piwik no script img

Auswirkungen der PandemieCorona verschärft Lage für Arme

Die Pandemie trifft die Schwächsten der Gesellschaft hart. In einem Fünf-Punkte-Papier schildern Betroffene ihre Probleme.

Armut versperrt den Zugang zu angemessener digitaler Infrastruktur Foto: Marcel Mücke/imago

Berlin taz | „Leben in Armut bedeutet schon unter Normalbedingungen ein ständiges Improvisieren“, sagt Michael Stiefel, Vorstandmitglied im Armutsnetzwerk. „Die Regelsätze in der Grundsicherung sind sehr knapp gerechnet. Jede unvorhergesehene Ausgabe, jede Reparatur, jede Stromnachzahlung kann existenzbedrohlich werden.“ Die Pandemie würde diese Lage dramatisch verschärfen.

Wie drastisch sich die Situation für arme Menschen verschlechtert hat, das zeigt sich im Fünf-Punkte-Papier, das Betroffene am Mittwoch vorgestellt haben. Darin schildern sie Probleme und stellen konkrete Forderungen. Das Papier wurde von Betroffenen, die sich im Bündnis Armutsnetzwerk zusammengefunden haben, mit der Diakonie erarbeitet. Es brauche mehr Sichtbarkeit und Partizipationsmöglichkeiten sowie ein Umdenken in Sozialpolitik und Armutsbekämpfung.

Das Fünf-Punkte-Papier macht auf mehrere Probleme aufmerksam, vor denen arme Menschen in der Pandemie stehen. Beispielsweise verfügten viele nicht über die notwendige digitale Infrastruktur. „Computer, Headset, Kamera, Drucker und Verbrauchsmaterialien wie Toner oder Papier fehlen“, heißt es in dem Papier. Außerdem würde nicht jeder eine Kreditkarte besitzen. Gesellschaftliche Partizipation sei vor diesem Hintergrund kaum möglich.

Der von der Bundesregierung beschlossene Zuschuss zur Grundsicherung von 150 Euro reiche auch nicht aus, um die Mehrbelastung abzufedern. Es bräuchte stattdessen einen stärkeren sozialen Ausgleich – auch langfristig.

Ein großes Problem: Einsamkeit

Außerdem führte der steigende Bedarf sowie die immernoch geltenden pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen dazu, dass viele staatliche und nicht-staatliche Anlaufstellen nur noch schlecht zu erreichen seien. „Auch Helfende sind mit rigiden Anweisungen konfrontiert, Angebote zu schließen. Das betrifft Tafeln, Archen, Jugendzentren, Selbsthilfe-Reparaturwerkstätten, Bibliotheken, Sportstätten und viele andere Orte.“ Es müssten endlich niedrigschwellige Angebote geschaffen werden, um Hilfe in Anspruch nehmen zu können.

Darüber hinaus sei Einsamkeit ein großes Problem. „Gerade Menschen mit wenig familiären Bindungen und sozialen Kontakten erleben die soziale Isolation durch Kontaktbegrenzungen im Alltagsleben und in der Nachbarschaft umso bitterer. Wo vorher schon wenig Kontakte waren, herrscht jetzt Vereinsamung“, heißt es in dem Papier. Auch unter Pandemiebedingungen müsste es entsprechende Anlaufstellen und Hilfen geben. Außerdem müssten Räume zum Austausch geschaffen werden.

In dem Papier wird auch ein Maßnahmenpaket für kommende Krisen gefordert: „Wir brauchen Regeln, die immer dann gelten, wenn gesellschaftliche, wirtschaftliche oder soziale Krisen bedrohlich werden.“ In Armut Lebende dürften nicht jedes Mal neu auf ihre Probleme hinweisen müssen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich will gar nicht bezweifeln, dass auch Menschen mit wenig Geld durch Corona vor besondere Herausforderungen gestellt werden. Aber: „Computer, Headset, Kamera, Drucker und Verbrauchsmaterialien wie Toner oder Papier fehlen“? Wirklich? Ich kenne kaum noch jemanden, der privat einen Drucker besitzt, und sehe auch nicht, wo da der Mehrbedarf durch Corona entstanden ist. Und jedes gebrauchte billige Smartphone hat Kamera und Mikro und kann für Videokonferenzen verwendet werden. Vielleicht kann dieser Bedarf etwas genauer erklärt werden.

    • @Ruediger:

      Homeschooling erfordert etwas mehr Ausstattung als ein billiges Smartphone. Vielleicht versuchen Sie mal, mit Ihrer "Lösung" über längere Zeit am Unterricht teilzunehmen, Hausaufgaben zu machen, Arbeiten zu schreiben...

  • Kann man dieses Fünf-Punkte-Papier irgendwo einsehen?



    Oder unterstützen?

    Bei dem Gedanken, dass im Herbst die Schulen wieder dicht machen, weil die Kinder ungeimpft sind und Luftfilter nach wie vor nicht installiert wurden, wird mir ganz schlecht vor Sorge - gerade um die im Artikel erwähnten Gruppen.



    Es wäre so, so wichtig, dass sie sich Gehör verschaffen. Laut sind. Nerven. Und irgendwann endlich richtig wahrgenommen werden.