Ausstellung über das Judentum in Preußen: Gleichgestellt nur auf dem Papier
Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Rendsburg zeigt, wie Judentum in Preußen gelebt wurde. Ein wichtiger Aspekt dabei war der Dienst im Heer.
![Das Bild „Die Rückkehr aus den Befreiungskriegen“ zeigt einen Soldaten in einem Kreis ihm zugewandter Menschen. Das Bild „Die Rückkehr aus den Befreiungskriegen“ zeigt einen Soldaten in einem Kreis ihm zugewandter Menschen.](https://taz.de/picture/7055873/14/s24nord-auf4sp4c-1.jpeg)
Jüdisch. Preußisch. Beide Wörter erzeugen Bilder im Kopf, oft sind es Klischeebilder: Gebetsschal hier, Pickelhaube da. Wie beides in ein gemeinsames Bild passt, zeigt die Ausstellung „Jüdisch? Preußisch? Oder was?“ im Jüdischen Museum Rendsburg ohne einfache Antworten zu geben.
Am Feiertag Jom Kippur des Jahres 1870 feiern rund 1.200 deutsche Soldaten jüdischen Glaubens einen Feldgottesdienst bei der Festung Metz. In der Mitte steht der Rabbiner vor dem Thora-Schrein, im Vordergrund sind Gläubige in Uniform und Pickelhaube zu sehen, die das Gebetstuch um die Schultern geschlungen haben. Die Szene aus dem Deutsch-Französischen Krieg ist auf einem Gedenktuch festgehalten, in der Ausstellung steht sie für das Thema „Kämpfen“.
Das Militär war ein wichtiger Bestandteil des preußischen Staates, und auch jüdische Männer mussten ab 1814 ihren Dienst im Heer versehen. Zwar gab es unsichtbare Hürden, die ihnen den Einstieg in die Offizierslaufbahn versperrten. Dennoch bedeutete die Teilnahme am Soldatenleben einen Schritt zur Gleichstellung. Durch das „Judenedikt“ von 1812 hatte die Minderheit Rechte wie die Wahl des Wohnortes und Gewerbefreiheit erhalten. Ab 1847 galten Jüd:innen dann als gleichgestellt, zumindest auf dem Papier. Die Realität, auch das zeigt die Ausstellung, sah oft anders aus.
Zehn inhaltliche Stationen befassen sich mit dem Judentum in Preußen: mit dem Alltagsleben und religiösen Feiern, aber auch mit Antisemitismus und bürokratischen Hürden. Um vollständig preußisch zu werden, brauchte es einen Familiennamen. „Oft dachte man sich den in der Amtsstube aus“, berichtet die Kuratorin Sylvia Necker. So kamen Namen wie Rosenzweig oder Apfelbaum zustande, die heute als „typisch jüdisch“ empfunden werden: „Wenn da ein Baum vor dem Fenster stand, nannten sich die Leute eben danach.“
„Jüdisch? Preußisch? Oder was?“, Jüdisches Museum Rendsburg. Führung 16. 6., 14 Uhr. Bis 5. 1. 2025
Necker hat die Ausstellung ursprünglich für das Preußenmuseum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe in Minden entworfen, deren Leiterin sie ist. Dort standen ihr zehn Räume mit gut 600 Quadratmetern zur Verfügung.
Viel Platz, den Necker mit extrem wenigen Objekten füllt: Ein Bierkrug mit antisemitischen Bildern und Sprüchen steht dafür, dass anti-jüdische Klischees und Beleidigungen stets als Grundrauschen in der Gesellschaft vorkamen. Noten und das Bild einer Synagoge decken den Bereich Religion ab.
Ein wandgroßes Schwarz-Weiß-Foto zeigt die Schülerinnen einer jüdischen Mädchenschule. Es entstand in den 1920er-Jahren in der Hamburger Loewenbergschule, gegründet vom Reformpädagogen Jakob Loewenberg und verweist auf die Frage, welche Chance auf Integration und Aufstieg eine gute Bildung für jüdische Kinder bot.
Viele Fragen, wenige klare Antworten, schon gar nicht durch lange Texte: „Wir wollten eine Ausstellung, die Luft und Platz zum Denken lässt“, sagt Necker. Ihr sei es wichtig, Klischees zu brechen. „Jüdische Geschichte ist bunt.“
In Rendsburg ist die Ausstellung in einem Nebengebäude des Museums, dem Haus der ehemaligen Talmud-Thora-Schule und Synagoge, untergebracht. Dort ist der Platz begrenzt, die zehn Themenbereiche gehen nahtlos ineinander über.
Anetta Kahane: „Die empathielose Grausamkeit des Antisemitismus“, 16. 6.,16 Uhr
Mirjam Gläser, stellvertretende Leiterin des Rendsburger Museums, hat die Exponate aus Minden zusätzlich um Bilder und Texte aus Schleswig-Holstein ergänzt, so etwa ein großes Foto, das den Salon der Rendsburger Familie Gotartowski um 1917 zeigt. Die Familie war wohlhabend und gut bürgerlich. Von den drei Kindern, die auf dem Bild zu sehen sind, überlebten zwei den Holocaust. Walter, der Älteste, kämpfte im Ersten Weltkrieg und starb 1941 bei der Zwangsarbeit.
Neben dem Bild des Salons steht ein runder Tisch mit mehreren Hockern. Er ist eine Einladung an alle Besucher:innen, sich selbst mit Fragen, Ideen, Kommentaren an der Debatte zu beteiligen – und um aktuelle Themen zu ergänzen.
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