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Ausschreitungen beim G20-GipfelBeamte wollten nicht auf die Schanze

Polizeikräfte sollen den Einsatz im Schanzenviertel zunächst aus Gründen der Lebensgefahr verweigert haben. De Maizière will erweiterte Meldeauflagen.

Verweigerten angeblich zunächst den Gehorsam: Polizeieinheiten beim Einsatz im Schanzenviertel Foto: dpa

Hamburg/hannover dpa/epd | Während der schweren Ausschreitungen beim G20-Gipfel sollen Polizeieinheiten nach Angaben des Hamburger Polizeipräsidenten einen Einsatz im Schanzenviertel zunächst verweigert haben. Polizeipräsident Ralf Martin Meyer sagte Spiegel online: „Als die ersten Feuer brannten, hat Einsatzleiter Hartmut Dudde die Einheiten planmäßig aufgefordert, auf das Schulterblatt vorzurücken.“ Aber verschiedene Einheiten hätten gesagt, da bestehe Lebensgefahr. „Da mussten Spezialeinheiten her, um die Angreifer von den Dächern zu holen.“

Es sei natürlich ein Konflikt, „wenn der Einsatzführer sagt, wir müssen da jetzt rein. Und die Einheiten sagen: Ja, aber nicht wir“, erklärte Meyer. Die Gefahren für die Polizeibeamten wie für alle Menschen im Viertel seien aber nicht zu kalkulieren gewesen, ohne dass die Angreifer von den Dächern geholt werden. „Dieses Ausmaß an Gewalt haben wir alle noch nicht erlebt.“

Das Vorrücken ins Viertel von einer anderen Seite sei ohne Erfolg probiert worden. „Es ging nicht, die Einheit wurde massiv, auch von erhöhten Positionen aus, angegriffen und musste sich zurückziehen“, sagte Meyer. Bis die Spezialeineinheiten am Ort gewesen seien, habe es so lange gedauert, weil sie nicht für Demo-Einsätze vorgesehen waren. „Wir mussten sie erst zusammenziehen und hinbringen.“

Pistorius: „Merkmale eines Mordversuchs“

Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) wertete unterdessen einen Teil der Angriffe auf die Polizei bei den Krawallen im Schanzenviertel als Mordversuch. „Was dort geschehen ist – unten in der Straße Feuer zu legen, um Polizei und Feuerwehr zum Einschreiten zu veranlassen, und diese dann von oben zu bewerfen –, das erfüllt aus meiner Sicht alle Merkmale eines Mordversuchs: Heimtücke, niedere Beweggründe“, sagte Pistorius der Welt.

Pistorius, der im SPD-Bundestagswahlkampf für das Thema innere Sicherheit zuständig ist, sprach sich aber dagegen aus, „diese Gewalt simpel als linksextrem einzuordnen“. Unter den Gewalttätern seien viele, die sich auch als Linksextremisten sehen, „aber das, was sie machen, ist eben mit keiner Ideologie begründbar.“

Innenminister will im Notfall Fußfesseln anlegen

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) schlug erweiterte Meldeauflagen für gewaltbereite Linksextreme vor. „Wir sollten ihnen auferlegen, sich in bestimmten zeitlichen Abständen bei der Polizei zu melden oder ihnen notfalls Fußfesseln anlegen“, sagte der Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Die Krawallmacher sollten die Demonstrationsorte gar nicht erst erreichen dürfen.“

Eine solche Meldeauflage sei ein relativ mildes und sehr wirksames Mittel, sagte de Maizière. „Bei hochaggressiven sogenannten Fußballfans gehen wir doch auch so vor.“ Gewalttäter zu stoppen sei Prävention im besten Sinne. Dabei gehe es nicht darum, das Demonstrieren zu verbieten, sondern schwere Gewalttaten zu verhindern. Entsprechende Auflagen dürften nur unter „rechtsstaatlich einwandfreien Voraussetzungen“ angewendet werden.

Maaßen warnt vor gestiegener Gewaltbereitschaft

Der Präsident des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, warnte unterdessen vor einem Erstarken der linksextremistischen Szene. Linksextreme seien stärker als früher bereit, Gewalt gegen den politischen Gegner und gegen die Polizei anzuwenden, sagte Maaßen der Neuen Osnabrücker Zeitung. Zur linksextremistischen Szene zählten rund 28.000 Personen, davon seien 8.500 gewaltorientiert.

Die zunehmende Gewaltbereitschaft zeige sich allerdings bei Extremisten aller Lager, betonte Maaßen. Laut dem vor knapp zwei Wochen vorgestellten Verfassungsschutzbericht haben sowohl links- und rechtsextremistische Szene als auch das radikal-islamische Milieu an Anhängern dazugewonnen. Die Zahl von Gewalttaten stieg insbesondere im Bereich Rechtsextremismus. Die Anhängerschaft der rechten Szene wuchs 2016 auf mehr als 23.000 an. Mehr als die Hälfte der Personen galten als gewaltbereit.

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7 Kommentare

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  • Wievielle Polizisten wollten denn zum Nazi-Konzert in thüringen? Und seit wann können Polizisten zu Pressezwecken herausstellen, dass sie als Beamte irgendwas nicht wollen?

  • Der Einsatzleiter Herr Dudde war sich wohl nicht bewusst, was er von den Beamten vor Ort verlangte. Es waren aber Hubschrauber vor Ort, die die Täter auf den Dächern filmten, die Brandsätze und anderes von den Dächern warfen. Warum wusste Herr Dudde nichts von den Tätern auf den Dächern, oder war ihm das Egal?

  • "...von erhöhten Positionen angegriffen..."

    Ja, heben die keine Hubschrauber die die Angreifen neutralisieren können?

    • @Egon Olsen:

      Ich glaube nicht, dass von den Hubschraubern aus irgendwas gemacht werden kann außer Filmen und Leuchten.

       

      Mir hat schonmal jemand gesagt, er fürchte sich bei einer bevorstehenden Demo davor, von Hubschraubern aus könne Pfefferspray oder Tränengas abgevorfen werden, aber das kam aus einer Art übersteigerten Paranoia heraus und bewahrheitete sich nicht (wenn auch ansonsten das Vorgehen der Polizei bei dieser Demo, die ich jetzt nicht näher benenne, völlig inakzeptabel war).

       

      Ich denke auch nicht, dass solche Einsätze technisch bzw. von der Ausbildung der Piloten her möglich wären. Dazu bräuchte man sicherlich einen anderen, militärischeren Ansatz. Man bedenke, dass man für sowas deutlich näher an den Boden heranmüsste und somit ggf. auch beworfen werden könnte oder ähnliches...

  • Dann scheint es ja eher ein Märchen zu sein, die Polizei hätte die Eskalation und die Ausschreitungen beabsichtigt und provoziert.

    • @rero:

      Ja sicher,

      Polizeibeamte verdienen ja unsere besondere Achtung, weil sie ständig unter Lebensgefahr "ihren Kopf hinhalten.

      Auch schon die Tage vorher, hatten die Polizeibeamten nach eigener Auskunft die Einsätze unter ständiger Lebensgefahr gemacht.

      Da hatten sie der Lebensgefahr trotzend, Zelte beschlagnahmt und Menschen heldenhaft am Schlafen gehindert.

      Als dann ein plünderder Mob tobte, konnten sie leider nicht eingreifen, weil das ja lebensgefährlich war.

      Erkenne den Fehler!

      • @Wagenbär:

        Ich erkenne den Fehler: Sie haben oben den Artikel nicht gelesen.

         

        Wenn die Polizisten Angst hatten, in den Einsatz zu gehen wegen der Gewalttätigkeit, werden sie die kaum beabsichtigt und provoziert haben.