Aufarbeitung der Coronapolitik: Gefährliche Leerstelle
Die Corona-Politik muss aufgearbeitet werden. Dabei sollte es aber vor allem um Lehren für die Zukunft gehen, nicht um Schuldzuweisungen.
D ie Debatte um die jüngst veröffentlichten Protokolle der Corona-Krisensitzungen beim Robert-Koch-Institut zeigt vor allem eines: Dieses Kapitel ist nicht vorbei. Eine umfassende Aufarbeitung ist nötig, und wenn die nicht von fragwürdigen Medienportalen betrieben sein soll, dann braucht es endlich eine ausreichende politische Initiative dafür.
Es mag ein natürliches Bedürfnis sein, nach einer schweren Zeit voller gesellschaftlicher Verwerfungen, Ängste, Beschränkungen und Trauerereignisse Abstand zu nehmen. So zu tun, als wäre das Ganze nie passiert. Wir wissen allerdings aus der Geschichte, dass dies nur leidlich funktioniert. Etwas bleibt von den Verletzungen und Unsicherheiten und will aufgearbeitet werden – sonst bricht es sich bei Gelegenheit und immer wieder Bahn.
Aufarbeitung ist ein gesellschaftlicher Prozess, der unterstützt sein muss von den politischen und wissenschaftlichen Akteur*innen der Pandemie. Leitmotiv kann dabei nur am Rande die Frage sein, was man damals hätte anders machen müssen. Solche postpandemischen Verurteilungen dürften sich auf wenige politische Handlungen beschränken, die tatsächlich wider besseres Wissen getroffen wurden.
Die meisten der heute absurd, überzogen oder zu lasch erscheinenden Maßnahmen sind aber vor dem Hintergrund großer Unvorhersehbarkeit und sich überschlagender wissenschaftlicher Erkenntnisse vollzogen worden. Entscheidend für die Aufarbeitung ist vielmehr: Was würden wir heute in einer ähnlichen Situation anders machen? Das ist nicht nur ein Unterschied in der Formulierung, sondern macht einen Unterschied in der gesamten Fehlerkultur.
Die Politik muss vorlegen
Die bisherigen Ansätze der Aufarbeitung scheiterten vor allem an Ressourcen. So beklagte ein von der Bundesregierung und dem Bundestag eingesetzter Sachverständigenausschuss 2022, es habe an Personal, Zeit und Daten gefehlt für aussagekräftige Erkenntnisse. Auch für die Medien, die ja selbst nicht zu unterschätzende Akteurinnen in der Pandemie waren, dürfte eine umfassende Aufarbeitung eine Nummer zu groß sein.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Gegen eine formalisierte Aufarbeitung etwa im Rahmen einer Enquete-Kommission verwehren sich bislang Teile der Ampelregierung. Nicht nur Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach fürchtet eine politische Instrumentalisierung im Zuge der anstehenden Wahlkämpfe.
Diese Sorge ist berechtigt. Aber die Leerstelle, die die fehlende politische Initiative zu einer umfassenden und demokratischen Aufarbeitung hinterlässt, wird, wie aktuell zu sehen, bei passender Gelegenheit doch befüllt. Eine Instrumentalisierung ist dann garantiert dabei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe