Ausbleibende Lohnzahlungen bei Wolt: Lieferdienst gibt sich ahnungslos
Zwei ehemalige Fahrer, die durch ein dubioses Subunternehmen beschäftigt waren, klagen gegen ausbleibende Löhne. Doch Wolt mauert vor Gericht.
An einer schnellen Aufklärung scheint das Lieferunternehmen Wolt nicht interessiert zu sein. „Der Kläger ist als Lieferer in diesem Zeitraum nicht bekannt“, ließ die Anwältin bei der ersten Anhörung vor dem Arbeitsgericht verlauten. Geklagt haben zwei ehemalige Fahrer aus Pakistan, die das Unternehmen beschuldigen, ihnen bis heute den Lohn für mehrere Monate Arbeit vorenthalten zu haben.
Für Arbeitsrechtsanwalt Martin Bechert, der die beiden Fahrer vertritt, ist die vermeintliche Ahnungslosigkeit des Unternehmens wenig glaubwürdig: „Es ist App-basierte Arbeit, bei der jeder Schritt minutengenau überwacht wird“. Herauszufinden, wann und wie viel seine Mandanten für Wolt gearbeitet hätten, sollte ein Leichtes für das Unternehmen sein, sagt Bechert während der Verhandlung.
Hintergrund für die vermeintliche Ahnungslosigkeit ist, dass die beiden Fahrer nie offiziell bei Wolt beschäftigt waren, sondern durch ein Subunternehmen eingestellt worden sind. Auch andere Beschäftigte, die bei dem Gerichtstermin vor Ort waren, berichten der taz, Wolt stelle seit vergangenem Herbst fast nur noch über Subunternehmer ein.
Im Falle der betroffenen Fahrer handelte es sich dabei um den Handyladen „Mobile World“ auf der Karl-Marx-Straße. Nachdem eine Bewerbung bei Wolt abgelehnt worden sei, berichtet Mohammad B., einer der Kläger, habe er sich aufgrund einer Facebook-Anzeige noch einmal über Mobile World beworben. Dort habe er die üblichen Onboarding-Dokumente bekommen. „Es war alles so wie bei Wolt“, sagt B., der zuvor bereits 2021 ein Jahr lang für das Unternehmen gearbeitet hatte.
Zähe Verhandlung erwartet
Nur einen Arbeitsvertrag hätten sie nie bekommen. Da aber wenig später die App freigeschaltet wurde, sie Aufträge bekamen und sogar mit Wolts Supportteam in Kontakt waren, arbeiten Mohammad B. und seine Kolleg:innen zunächst weiter. Erst als der Lohn ausblieb, wurden sie misstrauisch.
Insgesamt seien deutlich mehr Mitarbeiter:innen des Subunternehmens vom Lohnraub betroffen, berichtet Bechert. Dass sich am Ende nur die beiden Fahrer und eine weitere Fahrerin, deren Fall in einem separaten Verfahren verhandelt wird, für den Rechtsweg entschieden haben, läge auch daran, dass Wolt gezielt migrantische Beschäftigte anspricht. „Viele haben Angst, ihre Aufenthaltsgenehmigung zu verlieren, oder kennen ihre Rechte nicht“, sagt Bechert.
Die Beschäftigung über Subunternehmer findet zunehmend Verbreitung in der Lieferbranche, die unter Druck steht, ihre auf Wachstum getrimmten Geschäftsmodelle profitabel zu gestalten. Beim Taxi- und Lieferunternehmen Uber ist das Modell schon lange verbreitet. Die Hauptmotivation sei dabei, Mindestlohn und Arbeitsrecht zu umgehen, indem man die Verantwortung auf teilweise dubiose Subunternehmer auslagert. „Wolt schafft ein kriminogenes Umfeld, in dem Lohnraub erst möglich wird“, kritisiert Bechert.
Das Mindeste, was Wolt tun könne, wäre, die ausstehenden Löhne zu zahlen und die Probleme um Mobile World aufzuklären, fordert Bechert. Doch statt einen Vergleich anzubieten, mauert Wolt – bei der Verhandlung äußerte man sich nicht einmal dazu, ob das Unternehmen mit dem Subunternehmer zusammenarbeitet. Dementsprechend kurz viel die Verhandlung aus. Der Amtsrichter kündigte einen weiteren Termin am 30. November an.
Wolt-Pressesprecher Fabio Adlassnigg dementiert die Vorwürfe. Eine Zusammenarbeit mit Mobile World hätte es „zu keinem Zeitpunkt“ gegeben. Auch würde Wolt weiterhin selbst Fahrer:innen einstellen. „Wir haben seit einiger Zeit keine neuen Personaldienstleister mehr an Bord.“.
Aktuell arbeite man vor allem mit größeren Zeitarbeitsfirmen, nachdem im Januar die Zusammenarbeit mit dem Subunternehmer GW Trans beendet, nachdem es zu Unregelmäßigkeiten kam und danach rechtliche Schritte eingeleitet, so Adlassnig.
Martin Bechert stellt sich schon auf eine zähe Verhandlung ein. Sollte Wolt weiterhin bestreiten, dass die Fahrer überhaupt bei dem Unternehmen angestellt sein, müssten sie zunächst kleinteilig das Gegenteil beweisen. „Das wird nicht einfach“, mutmaßt Bechert.
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