Ausstellung im Jüdischen Museum Wien: Wie Juden und Jüdinnen weiß wurden
Diese Ausstellung zeigt jüdische Selbst- und Fremdbilder. Sie widerspricht einem Antirassismus, der jüdische Diskriminierungserfahrungen negiert.
Jeder kennt Superman – oder doch nicht? In seinem „Portrait of a young man“ legt der jüdisch-amerikanische Künstler Jason Bard Yarmosky in der Ausstellung „Schwarze Juden, weiße Juden?“ im Wiener Jüdischen Museum den Konventionen der Wahrnehmung gleich mehrfach Fallstricke aus. Im blitzblauen Superheldentrikot unter dem wehenden roten Umhang steckt eine männliche Person of Color.
Statt auf das kantige Antlitz eines weißen testosterongestählten Muskelprotzes zu treffen, verfängt sich der ertappte Blick in den Dreadlocks der eher schmächtigen Gestalt. Die Ausstellung beginnt mit Bildern, die zum Privilegienchecken einladen und so zeigen, wie rassifizierende Zuschreibungen, Wertungen und Abwertungen Machtgefälle in der Gesellschaft normalisieren.
Lockerungsübungen zum Einstieg folgt der Gang durch die Geschichte der toxischen (Haut)Farbenlehren. Dem christlichen Antijudaismus sind die religiös anderen, deren bloße Existenz Heilsgewissheiten infrage stellt, oft schwarz assoziiert. Der Antisemitismus des 19. Jahrhunderts versucht das Nicht-Weiß-Sein der vermeintlich biologisch anderen sicherzustellen und entwickelt eine Fülle grotesker Klassifikationsstrategien, der sich die Körper letztlich nicht fügen.
„Schwarze Juden, Weiße Juden? Über Hautfarben und Vorurteile“ ist im Jüdisches Museum Wien zu sehen, bis 26. 4. 2026
Leicht und bruchlos geht hier wissenschaftliches Interesse, die Welt zu erkennen, über in Herrschaftsinteresse, sie zu unterwerfen. Der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik war Spekulation über physische Merkmale nur noch Propaganda, ihr genügte die Abstammung über zwei Generationen.
Postkolonialer Diskurs
Ausführliches Material aus der Kolonialgeschichte zeigt Jüdinnen und Juden vielfach in einer fragilen Zwischenstellung. Wo sie auf Seiten der Kolonisatoren standen, war ihr Status kaum sicher und von Dauer. Dieses Kapitel scheint auch ein Differenzierungsversuch gegenüber einem postkolonialen Diskurs zu sein, der Jüdinnen und Juden zunehmend als „weiß“ oder weißen Herrschaftsinteressen dienlich identifiziert.
Zeugnisse jüdischer Selbstdarstellung im 19. Jahrhundert reichen von Bildern, die die gelungene Assimilation eines liberalen Bürgertums demonstrieren, bis hin zur Romantisierung eines orientalischen Ursprungs als Gegenbild einer rückständig empfundenen osteuropäischen Lebenswelt.
Die Gegenwart repräsentiert eine Fülle von Exponaten von jüdischen Communities, deren Migrationsgeschichte sich nicht nach Europa zurückverfolgen lässt. Zwei Drittel der israelischen Bevölkerung zählen mittlerweile dazu, was das antizionistische Dispositiv eines von Siedlerkolonialisten geschaffenen Vor- beziehungsweise Restpostens des europäischen Kolonialismus ad absurdum führt.
Die Sache mit Superman gerät dann doch komplizierter. Mit seinen Erfindern in den frühen 1930er Jahren, Jerry Siegel und Joe Shuster, teilt er jüdische Wurzeln. Überlieferungen der europäischen Verfolgungsgeschichte fließen in die Figur und werden in ihr symbolisch kompensiert. Der Superheld persifliert die rassistisch unterlegten Fantasien vom „Neuen Menschen“ als Übermenschen und setzt Superkräfte gegen das Stereotyp einer schwachen körperlichen Konstitution, die der Antisemitismus den Juden seit dem 19. Jahrhundert zuschrieb.
Schlechte Chancen für Solidarisierung
Was vermittelt das Person-of-Color-Kostüm einer jüdisch konnotierten Figur? Im amerikanischen Kontext könnte sie als Appell zur Solidarisierung zweier Gruppen gelesen werden, auch wenn sie wesentliche Diskriminierungsmomente nicht teilen. Polizeigewalt, das Gefängnissystem und strukturelle ökonomische Benachteiligung sind weniger das Problem amerikanischer Jüdinnen und Juden. Der Terror weißer Suprematisten weiß jedoch zielsicher, wo der Feind steht. Eine Foto zeigt die Parole einer rechtsextremen Demonstration 2017 in Charlottesville/Virginia: „Jews will not replace us.“
„Include Jews In Your Activism“, fordert die Künstlerin Hannah Michelle Provisor in einer Illustration der Ausstellung, verweist auf die Diversität jüdischer Identitäten und fordert, Erfahrungen von „Jews of Color“ im intersektionalen Diskurs über Diskriminierungstatbestände mit einzubeziehen.
Die Chancen dafür stehen ausgesprochen schlecht. Aktivist:innen der „Black Lives Matter“-Demonstrationen von 2020 finden sich heute vielfach an der Spitze „propalästinensischer“ Demonstrationen. Ungeachtet des weltweiten Anstiegs antisemitischer Übergriffe nach dem 7. Oktober erklärt eine vorherrschende theoretische Begründung von antirassistischem Aktivismus die in der Schoah gipfelnde jüdische Verfolgungsgeschichte für vergangen.
Juden als „Super-Weiße“
Für die Proponenten einer „critical whiteness“ scheinen Jüdinnen und Juden durch ihre soziale Mobilität mittlerweile Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft und tragen damit auch zu deren wirtschaftlicher Vorherrschaft bei. Was als Herrschaftskritik im akademischen Feld beginnt, mutiert zur globalen Verschwörungserzählung von Juden, die als „Super-Weiße“ zu Antagonisten der Interessen von Minderheiten werden. „Wenn Jüdischsein und Weißsein im Diskurs miteinander verbunden werden“, schreibt der Soziologe Balázs Berkovits, „tritt der antisemitische Gehalt von Jüdischsein in den Vordergrund.“
Der Ausstellungskatalog, der auch als selbstständige Lektüre geeignet ist, trägt im Kapitel „Was macht Jüdinnen und Juden weiß?“ die wesentlichen Positionen einer Kritik des vermeintlich Kritischen noch einmal zusammen und liefert gleichsam Materialien zur diskursiven Selbstverteidigung, die die Kritik am blinden Fleck antirassistischer Theoriebildung nicht den Autoritären überlassen will, die damit jede kritische Theorie der Gesellschaft zu denunzieren suchen.
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