Außenminister Steinmeier im Kreml: Moskau bleibt cool
Russland verachtet Europas Liberalität. Doch beim Kräftemessen mit den USA ist es auf Deutschlands Unterstützung angewiesen.
Moskau bleibt ungemütlich, es fühlt sich international im Aufwind. Nach Lawrow war auch noch ein Treffen mit Ministerpräsident Dmitri Medwedjew und Kremlchef Wladimir Putin vorgesehen. Auch US-Außenminister Kerry hatte sich für Donnerstag noch in Moskau angesagt, er wollte ebenfalls im Kreml vorsprechen.
Alle Wege führen nach Moskau, triumphieren Russlands staatliche Medien. Die Botschaft ist klar: Moskaus internationale Isolation, die auf die Krim-Besetzung folgte, ist überwunden. Das kann, wer will, aus der Anreise Kerrys noch vor Ostern herauslesen.
Lawrow war in der Pressekonferenz mit Steinmeier zu keinen Späßen aufgelegt. Der Außenminister ist erfahren genug, um zu wissen, dass Moskau Kraft und Mittel fehlen, um die Rolle einer zweiten Supermacht zu übernehmen. Diesen Mangel muss seit einiger Zeit die unbeweglich drohende Mine des russischen Außenamtschefs ausgleichen.
Jugend als Selbstläufer
Um die deutsch-russischen Beziehungen steht es schlecht. Wie schlecht, belegte die gemeinsame Erklärung der beiden Länder zum Jugendaustausch 2017. Wer sich nichts zu sagen weiß, stürzt sich auf die Jugend. Sie lässt sich mit beruhigenden Themen wie Zukunft, Gemeinsamkeiten, Offenheit und Abbau von Stereotypen verbinden. Ein Selbstläufer, der zu nichts verpflichtet. Abzuwarten bleibt, wen Moskau zum Austausch nach Deutschland zu schicken wagt. Der Jugend hat es gehörig den Kopf gewaschen.
Unmittelbar nach den Anschlägen von Brüssel warb Steinmeier für einen vereinten Kampf gegen den Terrorismus. „Es ist in unserem gemeinsamen Interesse, gegen diese gemeinsame Bedrohung anzugehen“, sagte er. Der Russe pflichtete ihm bei, konnte sich aber die Spitze nicht verkneifen: „Ich hoffe, dass die Europäer angesichts des fürchterlichen Terroranschlags in Brüssel ihre geopolitischen Spielchen beenden“, sagte Lawrow. Steinmeier blieb Sergei die Antwort schuldig.
Russlands wütende Vorwürfe haben inzwischen System. Es wirft dem Westen vor, was es meist selbst macht und für unabdingbar hält. Zum Anschlag hatte sich am Vortag schon die Sprecherin des Außenministeriums geäußert. „Leider kommen wir heute zu sehr traurigen Ergebnissen in der Politik doppelter Standards. Man darf Terroristen nicht in gute oder schlechte einteilen“, sagte Maria Sacharowa, die mit ihrem Auftreten diplomatische Gepflogenheiten leichtfertig unterläuft. Die Anspielung galt der gemäßigten Opposition in Syrien, die Russland auch zu Terroristen zählt.
Ein leicht gewöhnlicher Zungenschlag hat sich im Ministerium am Smolensker Ploschtschad eingeschlichen. Er kennzeichnet den Wechsel von der Oligarchie zur Ochlokratie. Die politische Elite ist der Meinung, dass sich die EU das Terrorismusproblem selbst eingebrockt habe. Moskau verachtet Europas Liberalität, übersieht jedoch, dass auch ein autoritärer Staat wie Russland vom Terror regelmäßig heimgesucht wird. Scharfe Analyse ist in Russland zurzeit nicht angesagt.
Reine Symbolik als Politik
Lawrow bekräftigte die Notwendigkeit der Friedensbemühungen in Syrien, warf der Türkei indes vor, kurdische Milizen daran zu hindern, gegen den Islamischen Staat (IS) vorzugehen. Unklar ist weiter hin, wie Moskau mit dem Diktator Baschar al Assad verfahren möchte. Das dürfte einer der Gründe für Kerrys Anreise gewesen sein.
Auch mit Blick auf die Ukraine bewegt sich in Moskaus nichts. Daran wird sich demnächst auch nichts ändern. Moskau empfindet den Status quo als vorteilhaft, während die Widersprüche in Kiew wachsen.
Auch die Verurteilung der ukrainischen Kampfpilotin Nadija Sawtschenko zu 22 Jahren Haft sprach Steinmeier an und plädierte für eine „humanitäre Lösung“. Der Prozess sprach rechtsstaatlichen Anforderungen Hohn und wurde international scharf kritisiert.
Gezielten Halb- und Unwahrheiten
Russland und der Kreml sind auf die USA fixiert. Russische Beobachter vermuten, Kerry könnte Putin auf das Schicksal der Pilotin ansprechen. Eine Lösung auf „Augenhöhe“ – zwischen Washington und Moskau – wäre dann nicht mehr ausgeschlossen. Es ist reine Symbolik, die Russlands Politik der harten Bandagen seit einigen Jahren begleitet.
Lawrow nutzte die Gelegenheit, Russlands Positionen noch einmal in aller Breite darzustellen. Ob zu Syrien oder der Ukraine – der Außenminister verbreitete die gezielten Halb- und Unwahrheiten der hybriden Kriegsführung.
Hochkarätige Besuche legt Moskau auch als Zustimmung aus. Das sollte niemand vergessen, der in Moskau mit ehrlichen Absichten auftritt. Noch gilt: Sicherheit und Stabilität lassen sich nicht ohne und auch nicht gegen Russland erzwingen, leider aber auch nicht mit Moskau.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten