Ausstellung über Untote: Offene Rechnung mit den Lebenden
Von heutigem Unterhaltungsgrusel der Zombies bis zur existenziellen Angst christlicher Eltern: Eine Ausstellung in Stade spürt dem Untoten nach.
![drei gestickte Figuren, dazu Text: "You're the slayer, and we're, like, the slayerettes" drei gestickte Figuren, dazu Text: "You're the slayer, and we're, like, the slayerettes"](https://taz.de/picture/6667635/14/RoslynCore-Slayeretts-1.jpeg)
W enn es immer so einfach wäre mit der letzten Ruhe. Wenn also die von uns Geschiedenen da blieben, wo wir sie entsorgt haben, oder genauer: ihre sterbliche Hülle, also meist: unter der Erde. Aber nein – des Menschen Imagination bevölkern gerade nicht die friedlich vor sich hin Verwesenden. Sondern aus ihren Gräbern wieder hervor sich buddelnde Gestalten, die dann gern noch eine Rechnung offen haben mit allem Lebendigen.
Dass solche Fantasien nicht erst seit der popkulturellen Wiederkehr des Zombies florieren, könnte eine Lektion sein, die wir mitbringen vom Besuch des Schwedenspeichers in Stade, dem Regionalmuseum der Hansestadt, eingerichtet in einem Proviantlager aus dem Dreißigjährigen Krieg. Als beherbergte man dort nicht schon im Regelbetrieb (respektive der Dauerausstellung) genügend Gruseliges – vielen Kindern in der Region ist der Moorleichen-Besuch als Wegmarke auf dem Weg ins Erwachsenendasein unauslöschbar –, ist ein Teil des Erdgeschosses nun bis in den Frühling Wiedergängern und Ruhelosen gewidmet.
„Untot. Archäologie BISS Popkultur“ ist die Ausstellung überschrieben, die, man kann das sehr folgerichtig finden, am 31. Oktober eröffnet wurde, einem Datum, zu dem sich mit Halloween ja auch in Stade eine traditionell angelsächsische Variante der augenzwinkernden Geisterschau zunehmend durchsetzt. Und wie es der Titel ankündigt, wird da der Bogen geschlagen vom sehr Realen, nämlich abstrakt reproduzierten Grabfunden aus dem deutschsprachigen Raum, über einige künstlerische bis hin zu ziemlich neuen popkulturellen Beispielen dafür, wie sich die Angst vor dem Tod, der keiner ist, verarbeiten lässt zu Unterhaltung und Spiel: Von den „Twilight“-Büchern und Filmen bis zu den gestickten „Buffy“-Devotionalien von Roslyn Core, dazu ein paar von Leah Gordons tollen Fotos vom Karneval im haitianischen Jacmel und ein kleines Regal mit einigen teuren, nicht wirklich dem Spiel zugedachten, eher väterliche Sammelleidenschaft bedienenden Plastikfiguren. Niedlich: Etwas Platz ist frei geblieben, das Museum bittet um „Ihren Lieblingsuntoten“, der dann hier ausgestellt wird.
Apropos Spiel: Sie wissen nicht, wer oder was „The Witcher“ sein könnte, geschweige denn dessen dritter Teil? Aber diesen Glatzkopf mit den langen Fingernägeln da, auf dem Schwarz-Weiß-Foto, den können Sie einordnen, das ist Max Schreck, der Original-Film-Nosferatu, mit dem wiederum Ihre Sprösslinge nichts anfangen. Sage noch mal wer, so ein gemeinsamer Museumsbesuch in trüber Jahreszeit könne nicht dazu beitragen, Brücken zu schlagen zwischen den Generationen. Zur Not gehen Sie einfach zusammen in die begleitende Zombiefilmreihe, immer an den verbleibenden November-Freitagabenden. Oder gemeinsam Blutspenden gegen freien Museumseintritt: Auch das ist irgendwann Teil des Begleitprogramms.
Ausstellung „UNTOT. Archäologie BISS Popkultur“: bis 1.4.2024, Stade Museum Schwedenspeicher.
Dass das Denken an und Fürchten vor Rückkehrenden aus dem Jenseits – manchmal auch solchen, die dort gar nicht erst Einlass fanden – mal mehr war als eine bloße Schattierung unterhaltungsindustrieller Produktion, davon erzählen in Stade die sieben „Grabsituationen“, abstrahierte künstlerische Aufbereitungen von archäologischen Funden aus dem 10. bis 19. Jahrhundert: in der Größe grob heutigen Grabplätzen entsprechende Screens, auf dem Boden verteilt. In Form von Animationen und etwas Text – weitere Erklärungen sind hinter QR-Codes verborgen – stellen sie reale Grabstätten vor, und zwar von Menschen, denen das Christentum, besser: die Kirchen, kaum Hoffnung auf Erfreuliches nach dem Tod machten, Nachgeburten oder ungetauft verstorbene Kinder etwa. Ausgerechnet eine Schweizer Wallfahrtskirche, auch das lernen wir, machte daraus ein Geschäft – was ist sachter Netflix-Grusel gegen die elterliche Angst, ihre Kleinen könnten ewiger Verdammnis anheimfallen?
Beim Rausgehen im Snackautomaten bemerkt: Haribo-„Vampire“ und -„Wackelgeister“ und ein konkurrierendes Gummizeugs namens „Dracula“.
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