Ein (pandemischer) taz Jahresrückblick: Ohne Empathie geht’s nicht

Die taz in der Coronapandemie oder: Wie wir es schafften, uns gegen die Krise zu wappnen. Mit technischer Finesse, Passierscheinen und jeder Menge Geduld.

Wenn der Pandemiestab tagt Foto: taz

Von FRANZ SCHILLING

Das hätten wir vor einem Jahr, als niemandem von uns das Wort „Corona“ oder „Pandemie“ geläufig war, nicht im Entferntesten gedacht: Dass die taz gerade in einer Krise wie sie eben die Coronapandemie bedeutet, zur Hochform auflaufen würden. Journalistisch auch, aber auch innerbetrieblich, aus dem Unternehmen heraus.

Wir sind ja, früher vor allem, Krisen gewohnt. Und alle im Haus wussten: Wir können Krise. Die, in Erwartung einer nachrichtenarmen Zeit und massiver Einschränkung der Arbeitsfähigkeit, mit viel Aufwand detailliert ausgearbeiteten Notfallausgaben-Pläne mit 16 oder gar nur 12 Seiten Zeitungsumfang, hatten wir eilig parat – aber sie liegen immer noch ungenutzt in der Schublade.

Am Anfang, noch weit weg von Corona, steht der Befund, dass es im Jahr 2022 wahrscheinlich unter der Woche keine gedruckte taz mehr geben wird. Es folgt: Ignorieren, Leugnen, Hadern und Streiten – weshalb das alles nicht sein kann und soll. Aber schließlich begann die konstruktive Arbeit an der Zukunft unserer taz Wucht zu gewinnen. In einem geordneten und transparenten Prozess entwickelten von ihren üblichen Aufgaben freigestellte Kolleg:innen zukunftsfähige Produkte – in regelmäßiger Rückkopplung zusammen mit allen Mit­arbeiter:innen.

Diversität, Digitalisierung und offene Kommunikation

Aktiv gestaltet wird dieser Prozess von der Chefredaktion, die alte wie inzwischen die neue, die sich Diversität, Digitalisierung und einer neuen, offeneren Kommunikation besonders verpflichtet fühlen. Die alte wie auch die neue Geschäftsführung begleitete von Anfang an diese Veränderungen, nahm sie für die von ihr verantworteten Bereiche auf und beflügelte den „Change“ mit Elan. Eine interne Beschwerdestelle tat ein Übriges, um den Umgang im Haus langsam, aber stetig zum viel Besseren zu wenden – und wir sind noch dabei.

Auf die Pandemie reagieren die taz­le­r:innen insofern nicht depressiv, sondern mit Offenheit und Krea­tivität. Ein Pandemiestab tagt regelmäßig, nimmt Belange auf, priorisiert und kanalisiert. Unter immens großem Einsatz der taz-EDV und vieler Hel­fe­r:innen wurden Bestands-PCs und Laptops teils in Nachtarbeit mit Sicherheitssoftware versehen, zu Kol­le­g:in­nen nach Hause gebracht. Es folgten bei Bedarf Stühle, Zweitbildschirme, Kameras, Mikrofone und anderes aus dem technischen Bereich. Sämtliche Kolleg:innen waren innerhalb weniger Wochen arbeitsfähig und arbeitsbereit.

Wir nutzten Videokonferenz-Programme, arbeiteten uns für Telefonkonferenzen in die Telefonanlage ein, probierten hybride Konferenzen (teildigital, teils durch physische Präsenz), lernten Bildschirmansichten zu teilen und uns für virtuelle Konferenzen zu strukturieren und zu disziplinieren. Wenn alle durcheinanderredeten, merkten wir, klappt es nicht. Wie schon im Transformationsprozess der Zeitung generell, geht es um eine gute Mischung aus Struktur, Kreativität und Pragmatismus. Dies muss ständig neu austariert werden.

Beste Gründe für Zuversicht

Vieles gelang und gelingt: Unsere Corona-Expertise, unsere Fähigkeit, die „Polizei-Kolumne“, auch unter Schmerzen, intern wie extern in fruchtbare Diskurse zu überführen. Projekte wie die Klimataz, das neue taz Talk-Livestreamformat, unsere erste virtuelle Genoversammlung mit über 1.200 Teilnehmer:innen wurden und werden belohnt durch Zuspruch und auch durch sehr gute Geschäftsergebnisse.

Alles also beste Gründe für Zuversicht und sogar eine virtuelle Weihnachtsfeier. Für diese steuerten Geschäftsführung und Chefredaktion mitte Dezember tagsüber Lastenräder quer durch Berlin, schwer bepackt mit Weihnachtsmenüs aus der taz Kantine. Die taz-Belegschaft holte sich bei ihren Chef:innen Hirschgulasch oder Saitanroulade mit Rotkraut und Kartoffelklößen für sich, ihre Partner:innen und Kinder, dazu Wein. Per Videokonferenz gab’s Reden, eine Lesung und Livemusik zum Essen. Danach wurde in vir­tuel­len Räumen geredet, gelacht und getanzt. Die letzten Gäste gingen gegen drei Uhr morgens in ihr Bett: Digital – geht doch und fühlt sich gar nicht so kalt an.

Und was nehmen wir mit in eine Zeit nach Corona?

Neue technische Fähigkeiten und fundiertes Wissen, wie sich Homeoffice und Präsenzarbeit besser verschränken lassen. Und wie ein gutes Miteinander auf Distanz funktionieren kann. Denn dies erfordert klarere Kommunikation, mehr Nachfragen, mehr Empathie. Ein echter Gewinn wäre, die Erfahrungen des Gelingens in weiteren Vertrauensvorschuss zu verwandeln, Vertrauen in uns selbst, die angeschobenen Prozesse und Vertrauen in die anderen, die diese Prozesse mit uns gestalten. Fast müsste man die taz dann als Pandemiegewinnler beschimpfen.

Franz Schilling, 51, arbeitet seit 2004 in der Vertriebsabteilung der taz. Seit März gehört er zum Pandemiestab unseres Hauses.