, wann das nächste Virus vor der Tür steht?

  • Auch wenn es schmerzt, sollte die Autoindustrie so gestützt und das Geschäft durch Konjunkturprogramme befeuert werden, dass möglichst wenig Arbeitsplätze verloren gehen. Auch wenn das Klimapolitisch nicht sinnvoll ist. Man muss sich aber ganz einfach vor Augen halten, dass es hier um massenhaft gut bezahlte Jobs geht, und zwar nicht nur für Akademiker, sondern in der Masse für Facharbeiter, die ohnehin bereits eine gewisse Affinität zum Rechtspopulismus haben. Wenn hier im großem Umfang Jobs wegbrechen ist zu befürchten, dass die AfD durch die Decke geht, um das muss verhindert werden.