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Außer Betrieb

Murat Atas arbeitete beim Turnschuhhändler Foot Locker und war Betriebsratsvorsitzender, dann wurde er gekündigt. Atas glaubt, dass das Unternehmen seine Arbeit verhindern wollte. Oft bleiben solche Fälle von sogenanntem Union Busting in Deutschland im Dunkeln

Zumindest Kunden bekommen hier Rat im Betrieb: eine Filiale des US-­Turnschuh­händlers Foot Locker in Hamburg Foto: Markus Matzel/imago

Von Nina Scholz und Sebastian Friedrich

Murat Atas wollte nicht, dass sein ehemaliger Arbeitgeber einfach so davonkommt. 25 Jah­re hat er als Verkäufer bei Foot Locker gearbeitet, stieg dort schnell auf, wurde Betriebsrat, später sogar Gesamtbetriebsratsvorsitzender. Lange lief alles gut, sagt er heute. Doch vor einigen Jahren begann der Stress. Foot Locker habe systematisch versucht, die Arbeit des Betriebsrats zu behindern.

Eine Filiale, in der Beschäftigte besonders gewerkschaftlich aktiv waren, wurde sogar geschlossen, berichtet Atas. Schließlich habe das Unternehmen versucht, ehemalige und aktuelle Betriebsratsmitglieder loszuwerden. Atas setzte sich für seine Kollegen ein, bis auch er ins Visier geriet. Foot Locker wollte ihm wegen angeblichen Arbeitszeitbetrugs kündigen.

Da der Betriebsrat der außerordentlichen Kündigung gegen ihren Vorsitzenden nicht zustimmte, landete der Fall vor Gericht. Foot Locker musste tief in die Tasche greifen, um einen Vergleich zu erzielen. Das war im Februar 2023. Jahre des Konflikts und der Zermürbung endeten damit, doch aus Atas’ Sicht kam das Unternehmen noch mit einem blauen Auge davon.

Um seinen Kampf für Mitbestimmung und bessere Arbeitsbedingungen nicht ins Leere laufen zu lassen, suchte er die Öffentlichkeit. Zudem stellte Atas Strafantrag, denn die Behin­derung von Betriebsratsarbeit ist nach Paragraf 119 des Betriebsverfassungsgesetzes eine Straftat.

„Es ging mir darum, dass Unternehmen merken, dass sie nicht einfach ungestraft gegen Beschäftigte vorgehen können, die einfach nur ihre Rechte wahrnehmen“, so Atas. Lange passierte wenig, doch 2025 landete der Fall tatsächlich noch vor Gericht. Gegen zwei Beklagte, Martin W. und Laura G., ist am 25. Mai 2025 Anklage am Berliner Strafgericht erhoben worden.

Während es im Fall Foot Locker immerhin zu einer Verfahrenseröffnung gekommen ist, schaffen es viele dieser Fälle von sogenanntem Union Busting (Deutsch: Gewerkschaftszerstörung) in Deutschland nicht einmal bis dahin. Die Zahl der Verfahren, in denen es zu einer Anklage komme, liege bundesweit im einstelligen Bereich, behauptete die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände im September vergangenen Jahres gegenüber dem Hessischen Rundfunk.

In Berlin wurde laut der dortigen Staatsanwaltschaft im Jahr 2024 kein einziges Verfahren nach Paragraf 119 Betriebsverfassungsgesetz eröffnet. Zwischen 2020 und 2023 seien es immerhin insgesamt 25 Verfahren gewesen. Fünf Verfahren davon seien dabei gegen unbekannt eröffnet worden. Es hat also keinen Beschuldigten gegeben, oder es konnte keiner ermittelt werden.

Alle 20 Verfahren mit Beschuldigten wurden eingestellt – drei wegen Geringfügigkeit oder fehlendem öffentlichen Interesse, fünf wegen mangelndem Tatverdacht, die übrigen aus anderen Gründen.

Wie viele Anzeigen nach Paragraf 119 überhaupt gestellt werden, ist unklar. Es gibt keine zentrale Meldestelle für Union Busting, wie sie etwa in den USA existiert. Dort müssen Gewerkschaftsgründungen beim National Labor Relations Board angemeldet werden. Die Behörde sammelt und dokumentiert Verstöße von Arbeitgebern.

Union Busting dürfte in Deutschland weitaus häufiger vorkommen, als die Zahlen der Staatsanwaltschaft Berlin und des Arbeitgeberverbands vermuten lassen, denn auch wenn offizielle Angaben fehlen, gibt es aussagekräftige Zahlen. 2020 hat das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut Geschäftsstellen verschiedener deutscher Gewerkschaften befragt, wie häufig sie vor Ort Betriebsratsbe- und -verhinderungsversuche erleben. 172 Geschäftsstellen hatten, so das WSI, darauf geantwortet.

Im Bericht heißt es, dass „sehr direkte und konfrontative Maßnahmen wie die Kündigung von Betriebsratskandidaten“ weit verbreitet seien. Betriebliche Strukturveränderungen als Maßnahme gegen eine Betriebsratswahl kämen zwar vergleichsweise selten vor, dennoch sei es bemerkenswert, „dass Arbeitgeber selbst vor einer gezielten Reorganisation oder Aufspaltung des Betriebs oder gar der Schließung bzw. der Verlagerung des Betriebs nicht zurückschrecken.“

84 Arbeitgeber hätten laut der Studie, ihren Betriebsräten gekündigt. Sollten diese Kündigungen tatsächlich auf die Betriebsratsarbeit abzielen, so hätten sich die Arbeitgeber gemäß des Betriebsverfassungsgesetzes eigentlich strafbar gemacht. Bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe stehen darauf.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jan Dieren schätzt, dass es in Deutschland nur zu einer Verurteilung pro Jahr kommt. Dieren, Mitglied des Bundestagsausschusses Arbeit und Soziales, sieht den Grund darin, dass Betriebsratsbehinderung ein Antragsdelikt ist, zur Strafverfolgung also ein Strafantrag nötig ist. „Deshalb wäre es so wichtig, Straftaten gegen das demokratische Recht der Mitbestimmung zu einem sogenannten Offi­zial­delikt zu machen“, so Dieren. Diese werden von der Staatsanwaltschaft von Amts wegen verfolgt.

Die Zahl der Betriebsräte in Deutschland sank zuletzt stetig

Die Ampelregierung hatte dies angekündigt, setzte es aber nicht um. Im aktuellen schwarz-roten Koalitionsvertrag fehlt ein solcher Plan. Dieren, der als Rechtsanwalt selbst schon Betriebsräte vertreten hat, fordert darüber hinaus die Einführung wirksamer und abschreckender Sanktionen: „Statt einer pauschalen Obergrenze könnten sich die Bußgelder beispielsweise am Unternehmensumsatz orientieren und nicht gegen Einzelpersonen in der Unternehmensleitung, sondern gegen das Unternehmen selbst gerichtet sein.“

Auch die juristische Bündelung bei den Strafverfolgungsbehörden hält Dieren für notwendig: „Die Länder müssten zum Zweck einer angemessenen Verfolgung außerdem Schwerpunktstaatsanwaltschaften einrichten.“ In Brandenburg gibt es seit März 2025 so eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft. Justizminister Benjamin Grimm (SPD) kündigte damals an, er habe die „Zuständigkeiten für Verstöße gegen das Betriebsverfassungsgesetz bei den Sonderabteilungen der Staatsanwaltschaften zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (…) gebündelt.“ Auch in Berlin hatte es so einen Versuch 2022 schon mal gegeben: Die rot-rot-grüne Regierung hatte aber wegen der Neuwahlen 2023 keine Zeit mehr gehabt, diesen umzusetzen.

Die Verfolgung von Union Busting ist auch deshalb wichtig, weil die Zahl der Betriebsräte ständig sinkt: Die Hans-Böckler-Stiftung hat erhoben, dass 2010 noch 44 Prozent aller Beschäftigten in Betrieben mit Betriebsrat beschäftigt waren. 2022 waren es nur noch 39 Prozent in Westdeutschland und 34 Prozent in Ostdeutschland.

Auch im Fall von Murat Atas gegen Foot Locker kam es letztlich zu keinem Schuldspruch, teilt das Strafgericht Berlin auf Nachfrage der taz mit. Das Strafverfahren sei gegen Zahlung von jeweils 5.000 Euro an eine vom Gericht benannte gemeinnützige Organisation vorläufig eingestellt worden. Der zur Begründung herangezogene Paragraph 153a Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) besagt: Die Schuld ist zu gering, und es gibt kein öffentliches Interesse.

Die Autoren dieses Textes erstellten über den Fall von Murat Atas auch ein Radiofeature unter dem Titel „Gemobbt, gekündigt, abgefunden – Wie Unternehmen gegen Betriebsräte vorgehen“ (DLF/SWR, 2023)

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