Ausstellung des Fotografen Julian Röder: Die Absonderungen des Denkens
Julian Röders Bildserien gleichen einem Testprogramm für die Freiheit, die uns der Kapitalismus gibt. In Berlin ist seine Ausstellung „Recht und Raum“ zu sehen.
Julian Röder ist bekannt als ein Fotograf, der sich politischen und wirtschaftlichen Themen in besonderem Maße gewidmet hat. Deshalb überrascht in seiner Ausstellung „Recht und Raum“ im Haus am Waldsee seine erst 2016 entstandene Serie „Licht und Angst“. In ihr beschäftigt sich Röder intensiv mit irrationalen Welterklärungsmethoden. Erstmals in seinem Werk setzt er sich mit Esoterik auseinander. Dass Ökonomie und besonders Macht in der Esoterik aber genauso gut anzutreffen sind, wie im politischen Kontext, wird im Obergeschoss des Museums deutlich.
Im ersten Teil der neuen Serie greift Röder die Gedankenfotografie auf, die erstmals 1896 aufkam. Er baute einen Radiografen nach, eine dosenähnliche Kamera, die mit dem integrierten Rollfilmschnipsel und Lichteinfällen Bilder erzeugen kann. Röder heftete sich diesen Radiografen an die Stirn und binnen 60 Minuten entstand ein abstraktes Bild.
Es wurde vor über 100 Jahren vermutet, dass der Geist beim Denken nach außen geht und die bunten Farbflecken und Punkte auf dem Ergebnis-Fotos ein Abbild der Gedanken sind. Dass die Fotografien aber durch eine Mischung aus Körperwärme, Licht und Schweiß entstanden, wurde nie in Erwägung gezogen. Die Gedankenfotografie galt damals als wissenschaftlich bewiesen.
Genauso wenig zweifeln die Anhänger der Chemtrails heute die Gefahr an, die sie in den Kondensstreifen hinter Flugzeugen vermuten. Die Auseinandersetzung mit dieser aktuellen Verschwörungstheorie ist in den Nachbarräumen zu sehen. Demnach sollen die Spuren im Himmel, die Röder fotografisch festhält, als Beweise für die Ausschüttung von Gift dienen.
Die Titel sind wichtig bei Julian Röder. So suggeriert allein das Wort „Licht“ viele Auslegungen: Es geht immer um einen spirituellen Glauben, also eine Erleuchtung, in den neuen Fotografien. Licht steht aber genauso für die Verblendung der Gläubigen. Und objektiv betrachtet, ist die Fotografie nur mit Licht möglich.
Kontrolle behalten
Wie der Titel der neuen Serie aber auch andeutet, wird gleichermaßen die Angst thematisiert. Es ist meist das Fremde, das gefürchtet wird. So erhält sich eine Sekte mittels der Kontrolle über ihre Mitglieder. Durch den Titel „Licht und Angst“ gibt Röder eine Lesart der Fotografien vor, die während eines Besuchs bei der sektenähnlichen Gemeinschaft der Anastasia-Siedlung in Russland entstanden.
Über 15 Jahre hinweg lässt die Ausstellung sein Werk verfolgen. Seine frühen Arbeiten sind politisch und urteilen durch die Inszenierung. Genau das Inszenierte unterscheidet Röder auch von einem dokumentarischen Fotografen.
Schon während seiner Ausbildungszeit bei der Fotografenagentur Ostkreuz und dem anschließenden Studium bei Timm Rautert in Leipzig fing er an, Bilder von Demonstranten während der G-8-Gipfel zu schießen. Die daraus entstandene Fotoreihe „The Summits“ (2001 bis 2008) zeigt die Seite der Protestierenden während vier Treffen der Industrienationen in Italien, Frankreich, Deutschland und Japan. Inzwischen konnte Röder die Serie weltweit ausstellen.
In einer anderen Serie thematisiert er Europas Grenzüberwachung. Die Fotos der Grenzwächter in „Mission and Task“ (2012/2013) sind plakativ und befremdlich. Schließlich bekommt man Grenzen und die benutzen Überwachungsapparate selten zu sehen. Röder war es hier ein Anliegen, „die Seite von Grenzen zu zeigen, die versteckt bleibt“.
Wenn wir uns seine vielseitigen Arbeiten in der Ausstellung angucken, realisieren wir schnell, dass Julian Röder unsere Gesellschaft und die westlichen Werte hinterfragt. Er testet die Freiheit, die uns der Kapitalismus anscheinend gibt. Dass unsere Werte aber gerade von uns oftmals nicht eingehalten werden, ist der wunde Punkt im System. Und genau dort hält er die Linse drauf.
Röder möchte aber keine Realitäten darstellen, sondern Wahrheiten für sich finden. Seine Suche gibt uns eine neue Sichtweise, unsere Gesellschaft infrage zu stellen. Wie er es so schön selbst formuliert: Ich mache Bilder, damit man sich Gedanken über die Welt machen kann. Und er erreicht diesen Anspruch, weil die Situationen, die er abbildet, für uns allein durch die Medien nur schwer zugänglich sind.
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