Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus: „Es braucht handfeste Reparationen“
In Bremen wird immer am 11. August an die Opfer des deutschen Kolonialismus in Namibia erinnert. Das allein ist zu wenig, finden Kritiker:innen.
Denn der Hansestadt kommt bei der deutschen Kolonisierung der damals als „Deutsch-Südwestafrika“ bezeichneten Region eine besondere historische Verantwortung zu. Die Bremer Kaufmänner Adolf Lüderitz und Heinrich Vogelsang reisten aus dem Bremer Hafen in das heutige Namibia. Dort wurde Lüderitz 1883 durch einen Betrug zum ersten deutschen Landbesitzer. Bis heute sind in Bremen Straßen nach den beiden Kaufleuten benannt, die jedoch auf zivilgesellschaftlichen Druck hin inzwischen mit kritischen Hinweisen versehen sind.
„Die deutschen Kolonialverbrechen haben tiefe Wunden hinterlassen, die bis heute bestehen“, sagt Virginie Kamche, lange die Vorsitzende des Vereins „Afrika Netzwerk Bremen“ und heute tätig als Fachpromotorin für Migration, Diaspora und Entwicklung.
Zu lange hätten nur die Nachfahren der Täter das Wort gehabt, aber nicht die der Betroffenen. „Deshalb war es uns als Afrika-Netzwerk wichtig, dass es am Jahrestag Raum für Begegnungen gibt. Wir haben angestoßen, dass es ab diesem Jahr am Nachmittag nach dem Gedenken ein kulturelles Programm gibt, bei dem Menschen zusammenkommen und miteinander sprechen können. Nach der Trauer um die Vergangenheit braucht es einen positiven Blick in die Zukunft. Zu Erinnerungskultur gehört auch, dass Menschen bestehende Stereotype, die die Kolonialzeit erschaffen hat, aktiv abbauen.“
Gedenken an die Opfer der Schlacht von Ohamakari und des Völkermords in Namibia 1904–1908: Fr, 11. 8., ab 13 Uhr, Bremen, Mahnmal im Nelson-Mandela-Park (Grünanlage an der Gustav-Deetjen-Allee)
Für das kulturelle Programm am Nachmittag sind musikalische Beiträge und Tänze verschiedener afrikanischer Diaspora-Gruppen vorgesehen, außerdem wird es eine Ausstellung des Kulturladens Huchting geben – unter dem Titel: „Deine Würde ist unantastbar“.
Auch wenn der Genozid an den Ovaherero, Ovambanderu, San, Nama und Damara über 100 Jahre zurückliegt, findet das Bremer Gedenken erst seit ein paar Jahren statt. Die Initiative dafür geht zurück auf den Verein „Der Elefant“, gegründet 2008, zunächst, um den steinernen Elefanten im Nelson-Mandela-Park – der wiederum selbst erst seit 2014 so heißt – zu erhalten und zu pflegen: Zum Mahnmal gegen den Kolonialismus umgedeutet wurde damit ein wichtiges, vielleicht sogar das zentrale Ehrenmal für den deutschen Kolonialismus, 1931 errichtet und 1932 eingeweiht.
„Seit 2008 habe ich am 11. August privat schon immer Blumen für die Opfer der Schlacht vor dem Mahnmal niedergelegt“, erzählt Gudrun Eickelberg, zusammen mit Ralf Saxe Vorsitzende des Vereins. „Dann hatten wir die Idee, das Gedenken auch breiter zugänglich zu machen.“ 2018 hat „Der Elefant“ dann erstmals eine Gedenkveranstaltung für die Öffentlichkeit organisiert. „Damals haben wir noch ohne Unterstützung der Stadt angefangen“, erinnert sich Eickelberg. „Dabei sind wir dann direkt auf ziemlich viel Interesse und Resonanz gestoßen.“
Seit 2019 unterstützt aber auch die Stadt das Genozid-Gedenken. Tobias Peters ist Referent für Publikationen, Kultur und Geschichte der Landeszentrale für politische Bildung in Bremen. Die wurde von der Bürgerschaft damit beauftragt, sich in die Organisation des Gedenktags einzubringen.
„Das Gedenken an den Kolonialismus ist ja allgemein noch ein eher junges Thema“, sagt Peters. Auch die Landeszentrale habe sich da erst mal einarbeiten müssen. „Deshalb ist es ganz wichtig für uns, die Veranstaltung in Zusammenarbeit und auf Augenhöhe mit den Vereinen aus der Zivilgesellschaft zu organisieren. Es gibt in Bremen viele Personen, die sich schon lange in diesem Bereich engagieren, was natürlich auch mit der besonderen historischen Bedeutung des Standorts zusammenhängt.“
Umstrittenes Abkommen
Tatsächlich ist die Stadt Bremen trotz ihres späten Einstiegs in das Gedenken im deutschlandweiten Vergleich Vorreiterin. Der Deutsche Bundestag etwa hat den Völkermord erst 2021 anerkannt: im Rahmen einer gemeinsamen Erklärung mit Namibia.
Während diese Erklärung ursprünglich als Vorstoß präsentiert wurde, steht sie inzwischen massiv unter Kritik. Das namibische Parlament hat sie bis heute nicht verabschiedet und strebt vielmehr Nachverhandlungen an. Vonseiten der Betroffenenverbände steht dabei insbesondere die Forderung nach Reparationen im Raum, die über eine bloße Anerkennung des Genozids hinausgehen.
Kritik an der damaligen Erklärung übt auch Karina Theurer. Die Juristin arbeitet seit vielen Jahren wissenschaftlich und praktisch an der rechtlichen Aufarbeitung deutscher Kolonialverbrechen. Als Anwältin berät sie etwa Verbände der Ovaherero und Nama in einem Verfahren gegen die deutsch-namibische Erklärung.
„Die Erklärung von 2021 ist völkerrechtswidrig, unter anderem wurden Beteiligungsrechte der Ovaherero und Nama verletzt“, sagt Theurer. Im April hätten auch die zuständigen Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen die Völkerrechtswidrigkeit des Papiers bestätigt. „Jetzt müssen endlich neue Verhandlungen stattfinden, bei denen Deutschland sich an die völkerrechtlichen Mindeststandards hält. Gedenkveranstaltungen reichen nicht aus. Es braucht zusätzlich handfeste Reparationen zur Überwindung der tief verankerten kolonialen Diskriminierung.“
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