Auftakt des Bürgerrats: Mini-Deutschland diskutiert
Der zweite bundesweite Bürgerrat hat seine Arbeit aufgenommen. Die erste Diskussion war angeregt, bei der Übertragungstechnik haperte es etwas.
Ausgelost wurden die Teilnehmer*innen nach Kriterien wie Alter, Herkunft und Bildungsstand, um eine möglichst repräsentative Gruppe zusammenzubringen. Im Studio war an diesem Mittwochabend eine freudige Anspannung zu spüren. In den vergangenen Monaten wurde der Bürgerrat in einem aufwändigen Verfahren von dem Verein Mehr Demokratie und drei Durchführungsinstituten vorbereitet. Claudine Nierth, Vorstandssprecherin von Mehr Demokratie, gratulierte zunächst den ausgelosten Bürger*innen. Es sei ein Sechser im Lotto ausgewählt worden zu sein, doch es bringe auch Verantwortung mit sich.
Schon 2019 hat Mehr Demokratie einen Bürgerrat organisiert – allerdings ohne direkte Anbindung an die Politik. Nun hat der Parlamentarier und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble die Schirmherrschaft für den zweiten Bürgerrat übernommen. Er hofft, das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie mit Hilfe von Bürgerräten zurückgewinnen zu können.
Auf das recht unverbindliche Thema „Deutschlands Rolle in der Welt“ haben sich die Fraktionen dann geeinigt. Die vage Themensetzung zeigt, dass dem Instrument noch mit Skepsis begegnet wird. Viele fürchten Bürgerräte als Konkurrenz zur parlamentarischen Demokratie, dabei – so die Organisator*innen – sollen sie die repräsentative Demokratie ergänzen und Politiker*innen eine Richtungsweisung und Rückenwind für schwierige Entscheidungen geben.
Moderierter Prozess der Meinungsbildung
Auch die Angst vor direkter Demokratie lässt viele zurückschrecken. Bei den Bürgerräten handelt es sich aber, anders als bei einem Volksentscheid, um einen moderierten Prozess der Meinungsbildung. Das lässt sich auch bei der Einführungsveranstaltung gut beobachten.
Zunächst sprach die Vorsitzende des Bürgerrats, die frühere DDR-Bürgerrechtlerin und Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Marianne Birthler. In einer Begrüßungsrede erzählt sie von ihren Erfahrungen in der DDR und den großen Hoffnungen, die sie damit verband, Bundesbürgerin zu werden. Einmal habe ein kleines Mädchen sie gefragt: „Soll ich sagen, was richtig ist, oder was ich denke?“ Es gäbe kein richtig oder falsch, sagte Birthler am Mittwochabend, sondern viele verschiedene Antworten. Und genau da setze der Bürgerrat an – beim Zuhören und Respekt für andere Meinungen.
Nach Birthlers Ansprache, die sie mit einem Gedicht von Bertolt Brecht beendete, waren zehn Minuten vorgesehen, in denen sich die Teilnehmenden in Vierergruppen kennenlernen konnten. Im sogenannten Plenum bekamen die Bürger*innen dann schon an diesem Tag die Gelegenheit, sich zu Wort zu melden und es wurde sofort rege diskutiert: Über Erwartungen, über persönliche Rollenkonflikte und die Frage, wie Deutschland sich in der Welt positionieren soll. Menschen, die sich sonst nie begegnet wären, traten in einen Austausch miteinander. Viele von ihnen haben keine politische Vorerfahrung. In der Diskussion zeigten sie Ernsthaftigkeit und Teilnahmebereitschaft. Die Moderator*innen versuchten dabei, das Gespräch zu leiten, ohne zu sehr eine Richtung vorzugeben.
Konkrete Vorschläge an die Politik
Mit der Übertragungstechnik haperte es an diesem Auftaktabend etwas. „Die reden miteinander, nur wir kriegen gerade nichts mit“, sagt der Moderator im Studio. Nach etwa einer Stunde bricht der Youtube-Livestream für einige Zeit ganz ab. Die Diskussion zwischen den Ausgelosten über Zoom läuft weiter.
Diskutiert wird im Bürgerrat zu den fünf Themenfeldern nachhaltige Entwicklung, Wirtschaft und Handel, Frieden und Sicherheit, Demokratie und Rechtsstaat und die Europäische Union. Die Teilnehmenden des Bürgerrats wurden den Unterthemen zugelost. In den kommenden zwei Monaten hören sie Vorträge von ausgewählten Expert*innen, diskutieren in wechselnden Kleingruppen und im Plenum. Mitte März wollen sie dann ihre erarbeiteten Vorschläge an die Politik überreichen.
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