Aus- und Rückblick der Chefredaktion: Wir lassen uns nicht unterkriegen

Trotz aller Widrigkeiten war 2020 für die taz ein gutes Jahr. Wir waren gefragt wie nie. Wie gehts weiter?

Barbara Junge und Ulrike Winkelmann bilden seit Sommer 2020 die Chefredaktion der taz Foto: Stefanie Loos

Von BARBARA JUNGE und ULRIKE WINKELMANN

„Es war nicht alles schlecht“, hieß intern der Arbeitstitel für unsere Silvesterausgabe. Dass dies für das komplizierte Pandemie-Jahr ein wenig kokett formuliert war, gestehen wir sofort ein. Was die taz allerdings angeht, war es eine freundliche Untertreibung. Denn für unser Medienhaus war 2020 ein erfolgreiches Jahr.

Wir wissen: Es ist enorm zwiespältig, über Erfolge zu reden – bei aktuell Hunderten Covid-19-Toten jeden Tag. Die gesellschaftliche Situation ist dramatisch, und sie wird es noch bis weit in die zweite Jahreshälfte 2021 bleiben.

Aber gerade jetzt ist es wichtig, sich nicht unterkriegen zu lassen. Nicht zuletzt deshalb schauen wir auch mit Stolz auf das, was die taz 2020 mit Ihrer Unterstützung erreichen konnte.

Politisch und journalistisch verspricht 2021 spannend zu werden. Landtags- und Bundestagswahlen finden statt, eine Amtseinführung und zwei sportliche Großereignisse erwarten uns.

Fundierte Nachrichten und Geschichten hatten Konjunktur. Für unsere Coronaberichterstattung haben wir viel Aufmerksamkeit, darunter sehr viel Lob bekommen – aber auch Briefe, die von Enttäuschung zeugten: Mancher Abonnent und manche treue Leserin haderte damit, dass die taz sich in ihrem Bekenntnis zum Stand der Forschung nicht vom Gros der (unserer Meinung nach) seriösen Berichterstattung absetzte.

Die taz wolle und solle doch anders sein, hieß es oft – zur Existenz und zur Wirkung des Coronavirus gebe es doch auch andere Meinungen! Doch in puncto Pandemie wollten wir uns nicht vom Pegel der naturwissenschaftlichen Erkenntnis und damit vom Pfad der Aufklärung entfernen.

Sie wissen aber auch, dass wir die Auseinandersetzung mit Ihnen dazu wieder und wieder gesucht – und gefunden haben. Die taz-Community kann ja sehr lebendig werden, wenn das Thema einen Nerv trifft.

Klimakrise darf nicht in Vergessenheit geraten

Das ging uns übrigens auch im Frühsommer nicht anders – bei der Polizeikolumne, auf die etwa Bundesinnenminister Horst Seehofer bemerkenswert, ja, erstaunlich irrational reagiert hat. Unseren Konflikt um diese Kolumne haben wir ganz offen auf allen Kanälen ausgetragen, manchmal bis an die Schmerzgrenze oder darüber hinaus.

Die Klimakrise haben wir über all dem nicht vergessen, sie macht ja keine Pause. Mit einer wöchentlichen Klimaseite, einer Ausgabe in den Händen von Aktivist.innen, durch Workshops mit der taz Panter Stiftung war die Klimakatastrophe in und ein wenig auch durch die taz immer präsent. Der neue Klima-Account des taz klimahubs hat bei Instagram alle Erwartungen übertroffen.

Wir hatten auch selten gesehene Zugriffzahlen auf die Berichterstattung etwa zur US-Wahl, die wir quer durch die Nacht mit Liveberichterstattung im neuen Format des taz Talks begleitet haben. Das alles hat sicher dazu beigetragen, dass die schon so lange sich abwärts neigende Kurve der gedruckten Abos deutlich flacher wurde.

Aber die taz-Community schrumpft nicht, sie wächst

Anfang des Jahres steuerten wir noch auf 20.000 taz-zahl-ich-, also taz-im-Netz-Abonnentinnen und -Abonnenten zu, und die 20.000. Genossin kam auch in Sichtweite. Jetzt verzeichnet taz zahl ich bereits 25.000 regelmäßige Leserinnen und Leser, und das Team der Genossenschaft hat Anlauf auf die 21.000 genommen.

Die Zeiten waren und sind eben hungrig nach Journalismus. Im soeben angebrochenen Jahr 2021 wollen wir daran arbeiten, dass das so bleibt.

Wir gehen davon aus, dass in diesem Mehrfachwahljahr, das vor uns liegt, unser Journalismus, die taz-typischen Schwerpunkte und Leib- und Magenthemen, sogar noch stärker gefragt sein werden als 2020.

Wohl für lange Zeit noch an erster Stelle: Klima und Kapitalismus

Wir finden, es muss einfach gelingen, aus den Zumutungen der Coronakrise wenigstens eines, aber vielleicht das Wichtigste zu lernen: Wir kommen hier alle gemeinsam nur heile durch, wenn wir unsere Prioritäten neu sortieren.

In mehreren Landtagswahlen und natürlich zur Bundestagswahl im September hin werden viele Parteien behaupten, ihnen sei das Klima auch wichtig – nur dürfe der Klimaschutz aber den Wohlstand nicht … Sie wissen, wie dieser Satz zu Ende geht. Wir werden jedes Klimaschutzbekenntnis abklopfen und lauschen, ob und wie hohl es ist.

Wir behalten den rechten Rand weiter scharf im Auge – womöglich trifft man die ­Co­ro­naleug­ner:innen mit Hang nach rechtsaußen ja sehr bald als Klimakrisen-Leugner:innen wieder. Aktuell sieht es aus, als hätte die AfD ihre beste Zeit hinter sich, aber bislang hat sie immer noch ­einen Zug gefunden, auf den sie sich mit ihrem Rucksack voller Ressentiments schwingen kann.

Jedes Klimaschutzbekenntnis wird überprüft

Der Kampf gegen Rassismus und vergleichbare Formen der Menschenverachtung fängt in gewisser Weise auch bei uns im Haus jeden Tag von vorne an. Wir haben in der taz an Umgangsweisen gefeilt, die uns ermöglichen, auch große Meinungsunterschiede darüber zu ertragen, wo Rassismus beginnt und wie er zu bekämpfen sei.

„Diversität und Dissens“ ist der Name der hausinternen Arbeitsgruppe, die im Frühjahr Ergebnisse vorstellen wird – und zwar hoffentlich auch auf dem taz lab, unserem jährlichen taz-Kongress, den wir coronabedingt vom April 2020 in den April 2021 verschieben mussten.

Welches Format auch immer dem dann erreichten Grad der Impfung und sonstigen Pandemiebekämpfung angemessen sein wird, das taz Lab wird stattfinden. Wir sind inzwischen sogar so weit, dass wir finden, menschliche Wärme kann sich auch in Videokonferenzen herstellen lassen.

Digitalisierung lässt sich nicht aufhalten - wir bleiben dran

Nennen Sie es Anpassung ans Unvermeidliche – wir finden, es bringt uns weiter, dass Corona uns gelehrt hat, digital besser und vielfältiger miteinander zu kommunizieren. Es hilft uns auch, unseren Laden insgesamt zukunftstauglicher zu machen.

Denn die taz feilt an allen ihren gedruckten wie internetbasierten Produkten – der Wochenendausgabe, der App, der taz im Netz, aber auch an der Art, wie wir mit Ihnen, mit der taz-Community im Austausch stehen. Ein halbes Dutzend Leute ist für diese Produktentwicklung engagiert, und das ganze Haus wird in die Beratungen einbezogen. Für dieses noch frische Jahr haben wir schon ein paar Wegmarken dazu eingeplant, an denen wir Ihnen erste Ergebnisse präsentieren wollen – was genau, verraten wir jetzt hier aber nicht. Jedenfalls ist der Fahrplan ehrgeizig, wir müssen uns ranhalten. Und das machen wir auch!