Ausstellung in Delmenhorst: Stierkampf als künstlerische Steilvorlage

Die Städtische Galerie Delmenhorst zeigt aufgespießte Toreros, tote Stiere und faszinierte Zuschauer – zum Beispiel Picasso.

Francisco de Goya: "Leichtfüßigkeit und Wagemut von Juanito Apiñani in der Arena von Madrid", derzeit in Delmenhorst zu sehen Bild: Städtische Galerie

DELMENHORST taz | Gleich zu Beginn der Ausstellung der städtischen Galerie Delmenhorst hängt ein blau-weißes Linoldruck-Plakat. In seiner Mitte ist eine augenförmige Öffnung zu sehen: Ein Auge als Arena, in dem ein Kampf stattzufinden scheint.

Verworrene schmale Linien bilden die Körper der Teilnehmer. Auf der linken Seite bäumt sich etwas auf, das mit seinem Schweif und dem langohrigen Kopf an ein Pferd erinnert. Es strampelt mit den Vorderhufen, stellt sich auf die Hinterbeine, man hört es fast wiehern. Auf seinem Rücken sitzt eine lang gestreckte menschliche Figur. Gegenüber steht ein zusammengesunkener Vierbeiner, mit seinen Hörnern und den dicken Hoden unschwer als Stier zu erkennen.

Der Reiter sticht mit einem langen Stab knapp unterhalb der Hörner, wo wohl der Hals des Tieres sein muss. Das Thema ist ernst. Es geht um Leben und Tod. Und trotzdem sind die Feinde hier verspielt miteinander verwoben, ihre Darstellung ist infantil.

Pablo Picasso hat das Plakat 1957 gestaltet und gedruckt. Es wirbt für einen Stierkampf in Vallauris, einem kleinen französischen Keramikerstädtchen. Die an der Côte d’Azur gelegene Ortschaft diente Picasso in den 30er-Jahren als Zufluchtsort vor dem Franco-Regime. Sowie 200 Jahre vorher Francisco de Goya verließ Picasso als politischer Flüchtling Spanien.

Jenseits von Katzen, Kindern und Akten

Die Direktorin der städtischen Galerie Delmenhorst, Annett Reckert, hat dem Stierkampfthema eine ganze Ausstellung gewidmet. Zu sehen sind neben unterschiedlichen Arbeiten von Picasso auch Drucke von Goya, sowie Fotografien von Hubertus Hierl und Rineke Dijkstra. Dabei ist Stierkampf gerade in Deutschland äußerst unpopulär. Er gilt als brutale Tierquälerei, sonst nichts. Man ist hier tierlieb – Probleme hat man mit Menschen. Aber ein Ausstellungshaus muss ja auch nicht populäre Themen bedienen, wie Reckert betont: „Sonst gäbe es nur Ausstellungen zu Katzen, Kindern und dem Akt in der Malerei.“

In Spanien wurde der Stierkampf erst im vergangenen Jahr von der konservativen Regierung in den Stand eines nationalen Kulturerbes erhoben. Gegner hat er allerdings auch dort. Vielleicht stellt sich im Stierkampf und erst recht in der Kunst, die ihn sich zum Thema wählt, ein menschlicher Konflikt, eine menschliche Tragödie dar?

Als Goya in den Jahren 1915 und 1916 an seinem Stierkampfzyklus „Tauromaquia“ arbeitete, war er bereits 70 Jahre alt. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits schwer krank und taub. Durch seine Gehörlosigkeit musste das Visuelle seiner Radierungen an Bedeutung gewinnen. Es blieb ihm nichts außer dem Visuellen. Er verzweifelte daran: Die Stierkampfszenen sind gleichsam auch Erinnerungen an seine Jugend, in der der Besuch von Stierkämpfen eine große Rolle spielte. Die Erinnerung an die Kraft der Stierkämpfe ist die Erinnerung an die eigene verlorene Kraft. In den Todeskämpfen zwischen dem Stier und dem Matador findet sich zusätzlich der Schmerz des alten kranken Malers.

Goyas Szenen wirken dokumentarisch

Die Bilder sind schwermütig, finster und voller Schatten. Stets ist der Tod als Begleiter des Lebens in den Radierungen anwesend. Das Blatt mit der Nummer 22 und dem Titel „Leichtfüßigkeit und Wagemut von Juanito Apiñani in der Arena von Madrid“ zeigt einen Matador an einem Hochstab. Er schwingt sich so über den angreifenden Stier, als wolle er auf dessen Rücken landen. Auf dem Boden der Arena aber verschwimmen die Schatten von Stier und Mensch zu einer großen und finsteren Fläche.

Wo er auf konkrete Personen Bezug nimmt, wirken Goyas Szenen aus der Arena dokumentarisch. Beinahe, wie Bilder aus der Tagespresse zum aktuellen Geschehen. Das Blatt mit der Nummer 33 zeigt den Tod des Stierkämpfers Pepe Hillo. Ein Star der spanischen Stierkampfszene des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Goya zeigt den Torero aufgespießt auf den Hörnern des Stiers. Dokumentarisch ist auch die detailgetreue Darstellung solcher Szenen. Der Stierkampf ist kein Zweikampf, viele weitere Akteure nehmen daran teil. Um den siegreichen Stier sieht man einige Picadore, als Unterstützer des erlegten Matadors, aber auch allerlei Tiere tauchen immer wieder auf. Blatt 17 zeigt einen Stier, der anstelle eines Menschen einen Esel auf den Hörnern trägt. „Die Mauren nehmen Esel als Schutzwall gegen den Stier, dessen Hornspitzen mit Kugeln geschützt sind“, so der vielsagende Titel.

Eine große Rolle kommt bei den Stierkämpfen selbstverständlich auch dem Publikum zu, das auch in Goyas Blättern große Beachtung findet. Die Zuschauer lehnen sich von der Tribüne, gruppieren sich im Schatten, nehmen Kontakt in die Arena auf. „Unglückliche Ereignisse in der Sperrsitzabteilung der Arena von Madrid und Tod des Alkalden von Torrejon“ ist der sehr sachliche Titel eines Blattes, das den Stier ausnahmsweise nicht in der Arena, sondern auf der Tribüne zeigt. Er steht inmitten toter Körper, jemand hängt in seinen Hörnern. Ihm ist ein großer Sprung geglückt.

Als ginge es um sein eigenes Leben

Von der Anteilnahme der Zuschauer am Stierkampf zeugt auch die berühmte Serie des deutschen Fotografen Hubertus Hierl von 1966, die ebenfalls in Delmenhorst gezeigt wird. Hierl hatte im französischen Ort Fréjus während seiner Ferien einen Stierkampf besucht und im Publikum Picasso entdeckt. Kurzerhand hatte er sich entschieden, den Künstler beim Betrachten des Stierkampfes zu portraitieren. Als Aufregung, Anspannung und Erleichterung schlägt sich der Kampf in Picassos Mimik nieder. Fast so, als ginge es um sein eigenes Leben.

Fast ohne jede Regung wirken hingegen die Stierkämpfer in den Bildern der isländischen Fotografin Rineke Dijkstra. Wobei diese zum Zeitpunkt der Aufnahmen tatsächlich gerade eben dem Tod entkommen sind. Dijkstra portraitiert ihre Matadore vor neutralem Hintergrund direkt nach dem Kampf. Wieder einmal und nicht zum letzten Mal. In der Tat strahlen die drei in der städtischen Galerie ausgestellten, in Übergröße abgezogenen „Heroen“ erst einmal eine große Ruhe aus. Erst auf den zweiten Blick sieht man die Spuren: ein abgerissener Ärmel, eine Schramme an der Wange, etwas Blut am weißen Kragen. Wessen Blut? Das bleibt offen. Nur so viel ist klar: Das Leben der Stierkämpfer steht in jedem Kampf zur Disposition. Der Tod des Stieres ist garantiert.

„Tauromaquia“ ist bis zum 26. Januar in der Städtischen Galerie Delmenhorst zu sehen
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