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Auschwitz-Prozess in Lüneburg„Ich habe mich mitschuldig gemacht“

Der ehemalige SS-Mann Oskar Gröning gibt im Lüneburger Auschwitz-Prozess eine Erklärung ab. Und er bereut seine Taten.

Will nicht um Vergebung bitten, weil die Dimension der Schuld diese Bitte nicht zulasse: Oskar Gröning. Foto: dpa

Lüneburg taz | Stille herrschte im Saal des Landgerichts am Mittwoch nach der Erklärung von Oskar Gröning. 20 Minuten hatte seine Anwältin im Namen des früheren SS-Unterscharführers gesprochen. Ihm wird die Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen in Auschwitz zur Last gelegt.Gerade hatte er seine Mitschuld eingeräumt. „Mir ist bewusst, dass ich mich durch meine Tätigkeit in der Häftlingsgeldverwaltung am Holocaust mitschuldig gemacht habe, mag mein Anteil auch klein gewesen sein.“

Der 94-Jährige hatte den provisorischen Gerichtsaal in der Ritterakademie mit einem Rollator betreten und war von zwei Sanitätern zu seinem Platz begleitet worden. Mit Mühe setzte er sich. „Herr Gröning will dieses Verfahren“, hatte sein zweiter Verteidiger Hans Holtermann unlängst der taz gesagt.

Der Prozess bewege ihren Mandanten so stark, dass sie seine Erklärung für ihn verlese, erklärte Verteidigerin Susanne Frangenberg am Mittwoch. In seiner Einlassung bestätigte Gröning, dass er in der Bürostube die Gelder der nach Auschwitz deportierten Menschen verwaltetet habe. Für den Dienst an der Rampe, wo die SS nach der Ankunft der deportierten Menschen entschied, welche von ihnen ins Gas oder in die Zwangsarbeit geschickt wurden, will er jedoch nicht eingeplant gewesen sein.

Nur auf Bitten anderer SS-Angehöriger hätte er dort zwei- bis dreimal den Dienst übernommen. „Auch wenn ich unmittelbar mit diesen Morden nicht zu tun hatte, habe ich mit meiner Tätigkeit dazu beigetragen, dass das Lager Auschwitz funktionierte. Dies ist mir heute bewusst“, ließ er seine Verteidigerin am Mittwoch sagen. Der „anerzogene Gehorsam“ habe verhindert, die „täglichen Ungeheuerlichkeiten als solche zu registrieren und dagegen zu rebellieren“.

Gröning voller Reue

Mit seiner Einlassung bestätigt Gröning im Grunde die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft Hannover. Diese hält dem gelernten Bankkaufmann vor, vom 28. September 1942 bis zum 16. Oktober 1944 in Auschwitz als Buchhalter Geld aus dem Gepäck der Deportierten an der Bahnrampe genommen und an die SS in Berlin weitergeleitet zu haben.

Bereits zum Verhandlungsbeginn im April hatte Gröning sich zu einer moralischen Schuld bekannt, ohne sich jedoch als Täter im strafrechtlichen Sinne zu sehen. Dennoch ging er schon damals weiter als andere Wehrmachts- oder SS-Angehörige, die sich in den letzten Jahren vor Gericht wegen Kriegsverbrechen und Beteiligung am Holocaust verantworten mussten.

Vor Grönings Einlassung hatte Rechtsanwalt Thomas Walther, der 32 der 62 Nebenkläger vertritt gehofft, dass die Aussagen von Überlebenden und Angehörigen den Angeklagten erreichen würden.

Das war ganz offensichtlich der Fall. Am Mittwoch entschuldigte sich Gröning, dass er bei seiner ersten Einlassung mehrfach Formulierungen verwendet habe, wie sie einst bei den SS-Angehörigen üblich waren: „Ich habe nicht bedacht, wie furchtbar diese Worte auf Überlebende und Angehörigen der Opfer wirken.“

Ihm sei vor den Aussagen der Zeugen auch nicht bewusst gewesen, dass deren ganzes weiteres Leben von Auschwitz bestimmt sei. In Reue stünde er vor den Überlebenden und Angehörigen, die er nicht um Vergebung bitten möchte, weil die Dimension der Schuld diese Bitte nicht zulasse.

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1 Kommentar

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  • "Bereits zum Verhandlungsbeginn im April hatte Gröning sich zu einer moralischen Schuld bekannt, ohne sich jedoch als Täter im strafrechtlichen Sinne zu sehen."

     

    Das ist zumindest mißverständlich. Gröning sagte, über seine Schuld im strafrechtlichen Sinn müsse das Gericht entscheiden. Soll heißen, er weiß es nicht.

    http://taz.de/Auschwitz-Prozess-in-Lueneburg/!5011528/