Ausstellung von Otobong Nkanga: Es ist nie vorbei
Fürsorge und Drama, Schönheit und Ausbeutung: Darum geht es der Nigerianerin Otobong Nkanga. Erlebbare Kunst im Berliner Gropius Bau.
Rotglühende Sonnen, gasförmige Planeten, Welten in der Entstehung und im Untergang, daran denke ich beim Blick auf die rötlichen Scheiben, die über den dunklen Grund von „Double Plot“ treiben. „Double Plot“ ist ein großer Wandteppich, in den von der nigerianischen Künstlerin Otobong Nkanga viele Bildmotive eingewebt wurden: Man sieht eine kopflose Figur neben einem Baum, gestickte Linien ziehen sich über den Grund, die eine Landschaft meinen könnten oder die Bahnen von Himmelskörpern, Arme bilden die Speichen eines Rades.
Die leuchtenden Scheiben sind Fotografien und wie man im Begleittext nachlesen kann, zeigen sie keineswegs Planeten, sondern Tränengaswolken bei der Bekämpfung von Aufständen, zum Beispiel am Tahrir-Platz in Kairo. Und doch sind sie angeordnet wie Planeten im Sonnensystem. „Double Pot“ erzählt eben nicht nur eine Geschichte. Verschiedene Erzählstränge kreuzen sich, poetische Kosmologien und politische Geschichte.
„Double Plot“ ist Teil einer großen Einzelausstellung von Otobong Nkanga im Martin-Gropius-Bau in Berlin, es ist ihre erste in Deutschland. Otobong Nkanga hat sie geplant, als sie letztes Jahr Artist in Residence im Gropius Bau war, umgesetzt und aufgebaut wurde die Schau in der Zeit der Corona-Epidemie.
Ob das inhaltlich eine Rolle gespielt habe, wurde die Künstlerin bei der Pressekonferenz gefragt. Sie habe schon die Ebola-Epidemie in Angola erlebt und überlebt vor einigen Jahren; sie sei dieses in Jahr in Bangladesch gewesen, wo man nicht mehr atmen konnte, so schlecht sei die Luft gewesen, antwortet sie. Das alles habe ihr Denken verändert. Es gebe ja viele Orte auf der Welt, „da ist es nie vorbei“, wie wir jetzt hier in Europa beim Coronavirus hoffen können. Die Einschränkung des täglichen Lebens durch eine bedrohliche Krankheit oder große Umweltschäden sei vielmehr vielerorts Kontinuität.
Auf diese Erfahrung verweist schon der Titel der Ausstellung, „There’s no such thing as solid ground“. Unsicherer Grund, das wird zur physischen Erfahrung, wenn man über die großen, runden Kiesel aus Marmor in der Installation „Taste of a stone“ läuft. Aus der hellen Fläche ragen einzelne runde Granitblöcke auf und laden zum Sitzen ein. Teils entdeckt man kleine Pflanzen zwischen den Steinen, teils auch Abbildungen von Ranken. „Taste of a stone“ ist eine Einladung an einen ruhigen und meditativen Ort, der aber auch Behutsamkeit bei jedem Schritt verlangt.
Ausbeutung der Erde
Im Raum daneben wird die Skulptur „Solid Maneuvres“ von schmalen Metallstützen getragen, die ihr etwas Fragiles geben. Die übereinandergeschichteten kurvigen Platten erinnern an Landschaften, man könnte an Inseln mit terrassiertem Gelände denken. Das mineralisch glänzende Material verleiht ihnen eine eigene Kostbarkeit.
Aber wieder gibt es einen konkreten Bezugspunkt für die Arbeit, der ein anderes Szenario entwickelt. Gemeint ist das Profil einer Landschaft, die nach dem Abbau von Rohstoffen ausgebeutet und verwundet zurückgelassen wurde. Die in der Skulptur verwendeten Materialien, wie Blech, Kupfer, Stahl, stammen aus solchen Abbaugebieten. Wieder kommen das Schöne und das Schreckliche zusammen.
„Es ist viel einfacher, etwas wegzunehmen, als etwas zurückzugeben“, sagt Otobong Nkanga, die das Thema der Ausbeutung, der Erde und der Menschen, in ihren Arbeiten immer wieder berührt. Das geschieht in Skulpturen, in Performances, in Gedichten, in Installationen. Care/Sorge und repair/Reparatur, diese beiden Themen im Werk von Otobong Nkanga, hebt Stephanie Rosenthal, die Direktorin des Gropius Baus, hervor. Das Interesse am Umgang mit den Ressourcen der Erde und den Ressourcen des Menschen verbindet viele der Künstler, die Rosenthal als Artist in Residence in das Haus eingeladen hat.
Otobong Nkanga, „There's No Such Thing as Solid Ground“, Gropius Bau, Berlin, bis 13. Dezember
Otobong Nkanga nutzt unterschiedliche Ausdrucksmedien. Die ältesten Arbeiten in der Ausstellung sind kleinere Zeichnungen, teils vom Ende der 1990er Jahre. Es sind manchmal surreale Kompositionen, in denen sich menschliche Körperteile mit Maschinen oder Pflanzen verschränken. Dabei entsteht auch ein eigener Witz. So entpuppen sich die Haarschnecken, die aus einem Hinterkopf wachsen, bei genauerem Hinsehen als erotische Skizzen. „Hidden pleasures“ heißt das Blatt.
Rund um den Globus
Die Künstlerin, die heute in Belgien lebt, ist 1974 in Nigeria geboren, hat dort und in Paris Kunst studiert. Sie erzählt bei dem Pressetermin auch von der Bedeutung ihrer Eltern für ihre Arbeit. Sie verweist auf das Storytelling als afrikanische Tradition, die ihr von Mutter und Vater mitgegeben wurde. Und ihre Mutter habe gesungen bei der Arbeit, die Zeit verfliege dann schneller.
Otobong Nkangas Stimme kommt in der Soundinstallation „Wetin you go do? Oya na“ zum Einsatz, in einem dunklen Raum. Eigentlich meint man, „ihre Stimmen“ (Plural!) sagen zu müssen, denn sie moduliert sie vielfältig, orchestriert damit viele Sprechenden. Die Texte stammen aus Social-Media-Beiträgen, die Botschaften sind rund um den Erdball geflogen, drei Tage lang nahm die Künstlerin sie in einem Berliner Studio auf, tauchte in die Gefühle, flüstert, singt, wird wütend, nutzt verschiedene Akzente.
Die zwanzigminütige Komposition ist eine Kakophonie von Sätzen, die schnell das Kopfkino anwerfen. „I chose to be what I be. I can be what I want“, hört man in einer Sequenz, die Stimme steigert sich aufgeregt, ist heiser am Ende, beschimpft das Gegenüber. Gesänge besänftigen die hitzige Stimmung, dann scheint die Erde selbst zu reden, „I have been here for centuries“, „You need me. I don’t need you“. Man taucht über die kurze Strecke in ein neues Drama ein.
So tritt neben das Interesse an dem Mitteilungsbedürfnis der Menschen und der Empathie für ihre Anliegen eine große Lust an der dramatischen Form. Otobong Nkanga kann eben auch die Drama-Queen geben, nicht nur die fürsorgende Künstlerin.
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