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Ausstellung zu Hugo van der GoesDoch es ist ein frotzelnder Troll

Hugo van der Goes verband Irdisches mit Himmlischem. In Berlin ist zu sehen, wie die Kunstgeschichte ihr Bild von dem niederländischen Maler schuf.

Auch der Prophet am Vorhang scheint etwas verdattert: Hugo van der Goes, Geburt Christi, um 1480 Foto: Dietmar Gunne/© Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie

Im Februar 1910 machte sich der Berliner Museumsmann Max Friedländer auf ins spanische Galicien, zum Kloster des Colegio de Nostra Señora de la Antigua in Monforte de Lemos. Über dessen besonderes Altargemälde kursierten Gerüchte. Und denen musste er schnell nachgehen zu dieser Zeit, in der europaweit Kunstkenner die über Jahrhunderte hinweg verkannten Meisterwerke mittelalterlicher Malerei aufzuspüren versuchten und Museumsdirektoren ihre neu gegründeten Museen mit historischen Gemälden zu füllen anstrebten.

Die ungewöhnlich gedrungene Darstellung von der Anbetung der drei Könige, die Friedländer in der Klosterkirche vorfand, musste der Komposition nach eine altniederländische Malerei aus dem späten 15. Jahrhundert sein, wohl eine Nachfolge des Meisters Rogier van der Weyden.

Doch wie sich die drei Könige aus der biblischen Erzählung von der Geburt Christi auf dem Monteforte-Altar monumental erheben, als stünden sie direkt vor einem, und wie die sonst ins Heilige stilisierte Maria mit ihrer knöchernen Stirn so herbe daherkommt, das deutete auf einen sehr freigeistigen Künstler hin.

Und die naturalistischen Details. Die tief hängenden Ohrläppchen des alten der drei Könige, der unter den lilafarbenen Glockenblüten sich biegende dünne Stängel eines Krauts in der Steinritze. Friedländer war sich sicher, es müsse sich bei dem Monteforte-Altar um ein Werk des Hugo van der Goes handeln. An Wilhelm Bode, dem damaligen Generaldirektor der Berliner Museen, telegrafierte er am 16. Februar 1910: „Bild herrlich / höchst erwünscht“.

Die Ausstellung

„Hugo van der Goes. Zwischen Schmerz und Seligkeit“, Gemäldegalerie Berlin, bis 16. Juli

Jetzt steht die gut 2,40 Meter breite und 1,50 Meter hohe Altartafel aus Monteforte in der Berliner Gemäldegalerie, gleich zu Beginn der beeindruckenden Schau „Hugo van der Goes. Zwischen Schmerz und Seligkeit“. Viel weiß man nicht über den Künstler, dem in Berlin nun die erste monografische Ausstellung überhaupt gewidmet ist.

Fast wie Detektivarbeit

Ab 1467 als Freimeister in Gent gemeldet, brach er Mitte der 1470er Jahre die erfolgreiche Künstlerkarriere ab und trat in ein Kloster bei Brüssel ein. Der monumentale sechs Meter breite Portinari-Altar, 1483 in die Kirche Sant’Egidio in Florenz gelangt, ist das einzig belegte Zeugnis des Hugo van der Goes. Nur 13 Tafelmalereien und zwei Zeichnungen werden ihm heute zugeschrieben.

Fast alle Werke des Hugo van der Goes sind jetzt in Berlin zu sehen, gemeinsam mit ausgewählten Arbeiten seiner Vorgänger und Nachfolger. Und so begibt man sich in dieser Ausstellung auch ein wenig in die Detektivarbeit, die Kunsthistoriker wie Max Friedländer ihrerzeit betrieben. Man vergleicht Mariengesichter, Faltenwürfe, scheinbar Nebensächliches, um selber zu verstehen, wie die Figur Hugo van der Goes in der Kunstgeschichte um 1900 zu solch einem Hype werden konnte.

Nur einige Zentimeter groß ist das Teufelchen auf der Grisaille-Malerei des Wiener Diptychons. Es soll eine gotische Steinskulptur darstellen, doch es ist ein frotzelnder Troll. Die Schlange in der Paradiesdarstellung des gleichen Diptychons, sie ist eine reptilienartige Chimäre mit Krokodilsfüßen, aus deren schuppigen Korpus sich ein menschliches Gesicht herausschält. Solch surreale Bilderfindungen tauchen in den kanonischen Bibelmotiven der Alten Meister sonst kaum auf.

Und in seiner Darstellung von Halbfiguren entwickelte er eine eigene narrative Bildtechnik. Ganz nah rückt man etwa bei einem Tüchlein von der Kreuzabnahme an den ergrauten Oberkörper des Jesus heran, das verzerrte Gesicht des Toten direkt vor Augen, der Rest des Bibelmotivs bleibt Vorstellung.

Schlange als seltsames Chimärenwesen: Hugo van der Goes, Sündenfall des Wiener Diptychons, um 1477 Foto: Kunsthistorisches Museum © KHM-Museumsverband

War Hugo van der Goes ein wahnwitziges Genie? Die Kunstgeschichte des späten 19. Jahrhunderts hat ihn gerne zu einem solchen gemacht. 1863 veröffentlichte der belgische Historiker Alphonse Wouters den Bericht eines Bruders aus dem Kloster bei Brüssel, in dem der Meister seine letzten Jahre verbrachte. Er schildert einen geistigen Zusammenbruch des Künstlers. Vermutlich ist er 1482 an seinem psychischen Leiden gestorben.

Der Schöpfer als Künstler

Als Wouters’ Neffe 1875 ein Bildnis vom Wahn des Hugo van der Goes beim Pariser Salon ausstellt, wird er mit einer Medaille ausgezeichnet. Der Schöpfer als melancholische Künstlerpersönlichkeit – es passte sehr ins Kunstverständnis eines sich ankündigenden Fin de Siècle. Mit dem großformatigen Gemälde von Émile Wouters schließt auch die Berliner Ausstellung ab.

So bringt uns die Schau nicht nur einen altniederländischen Meister nahe, der in der abgeschlossenen christlichen Bildwelt des späten 15. Jahrhunderts große künstlerische Freiheiten entwickelte. Sie berichtet auch davon, wie Kunstgeschichte gemacht wurde.

Und sie erzählt von den schon ans Krimigenre reichenden Begebenheiten, wie der Alte Meister überhaupt in dieses Museum gelangte. Als das Jesuitenkloster Monteforte nämlich kurz nach Friedländers Besuch 1910 das Altargemälde versteigerte, mussten sich die Berliner Museen gegen internationale Konkurrenz durchsetzen. Umgerechnet rund eine Million Goldmark zahlten sie für die Holztafel, das ist viel. Doch der spanische Staat wollte das Kunstwerk behalten. Erst 1913, nach einem bis in den Staatsrat reichenden Rechtsstreit, kam der Monteforte-Altar nach Berlin.

Transnationales Kulturgut

Aber wie war die Tafel überhaupt vor Jahrhunderten in den Besitz des spanischen Klosters gelangt? Vielleicht als Raubgut während des Spanisch-Niederländischen Kriegs? Zu wenig weiß man manchmal über die Provenienzen solch alter Kunstwerke, um ihre Rechtmäßigkeit vollends zu verfolgen.

Die Berliner Schau aber bietet eine Alternative zum Gedanken eines nationalen Kulturbesitzes. Hier sind Werke aus Lissabon, Wien, Stockholm oder Baltimore versammelt. Kunst kann auch ein transnationales Kulturgut sein.

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