Aufklärung von NS-Verbrechen: Ermittlungen gegen Wachhabenden
In Celle beginnt des Verfahren gegen einen 95-Jährigen. Er war von 1943 bis 1945 in einem Gefangenenlager für sowjetischen Soldaten eingesetzt.
Ihm wird zur Last gelegt, zwischen dem 26. Oktober 1943 und dem 5. April 1945 Dienst im Kriegsgefangenen-Mannschaftsstammlager (Stalag) VI C in Bathorn versehen zu haben. Dort seien insbesondere sowjetische Kriegsgefangene in großer Zahl zu Tode gekommen, sagte Oberstaatsanwalt Bernd Kolkmeier der taz.
Das Lagergelände liegt heute in der Gemeinde Hoogstede im Landkreis Grafschaft Bentheim. Nach Angaben der Gedenkstätte Esterwegen wurden dort im August 1941 4.016 sowjetische Soldaten gefangen gehalten. Dem Verfahren in Celle gingen mehr als zwei Jahre Vorermittlungen der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen voraus. Das sagte deren Leiter, Thomas Will, der taz.
Die Ermittlungen seien das Ergebnis einer veränderten Rechtsprechung. „Wir meinen, dass die verheerenden Bedingungen in Konzentrationslagern und manchen Gefangenlagern vergleichbar sind“, sagte der Leiter der Zentralen Stelle der taz. Gefangene seien „durch schwere und schwerste körperliche Arbeit bei einer Ernährung von nur wenigen hundert Kalorien am Tag bis zum Tode ausgepresst worden“, sagte Will. 60 Prozent der sowjetischen Gefangenen hätten die Kriegsgefangenschaft nicht überlebt. Derzeit fänden Vorermittlungen gegen sechs Personen statt.
Historiker schätzen, dass mindestens 5,3 und bis zu 5,7 Millionen sowjetische Soldaten in Gefangenschaft geraten sind. Mindestens 2,6 Millionen, möglicherweise bis zu 3,3 Millionen kamen in deutscher Gefangenschaft ums Leben.
Die letzten Strafverfahren gegen Wehrmachtsangehörigen, die in Gefangenenlager für sowjetische Soldaten eingesetzt wurden, liegen Jahrzehnte zurück. Die Sammelbände „Justiz und NS-Verbrechen“ nennen drei Verfahren. Im August 1949 erging gegen einen Wachhabenden, der zwei Gefangene auf der Flucht erschossen haben soll, ein Freispruch.
1951 verurteilte das Landgericht Köln einen Mann wegen Misshandlung von russischen Kriegsgefangenen und Erschiessung eines Kriegsgefangenen zu drei Jahren Haft. Im Jahr 1952 wurde ein Wachmann, der einen russischen Kriegsgefangenen wegen angeblicher Transportunfähigkeit erschossen hatte, zu fünf Jahren Haft verurteilt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken