Ausschreitungen im Kosovo: Eine neue Militanz
Im Kosovo haben radikale Serben KFOR-Soldaten attackiert, um albanische Abgeordnete in Gemeinden zu verhindern. Die Nato verstärkt ihre Präsenz.
Am Montagnachmittag entwickelte sich eine regelrechte Straßenschlacht, als militante Serben die KFOR-Soldaten angriffen. Dreißig Soldaten, unter ihnen 19 Ungarn und 11 Italiener, erlitten Verletzungen, darunter Knochenbrüche und Verbrennungen, teilte die Schutztruppe am Dienstagmorgen in der kosovarischen Hauptstadt Prishtina mit.
„Die KFOR hat auf die unprovozierten Angriffe einer gewalttätigen und gefährlichen Menge reagiert“, hieß es in der Mitteilung, und zwar mit Tränengas und Schlagstöcken. Laut dem Krankenhaus in der nahegelegenen Stadt Mitrovica wurden 53 Serben verletzt, berichtet dpa. Als Konsequenz will die Nato ihre Schutztruppen im Kosovo nun verstärken, hieß es am Dienstagnachmittag.
Die militanten Demonstranten wollen auf jeden Fall verhindern, dass kosovoalbanische Abgeordnete in die Rathäuser der drei Gemeinden einziehen. Diese Gemeinden – jede hat etwa 30.000 Einwohnern – werden mit großer Mehrheit von Kosovoserben bewohnt. Nach dem Wunsch der USA und der EU sollten hier im April Wahlen stattfinden, um eine legitime Repräsentation der Einwohner zu schaffen. Ziel dieser Politik war es, Voraussetzungen für die Integration Serbiens und Kosovos zum Eintritt in die EU zu schaffen.
Doch die serbische Bevölkerung, angeführt von extremistischen Kräften, weigerte sich mit Rückendeckung der Regierung in Belgrad, an den Wahlen teilzunehmen. Belgrad lehnt eine Integration der kosovarischen Serben innerhalb der Strukturen des Staats Kosovo ab und möchte einen eigenen Gemeindeverbund organisieren, der unabhängig vom Parlament und der Regierung in Prishtina agiert.
Diese Forderung fand bei den Diplomaten der westlichen Mächte zwar durchaus Gehör – so bei dem US-Botschafter in Belgrad, Christopher Hill, dem US-Sondergesandten Daniel Escobar und EU-Außenkommissar Josep Borrell –, doch trotz allen diplomatischen Drucks gelang es nicht, die kosovarische Regierung unter Albin Kurti zum Nachgeben zu bewegen.
Die Albaner befürchten, ein serbischer Gemeindeverbund würde die Existenz Kosovos bedrohen, und beharren auf einer demokratisch legitimierten Vorgehensweise. Sie verweisen darauf, dass die Minderheitenrechte der Serben und anderer Minderheiten in Kosovo wie kaum in einem anderen Land in Europa gewahrt sind.
Weil die Kosovoserben an den Gemeindewahlen im April also nicht teilnahmen, gewannen Albaner und andere nichtserbische Bevölkerungsteile mit 3,5 Prozent der Wahlberechtigten die Wahlen und stellen nun die Bürgermeister, die am Wochenende in ihr Amt eingeführt werden sollten. Mit der Strategie, im Vorfeld des Eintritts in die EU legitime Verwaltungen zu schaffen, blieb der KFOR-Truppe nichts anderes übrig, als die gewählten Abgeordneten zu schützen. Die Truppen sind verpflichtet, den legitimen Volksvertretern den Zutritt zu den Gemeindegebäuden zu garantieren.
Eine Lösung ist nicht in Sicht. Die serbische Seite will eine demokratische Lösung im Rahmen des Konflikts verhindern, obwohl Belgrad selbst nicht die völlige Kontrolle über die dortigen Machtstrukturen hat. Dieses nördlich von Mitrovica gelegene Gebiet hatte wie die anderen von Serben bewohnten Gebiete seit dem Einmarsch der Nato-Truppen 1999 zwar immer eine von Belgrad gelenkte Verwaltung, war jedoch hier auch unter der Kontrolle einer lokalen Mafia, der es sehr gelegen kam, in einem rechtsfreien Raum agieren zu können.
Auch die UN-Mission im Kosovo, Unmik, die ganz Kosovo bis zur Unabhängigkeitserklärung 2008 verwalten sollte, hat sich hier im Norden Kosovos die Zähne ausgebissen. Zwar gelang es in den südlichen Enklaven, wo mit rund 100.000 die Mehrheit der Kosovoserben lebt, sowohl die Sicherheit zu garantieren als auch ein normales Leben zu ermöglichen. Alle Versuche aber, eine UN-Verwaltung in diesem nördlichen Gebiet aufzubauen, wurden von militanten Demonstranten in Einklang mit der Politik Serbiens verhindert.
Das Problem begann damit, als bei dem Einmarsch der Nato-Truppen im Sommer 1999 die französischen Nato-Truppen sich weigerten, das Gebiet nördlich von Mitrovica zu kontrollieren. Die UN-Truppen wagten dann später nicht, dies zu korrigieren. Nordkosovo blieb ein weißer Fleck auf der Landkarte, ein rechtsfreier Raum, der zwar von Belgrad beeinflusst, doch auch wesentlich von lokalen Kräften und der Mafia gelenkt wurde.
Dem Kosovostaat gelang es zwar in den letzten Jahren, Grenzkontrollen zu etablieren, aber auch die ethnisch gemischte Kosovopolizei wurde hier nicht geduldet. Serbische Polizisten verließen auf Druck der Extremisten lieber ihre Jobs denn als „Volksverräter“ angesehen zu werden.
Es bildete sich dort über all die Jahre ein rechtsfreier Raum, in dem die serbische wie auch die albanische Mafia aktiv sein konnten. Kriminelle arbeiten gut zusammen, wenn es um Drogenhandel, Geldwäsche und andere Aktivitäten geht. Für sie sind eine Normalisierung und der Aufbau eines Rechtssystems mit Rechtssicherheit geschäftsschädigend.
Russische Aktivitäten
Sowohl die KFOR wie die Kosovoregierung verfügen zudem über Kenntnisse von Aktivitäten russischer Dienste, die in dieses Gebiet eingedrungen sind. Im nahegelegenen südserbischen Ort Niš ist ein russisches Militärlager entstanden, das genau wie das US-Militärlager in Kosovo nicht nur Soldaten ausbildet, sondern auch Spionage betreibt. Es gibt sogar Gerüchte, Söldner der Wagner-Gruppe, die für Russlands Machthaber Putin in der Ukraine kämpfen, stünden in Bezug auf Kosovo dort in Niš Gewehr bei Fuß.
Der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti macht Serbien für die jetzigen Ausschreitungen verantwortlich. Bei den Demonstranten im Norden handle es sich zum Großteil um „einen Haufen Extremisten unter Anleitung des offiziellen Belgrads“, sagte er am späten Montagabend nach Angabe seines Amtes in einem Gespräch mit westlichen Botschaftern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit