Ausstellung „Flying Foxes“: Kapitalismuskritik mit Megayacht
Im Kunstverein Hamburg zeigt der amerikanische Künstler Cory Arcangel die Zusammenhänge zwischen digitalen Medien und globaler Produktion.
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136 Meter: So lang ist die Yacht, die – als Foto – die Wände des Ausstellungsraums schmückt. Allerdings ist nicht die ganze „Flying Fox“ zu sehen, so heißt das Boot, sondern nur ein Ausschnitt; durch die großformatige Reproduktion verpixelt, also nicht sofort zu erkennen. An der Imposanz ändert das nichts. Entstanden ist das Foto mit einer Handykamera im Hafen von Stavanger, Norwegen, der Wahlheimat von Cory Arcangel.
In seinen Arbeiten beschäftigt sich der US-amerikanische Künstler, Jahrgang 1978, mit der Verbindung von digitaler Technologie und zeitgenössischer Popkultur. Seine Spielfläche sind die „digitalen Medien“, seine „Flying Foxes“ betitelte Hamburger Ausstellung, kuratiert von Nicholas Tammens, komplementiert also „Data Streaming: Unter diesem Titel werden im Obergeschoss des Kunstvereins derzeit Arbeiten von Michel Majerus gezeigt.
Das Hauptaugenmerk liegt bei Arcangel nun auf der Videoarbeit „Runners“: Auf den ersten Blick sind das zwei überdimensional große Handys, nebeneinander in die Horizontale gekippt. Auf beiden Bildschirmen läuft ein Instagram-Feed von rechts nach links, eigentlich also von unten nach oben; so langsam, so, dass die Betrachter*innen die Bilder und kurzen Videos anschauen können. Auf dem linken Riesenhandy ist es das Profil des Handelsriesen Amazon, rechts jenes des Ölkonzerns ConocoPhillips. Bilder und Videos sind daher eine Mischung aus Unternehmensselbstdarstellung und Werbeangeboten. Jeder Beitrag wird „gelikt“, danach wird weiter gewischt: Die Rolle der User*in übernimmt ein Bot, er likt und scrollt.
Das dadurch simulierte User*innenverhalten kann zu einer passiven Überstimulation führen. Die Installation saugt ihr Publikum in eine Marketingwelt der Großkonzerne und wirkt dabei geradezu hypnotisierend. Die bewegten Bilder auf den hellen Bildschirmen spiegeln sich an den Ausstellungswänden wider – und damit an der „Flying Fox“.
Cory Arcangel, „Flying Foxes“: bis 12. 2. 2023, Kunstverein Hamburg
Wer aus der Medienparalyse erwacht, könnte sich fragen, was jene Darbietung mit der Megayacht zu tun hat. Die Antwort ist so einfach, wie sie komplex ist: Das implizite Thema der Ausstellung sind die unsichtbaren, symbolischen Fäden des kapitalistischen Lebensnetzes. Die „Flying Fox“ steht dabei symbolisch für einen exorbitanten Reichtum, regelmäßiger Gast an Bord soll neben anderen Berühmtheiten der Tech-Milliardär und Amazon-Besitzer Jeff Bezos gewesen sein. Der Hafen wiederum, in der die Megayacht seit Längerem liegt, ist zudem bekannt als eine Art Steueroase: Der Begleittext zu „Flying Foxes“ berichtet von entfallender Mehrwertsteuerpflicht auch für ganz woanders gebaute Boote.
Neben solchen Steuerschlupflöchern ist es vor allem der digitale Massenkonsum, der die Dividende von Tech-Konzernen in die Höhe treibt. Die Strukturen hinter all den bequem zu nutzenden Online-Plattformen sind für die User*innen intransparent. Algorithmen und das permanente Erfassen ihrer Daten lassen die Konsument*innen auch zu Produzent*innen werden; was sie von sich preisgeben, hält nicht nur Social Media am Leben.
Die User*innen gestalten freilich weniger, als dass für sie gestaltet wird: ein Angebot, die Waren, die sie kaufen sollen. Dieses Prinzip ist sehr effektiv, Amazon verkaufte an den „Prime-Days“ 2022 innerhalb von zwei Tagen 300 Millionen Artikel. Der Konzern ist einer der wenigen richtig großen Gewinner der wirtschaftlichen Krisen des vergangenen Jahres.
Ein weiterer ist der texanische Ölproduzent ConocoPhilipps, den man auf dem rechten Bildschirm sehen kann; ein Lieferant des Treibstoffs, der das kapitalistische Netzwerk am Leben hält: Energie. Die wird benötigt, um Waren herzustellen und sie zu transportieren. Und schlussendlich auch für die Benutzung von Luxusgütern wie Autos, Flugzeuge oder eben Megayachten: Der enorme Bedarf an Energie ist dabei unweigerlich ein Resultat des steigenden Massenkonsums.
Arcangels Ensemble vereint so den Zusammenhang zwischen digitalem Marketing, der dahinterstehenden Infrastruktur und dem daraus resultierenden ganz materiellen Reichtum. Ohne den moralischen Zeigefinger zu heben, schafft es der Künstler, ein Bewusstsein zu wecken für die sonst nicht ohne Weiteres sichtbaren Strukturen des heutigen Konsums.
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