Auswirkungen des Klimawandels: Inlandeis der Antarktis schmilzt
Gletscher im Inland der Antarktis galten bislang als stabil. Durch den Klimawandel verlieren sie deutlich an Masse. Nun könnte „der Gigant erwachen“.
BERLIN taz | Die Kühlkammer der Erde taut offenbar schneller und kräftiger auf als bislang gedacht: Kurz vor den Klima-Diskussionen der G7 meldet eine wissenschaftliche Studie einen neuen Negativrekord aus der Antarktis. Demnach verliert nun auch das Eis auf der bislang stabilen Südhalbinsel massiv an Volumen. Eine Forschergruppe von der Universität Bristol und dem Alfred-Wegner-Institut für Polarforschung in Bremerhaven hat die Eis-Entwicklung auf etwa 750 Kilometern Küstenlinie untersucht und ihre Ergebnisse in der Zeitschrift Science veröffentlicht.
Demnach hat die bislang stabile Region seit 2009 kräftig an Masse verloren, wie Satellitendaten zeigen: Die Gletscher büßten im Schnitt 42 Zentimeter jährlich an Höhe ein, an manchen Stellen sank der Eispanzer um bis zu vier Meter ein. Das gesamte Gebiet der Südlichen Antarktischen Halbinsel (SAP) verliert unter dem Strich 56 Milliarden Tonnen Eis pro Jahr. „Die Tatsache, dass so viele Gletscher in einer so großen Region plötzlich Eis verlieren, war eine Überraschung für uns“, erklärte der Leiter der Studie, Bert Wouters.
Mit den neuen Daten wird klar, dass auch die Antarktis vom Klimawandel nicht verschont bleibt. Zwar gilt der größte Teil des Kontinents wegen seiner extrem niedrigen Temperaturen noch für lange Zeit als stabil. Doch an den Rändern knabbert die Erwärmung. Bereits 1995 und 2002 brachen riesige Flächen von schwimmendem Eis („Larsen-Eisschelf“) vor der Westküste los. 2014 zeigte sich, dass die Gletscher in der West-Antarktis immer schneller ins Meer fließen, weil relativ warmes Ozeanwasser das Gletschereis an der Küste taut und kein Eis vor der Küste den Gletscherfluss mehr stoppt – ein nicht mehr zu stoppender Vorgang. Nun schmilzt offenbar die nächste Region.
Im Jahr 2009 müsse etwas mit dem Eis passiert sein, das die neue Dynamik erklärt, meinte Wouters. Die Forscher vermuten die gleiche Entwicklung wie bei der West-Antarktis. Die schmelzende Halbinsel trägt zwar nur etwa 0,16 Millimeter pro Jahr zum Anstieg des globalen Meeresspiegels bei, der sich jährlich um etwa 3 Millimeter hebt.
Aber wenn der Prozess wie bei der West-Antarktis nicht mehr zu stoppen oder umzukehren ist, dann „ist der Gigant erwacht“, sagt Anders Levermann, Antarktis-Experte am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Wenn die gesamte Antarktis schmelze, was selbst im schlimmsten Fall mehrere Tausend Jahre dauern dürfte, würde das den globalen Meeresspiegel um 55 Meter erhöhen, sagt Levermann. „Aber auch schon ein Prozent davon wären ein halber Meter Meerespiegel zusätzlich und für viele Küsten ein großes Problem.“
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