Aufstand in Libyen: Die Flüchtlinge von Salloum
Hunderte flohen aus Libyen und haben sich nun über die Grenze nach Ägypten gerettet. Sie fürchten weitere Repressionen und berichten von einem zerfallenen Land.
SALLOUM taz | Zu Hunderten kommen sie über die Grenze. Meist mit wenigem Hab und Gut geschultert, schleppen sie sich in Sicherheit. Durch das Tor des Grenzüberganges Salloum, der Libyen von Ägypten trennt. Die meisten sehen müde und erschöpft aus. Bengasi, die größte Stadt im Osten Libyens, liegt zehn Autostunden von hier entfernt.
Warum es gerade an diesem Morgen so viele Menschen sind, wird schnell deutlich: "Gaddafi hat in seiner letzten Rede seinem eigenen Land den Krieg erklärt", sagt ein ägyptischer Elektriker, der sich nur mit dem Namen Ali vorstellen will. Viele haben ihre Taschen unmittelbar nach der Rede Gaddafis gepackt. Der Revolutionsführer hatte gesagt, dass die Proteste in Libyen dem Teufel dienen würden. Die Aufständischen hatte er als Ratten und Kakerlaken bezeichnet. Nun befürchten die Menschen weitere Repressionen von Gaddafi und seinen Getreuen.
Ali sagt, dass die Stadt Bengasi seit Tagen von den Aufständischen kontrolliert werde. Die Armee habe sich entweder zurückgezogen oder sei zu den Aufständischen übergelaufen. Waffen aus den Kasernen seien an die Aufständischen verteilt worden. Ähnliches berichteten die Reisenden aus der Stadt Tobruk.
2.500 Kilometer bis zur Grenze
Muhamed aus Tripolis im Westen des Landes erzählt dagegen ganz andere Geschichten. Vor zwei Tagen war er dort aufgebrochen, um den 2.500 Kilometer langen Weg nach Ägypten zurückzulegen. Da war die libysche Hauptstadt noch immer unter der Kontrolle des Regimes, wenngleich viele Aufständische begonnen hatten, auch hier auf der Straße zu demonstrieren. "Nachts kamen dann die afrikanischen Söldner und schossen auf alles, was sich bewegte. Sie haben auch einmal in unsere Richtung gefeuert, aber Gott sei Dank schlecht gezielt", erinnert er sich.
"Ich bin froh, mit heiler Haut davongekommen zu sein und mich bis hierher durchgeschlagen zu haben", sagt er. Die Geschichten derjenigen, die aus den "befreiten Städten" aus dem Osten des Landes geflohen sind, gleichen sich wie die Horrorgeschichten jener, die es aus dem Westen bis hierher geschafft haben. Es sind die Geschichten eines geteilten Landes.
Libysche Grenzsoldaten sind nicht mehr da
Der Weg ab Bengasi zu der ägyptischen Grenze wird nach Aussagen der Reisenden von bewaffneten Stammesangehörigen kontrolliert, die sich den Aufständischen angeschlossen haben. "Die haben die Ägypter nur durchgewinkt und sie haben ihnen sogar noch Wasser mitgegeben", erzählt einer der ägyptischen Arbeiter. Die libyschen Grenzsoldaten hätten ihre Positionen verlassen. "Das erste Mal sind wir an der Grenze von ägyptischem Militär kontrolliert worden", erzählt er.
Die meisten, die über die Grenze kommen, sind Ägypter. Etwa eine Million von ihnen arbeiten in Libyen. Fast alle sind Männer. Nur wenige Familien passieren den Übergang. "Bengasi ist von den Aufständischen kontrolliert und ruhig, aber wir haben Angst, dass Gaddafi sich nach seiner Rede nun an dem befreiten Osten des Landes rächen wird", fürchtet ein Mann, der ein Baby im Arm trägt, während sich seine Frau bei ihm eingehakt hat.
Zügig laufen sie weiter in Richtung der wartenden Kleinbusse, die an diesem Morgen eine kilometerlange Schlange gebildet haben, um die Flüchtenden abzuholen und auf die verschiedenen Landesteile Ägyptens zu verteilen. Zwar hat die ägyptische Armee direkt hinter der Grenze ein Zeltlager und ein Feldkrankenhaus errichtet, aber beide sind bisher leer.
Hektisch packen die Angekommenen ihre Taschen, Blechkoffer und Plastiktüten auf die Dachgepäckträger der Kleinbusse. Keiner möchte lange an der Grenze verweilen. Alle möchten Libyen und das Erlebte der letzten Tage möglichst schnell hinter sich lassen.
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