Aufregung um Sanna Marins Tanz: Mit zweierlei Maß

Partygate in Finnland? Nein. Sanna Marin hat legal und im privaten Rahmen getanzt. Nicht im Lockdown wie Boris Johnson.

Sanna Marin hat die Hände zum Gebet gefaltet und lächelt

Zeigt sich berührt von dem Theater um ein Partyvideo: Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin Foto: Heikki Saukkomaa/Lehtikuva/dpa

Nach einer stressigen Arbeitswoche ist man am Samstag auf eine kleine Feier eingeladen. Ein paar Freunde, enger Kreis. Man trinkt ein paar Bier, später wird noch getanzt. Einer macht ein paar Aufnahmen mit seinem Handy, man winkt ausgelassen in die Kamera. Zum Glück kann man am nächsten Tag ausschlafen. Und dann geht’s am Montag wieder zur Arbeit. Wo sich natürlich niemand fragen würde, ob man denn überhaupt in der Lage sei, Kitakinder zu betreuen, Zeitungsartikel zu schrei­ben oder Bankkunden zu beraten. Und das ist auch gut so. Denn Freizeit ist Privatsache. So weit, so unstrittig.

Ganz anders aber sieht das offenbar aus, wenn man Regierungschefin ist. Chefin, wohlgemerkt. Nicht Chef. So wie Sanna Marin, 36-jährige finnische Ministerpräsidentin. Denn was Millionen andere Erwachsene selbstverständlich dürfen, wird für sie jetzt ein Problem.

Vielleicht hat Marin ihre Amtspflicht verletzt, mutmaßen die einen. Gar die nationale Sicherheit gefährdet? Vielleicht fehlt ihr doch die nötige Reife für den Job? Erst mal einen Drogentest!

Eine sehr emotionale Sanna Marin trat am Mittwoch vor die Presse und sagte, den Tränen nahe, auch sie sei ein Mensch und habe gerade in diesen schwierigen Zeiten hin und wieder Lust auf Vergnügen. Sie habe, beteuert sie, deswegen aber noch keinen einzigen Tag bei der Arbeit gefehlt.

Moment mal. Muss sich eine Regierungschefin wirklich wie ein Schulmädchen dafür rechtfertigen, auf einer privaten Party Alkohol getrunken und getanzt zu haben? Nein, muss sie nicht.

Man stelle sich bloß einmal vor, Boris Johnson hätte „Ich habe keinen Tag meine Arbeit vernachlässigt“ in die Kamera geschluchzt, nachdem seine – wohlgemerkt: illegalen Partys – während des Lockdowns publik geworden waren. Das hätte vom stets betont unkonventionell auftretenden und am Ende nach einer langen Skandalreihe zurückgetretenen britischen Ex-Premier allerdings auch keiner verlangt oder erwartet.

Man sieht daran gut, dass hier immer noch Welten zwischen Männern und Frauen liegen. Wer das anzweifelt, wie aktuell Jana Hensel in der Zeit, und fragt, ob wir „im Sinne der Gleichberechtigung wirklich dafür streiten“ wollen, „dass Frauen dieselben Fehler machen, die sie an Männern immer schon genervt haben“, hat einen wichtigen Punkt übersehen: Verbotene Feiern, harte Drogen, Kontakt zu illegalen Prostituierten, das geht nicht klar bei Regierungschefs.

Sanna Marin aber hat nichts davon getan. Sie hat in ihrer Freizeit getanzt. Eine Regierungschefin sollte Vorbild sein, sie sollte Gesetze einhalten und einen guten Job machen. Nirgends steht geschrieben, dass sie nicht tanzen darf. Zum Glück.

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Redakteurin in der Auslandsredaktion. Bei der taz in unterschiedlichen Positionen seit 2009. Studium der Slawistik, Politologie und Ost- und Südosteuropäischen Geschichte in Berlin, Prag und Odessa. Übersetzt aus dem Russischen und jetzt auch manchmal aus dem Ukrainischen. Schreibt immer mal wieder "Berliner Szenen".

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