Aus für Hamburger Clubs: Adieu, du alte Stube
Vier Clubs an der Hamburger Sternbrücke schließen. Während die Astra Stube nicht weiß, ob es anderswo weitergeht, droht der nächsten Institution das Aus.
Doch ein paar ganz kleine, bunte Lichter leuchten durch die zwei großen Glasscheiben aus dem engen Raum unter der Bahnbrücke heraus und veranschaulichen: Noch sind hier mehrere unterschiedlich ausgerichtete (Sub-)Kulturstätten Zuhause.
Drinnen füllt Daniel Höötmann gerade ein paar Bierflaschen in den verglasten Kühlschrank, auf dem Tresen steht sein Laptop, mit dem er zwischendurch die Rückerstattung der Ticketpreise für ein ausgefallenes Konzert abwickelt. Weihnachten ist vorbei und die letzten Tage der Astra Stube in Hamburg-Altona sind angebrochen.
„Es sind gerade ganz viele letzte Male“, sagt Höötmann, der Teil des Vereins Astra Stube Musikkultur e.V. ist und damit den Club mitbetreibt. Ein letzter Dienstplan für den Tresen, eine letzte Getränkebestellung, die letzten Absprachen mit den Bands, die bis Jahresende noch hier spielen sollen.
Kein Punkrock, kein Hip-Hop, kein Techno mehr
„An diesem Ort geht die Subkultur nun komplett verloren“, sagt Höötmann und meint damit nicht allein die Astra Stube. Im kommenden Jahr soll die denkmalgeschützte Sternbrücke für einen Neubau abgerissen werden, so beschlossen es Deutsche Bahn und die Stadt Hamburg trotz jahrelanger massiver Widerstände gegen die Pläne. Nun geht an Silvester ein Mikrokosmos verloren.
Vier Clubs unter der Brücke, in den Kasematten, müssen nun raus: In der Astra Stube spielen dann keine Indie- und Punkrock-Bands mehr, im Waagenbau läuft dann kein Hip-Hop mehr, im Fundbureau kein Techno und in der Beat Boutique legt auch dann auch niemand mehr auf. Und auch in der angrenzenden Bar 227 gibt es dann weder Bier noch Live-Musik, einer von drei Kiosken an der Kreuzung muss dichtmachen.
„Molotow must stay“: Samstag, 15 Uhr, Nobistor 14, Hamburg
„Das wird dann der langweiligste Ort der Stadt“, sagt Höötmann, während über dem Club alle paar Minuten ein Zug fährt und es unten ein bisschen vibriert und rauscht. „Die Läden haben sich ja gegenseitig befruchtet“, sagt Höötmann. Wer auf ein Konzert in die Astra Stube ging, landete hinterher vielleicht noch im Fundbureau, wem die Schlange vorm Waagenbau zu lang war, ging erst mal in die Beat Boutique.
Lange wurde um die Zukunft der Sternbrücke und den Erhalt der Clubs gerungen, manche Idee für ein neues gemeinsames Zuhause spukte zwischendurch herum. „Wir haben über Jahre hinweg versucht, mit der Stadt über Alternativen zu sprechen“, sagt Höötmann. „Doch da kam nie eine richtige Antwort.“ Zuletzt aber schien die Stadt mit ihrer Hilfe ernst zu machen und zauberte mit mehreren Räumen nahe des Hauptbahnhofs, ebenfalls unter Bahngleisen gelegen, Alternativen aus dem Hut.
Schwierige Suche nach Alternativen
Die Astra-Stuben- und auch die Waagenbau-Betreiber:innen gingen darauf letztlich nicht ein: Zu schlecht erschien ihnen die Lage, die Miete für einen dann deutlich größeren Raum wäre für einen kleinen, von einem Verein betriebenen Club wie der Astra Stube nicht zu stemmen gewesen, der Umbau ohnehin nicht: „Wir haben uns das angeschaut, aber das würden wir nicht finanziert bekommen“, sagt Höötmann.
Die Astra Stube ist schließlich ein gemeinnütziger Verein, der von Musikbegeisterten am Laufen gehalten wird. „Das ist ein Do-it-Yourself-Projekt, das glücklich ist, wenn es am Ende des Monats kein Minus gemacht hat“, sagt Höötmann, der hauptberuflich Tour-Booker ist.
Den ganzen Dezember über haben befreundete Bands der Astra Stube ein letztes Mal zum Abschied gespielt, zwei Konzerte stehen nun am Freitag und Samstag noch an. Bei den bereits gespielten Abschiedskonzerten war es immer voll.
Wie am Abend 85 Zuschauer:innen in diesen kleinen Raum gepasst haben sollen, ist tagsüber, bei hellem Licht betrachtet, schwer vorstellbar: Zwischen der Stufe am Fenster und der niedrigen Bühne sind kaum drei Meter Platz, wer rechts am Tresen steht, hat direkt das Schlagzeug vor sich. „Für kleine, neue Bands war hier ja das Schöne: Auch vor 20 Leuten wirkte es voll“, sagt Höötmann.
Molotow erhielt Kündigung
„Wo sollen die Newcomer denn nun hin?“, fragt Höötmann. Natürlich gibt es in Hamburg eine ganze Menge Liveclubs, nur haben die alle ihr spezielles Programm, sind teilweise deutlich größer. In Frage kommt das Molotow, das hat schließlich eine ähnliche musikalische Ausrichtung und im Keller eine ähnlich kleine Bühne. Nur: Zwei Tage vor Weihnachten kam auch für diesen Club die Hiobsbotschaft: Schon in sechs Monaten soll der Club raus, das Gebäude am Ende der Reeperbahn soll abgerissen werden und Platz machen für ein „Boutique Hotel“.
Das in wenigen Tagen anstehende Aus mehrerer Clubs an der Sternbrücke, die Kündigung für das Molotow: In der selbsternannten „Musikstadt Hamburg“ schlägt das hohe Wellen: „Die Vorgänge um das Molotow bringen das Fass zum Überlaufen“, heißt es im Aufruf zu einer Demonstration für den Erhalt der gefährdeten Hamburger Kulturstätten am Samstag. Am drohenden Aus des Molotow zeige sich ein strukturelles Problem: Kleinere Kulturorte „abseits der Elbphilharmonie“ werden von der Stadtentwicklung ignoriert. „Es gilt, Kulturorte künftig besser zu schützen“, fordert das Clubkombinat, das die Hamburger Musikclubs vertritt, daher.
Für die Astra Stube kommt diese Forderung nun zu spät, nach 24 Jahren unter der Brücke ist Schluss. Und diese Kreuzung, über die dann eine neue Brücke führen soll, wird tatsächlich ein trostloser Ort, gerade weil obendrüber bald glänzend frische Stahlträger ragen werden, von denen kein Regen mehr heruntertropft. Und weil sich keine kleinen bunten Lichter aus dem inneren der Astra Stube mehr in den Scherben der zerbrochenen Bierflaschen vom Vorabend auf dem Fußweg spiegeln.
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