Aufkleber auf Äpfeln: Wieder das Geknibbel
Viele stören sich an den kleinen Aufklebern auf Äpfeln. Das führt zwangsläufig zu der Frage: Wieso darf der Apfel nicht einfach Apfel sein?
Schon sehr, sehr lange haben wir Menschen es mit Äpfeln zu tun. Aber noch nie war es so kompliziert wie heute, einfach in einen Apfel hineinzubeißen.
Das hat nichts zu tun mit der Bedeutung, die im christlich geprägten Teil der Welt jedem Apfel quasi als tief ins Fruchtfleisch eingeschriebene Botschaft innewohnt. Die Geschichte aus dem Buch Genesis, Eva und Adam und wie sie, angelockt von einer Schlange, eine Frucht vom Baum der Erkenntnis essen und somit – nach traditioneller Lesart – die erste Sünde der Menschheitsgeschichte begehen, wobei die Frucht wohl nur deshalb als Apfel gilt, weil sich die lateinischen Wörter für Apfel (mālum) und Übel (mălum) sehr nahe sind.
Es hätte auch eine Quitte gewesen sein können, aber Quitten isst man ja nicht pur, sie bedürfen einer Veredelung, wie es so schön heißt. Und schon wäre die Geschichte nicht mehr so schlicht, simpel und ergreifend gewesen.
Gemeint ist im nicht ganz komplikationsfreien Umgang von uns heutigen Menschen mit Äpfeln auch nicht deren überwölbende Bedeutung als Hoffnung verkörpernde Zukunftsfrucht. Die wiederum Luther zugeschrieben wird, der ja angeblich ein Apfelbäumchen pflanzen wollte, auch wenn er gewusst hätte, dass morgen die Welt untergeht.
Verwertungslogik im Spätkapitalismus
Nein, es geht hier um etwas sehr handgreiflich Heutiges, nichts, was dem Apfel symbolisch innewohnt, sondern etwas, das außen auf seiner Schale haftet. Jene Aufkleber, die ihn – ganz im Sinne der um sich greifenden Verwertungslogik im Spätkapitalismus, die keine Rücksicht nimmt auf die Würde des Gegenstandes – zum Trägermedium für irgendeine Botschaft machen.
Dabei will der Apfel doch einfach nur Apfel sein und wollen wir doch einfach nur in ihn hineinbeißen. Stattdessen aber müssen wir ihn, sofern er nicht vom eigenen Baum kommt, extra gründlich abspülen und vorher aber diese kleinen Aufkleberchen abknibbeln.
Schneidet man homeschoolingbedingt täglich Dutzende Apfelschnitzelchen, um die Kinder mit Vitaminen und säuerlicher Frische für die durchaus nicht wenig ihnen abverlangenden Aufgaben fit zu machen, dann ist der Vorgang des Knibbelns a) nervig und b) zeitraubend, außerdem häuft sich dabei c) stets ein kleiner Plastikmüllberg an. Plastikmüll, den ein Apfel verursacht, der an sich nach dem Verzehr friedlich verrottend den Humus bilden würde, der Neues entstehen lässt.
Das Thema Aufkleber auf Äpfeln wirft Fragen auf, ein Klassiker in Internet-Verbraucherforen. Vor allem wollen dort besorgte Menschen von Experten wissen, ob die Aufkleber gefährliche Klebstoffe auf der Rückseite tragen, die den Apfel zu einer Chemikalienbombe machen. Nein, heißt es dann stets, da könne man unbesorgt sein, die Klebstoffe seien zertifiziert unbedenklich.
Raus aus der Anonymität
Nun, das ist das eine, aber der nervige Akt des Knibbelns legt die Frage nahe, warum die Beklebung der Äpfel überhaupt sein muss. Anruf also beim Südtiroler Apfelkonsortium, einer Autorität im Obstbusiness, denn jeder zehnte Apfel in Europa wird dort unter der Sonne Italiens geerntet, nach eigenen Angaben kommt sogar ein Viertel aller europäischen Bio-Äpfel aus Südtirol. Auch diejenigen übrigens, die den Anlass dieser Recherche bildeten.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Es antwortet Anna Oberkofler, die gleich zur Führung durch die Südtiroler Apfelplantagen einlädt und dann über Identität spricht. Die Identität des Apfels nämlich, die dieser quasi erst durch jenes kleine bunte Plastikaufkleberchen erhält, das ihn seiner Anonymität entreißt. Als hätte nicht jeder Apfel, ob Topaz oder Geheimrat Oldenburg, eine eigene Musterung, unverwechselbar, wie ein Fingerabdruck oder ein Zebrafell. Dennoch seien die Aufkleber die einzige Möglichkeit, dem Kunden zu zeigen, wo der Apfel herkommt.
Das ist also nicht irgendeiner, sondern ein Südtiroler. Und da spielt, auch wenn Oberkofler das nicht ausspricht, natürlich hinein, dass Südtirol als beliebte Urlaubsregion ein positives Image hat, das quasi destilliert im Aufkleber mit bunter Bergsilhouette und fröhlichem Marienkäfer unter dem sympathisch handgeschnitzt anmutenden Schriftzug „Südtirol“ aufgenommen wird. Wer weiß, wie viele Menschen einen Urlaub im Sarntal gebucht haben, nachdem sie einen Apfel aus Südtirol gegessen haben?
Oberkofler kann nachvollziehen, dass es nervig ist, am Apfel rumzuknibbeln; sie weiß, dass dadurch Müll entsteht, aber es geht nicht anders. Da muss sich der Apfel dem Marketingstreben seiner Herkunftsregion unterordnen. Aber, sagt die Apfelexpertin, man forsche an umweltfreundlichen, verrottbaren Aufklebermaterialien; Aufklebern also, die vergehen, ganz wie auch der Apfelgriebs.
Eigenes Bäumchen pflanzen
Da das Material aber Feuchtigkeit ertragen können muss und Temperaturschwankungen, sei die Testphase „noch in vollem Gange“. Oberkofler erzählt auch von gelaserten Äpfeln, in die Werbebotschaften oder Herkunftsnachweise eingebrannt werden können, ganz rückstandsfrei. Anrufer und Apfelexpertin sind sich allerdings einig darin, dass einem dann die Äpfel fast schon wieder leid täten.
Die Südtiroler statten ihre Äpfel also mit einem aufgeklebten Identitätsnachweis aus. Andere Klebelabel sind sachlicher, funktionaler, sie zeigen eine vier- oder fünfstellige Zahl, die Auskunft über Obst- und Anbauart gibt. 4017 etwa steht für „Granny Smith, groß“, das sind jene grünen Äpfel, die unwirklich aussehen und wahrscheinlich auch nicht mehr viel mit dem zu tun haben, was wir mal für Äpfel hielten. 4021 ist ein kleiner Golden Delicious, 4123 ein Elstar.
Eine vorangestellte 8 weist wiederum auf Gentechnik hin und eine 9 auf organischen Anbau, und das wissen Sie jetzt, aber ob Sie sich beim Einkauf daran erinnern können? Man kennt das von Zahlen-Buchstaben-Kombinationen auf Hühnereiern. Welches Ei war nochmal Freiland, welches Bodenhaltung, welches bio?
PLU-Codes heißen diese Ziffern, PLU steht für „price look-up“, denn dank der Zahl muss das Supermarktkassenpersonal einen Apfel nicht an Farbe, Größe, Maserung erkennen, sondern nur die Ziffern eingeben, worauf der Preis automatisch ermittelt wird. Und diese kleine Arbeitserleichterung und Kassenschlangenzeitersparnis ist wohl die annehmbarste Ursache für die Aufkleberchen.
Es ist ein Kreuz mit dem Geknibbel, man wird es ertragen müssen, wenn man seine Äpfel nicht ausschließlich beim Demeter-Schrumpelbauern kaufen will. Oder man erinnert sich der biblischen Geschichte, klassifiziert für sich selbst die beklebten Äpfel als verbotene Frucht und liest Luthers angeblichen Ausspruch neu: Wenn mir morgen wieder ein Aufkleberapfel unterkommt, dann werde ich mir mein eigenes Bäumchen pflanzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“