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■  Auch nach der Beichte wagt keiner außer Heiner Geißler, die Stimme gegen Altkanzler Kohl zu erheben. Die Basis würde es nicht verzeihen. Sie liebt und verehrt ihn. Denn Kohl ist die CDU, die CDU ist Kohl. Die neuen Führungsleute haben nun nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera: Sie werden entweder zu Mitwissern oder verprellen die BasisKritik wäre Blasphemie

Wissen Sie, der Abgeordnete ist in dem Thema nicht so drin und möchte dazu eigentlich nichts sagen“. Der Abgeordnete ist kein Einzelfall. Am Tag eins nach dem Geständnis von Helmut Kohl wird in der CDU geschwiegen. Gegen den Übervater erhebt keiner öffentlich die Stimme.

Für die Mehrzahl der Parteimitglieder bleibt ihr Kanzler der Einheit unantastbar – trotz seines Eingeständnisses, schwarze Kassen am Schatzmeister der Partei vorbei geführt haben zu lassen. Die Basis verehrt ihn nach wie vor und beschuldigt Heiner Geißler, das Idol öffentlich zu zu demontieren. Deswegen traut sich auch kein anderer gegen das christdemokratische Heiligtum die Stimme zu erheben.

„Wenn Kohl am Dienstag in die Fraktionssitzung gekommen wäre, hätte man ihn mit Applaus begrüßt“, sagt ein Abgeordneter. Als Schäuble bei seiner Erklärung zu der Affäre in der CDU/CSU-Fraktion erstmals den Namen Kohl erwähnt, bricht Beifall aus. Zu dem, was der Parteivorsitzende über die Finanzaffäre zu sagen hatte, gab es keine Wortmeldungen, keine Fragen. Mehr als die offizielle Erklärung des Ehrenvorsitzenden wollte offensichtlich keiner hören.

Selbst jene, die fürchten „er gab nur das zu, was er zugeben musste“ hielten den Mund. Ihre Angst, dass Kohls Eingeständis nur der Gipfel des Eisberges sein könnte, behalten sie lieber für sich. Soviel Stummheit befördert die Phantasie einfacher Parlamentarier: „Es gibt doch kaum einen aus der aktuellen Führung, der nicht nah an Kohl dran war.“

Das System Kohl funktioniert weiter perfekt – über die Amtszeit des ehemaligen Kanzlers und Parteivorsitzenden hinaus. „Ich kann Menschen an meine Person und meine Überzeugung heranführen und an sie binden“, hat Kohl einmal von sich gesagt und mit seiner intensiven Kontaktpflege bis in die kleinsten Kreisverbände hinein Abhängigkeiten geschaffen.

Wer bei den Christdemokraten in den 25 Jahren der Ära Kohl etwas werden wollte, wusste, er muss sich beugen. Wer schon etwas geworden war, wusste, wem er verpflichtet war. Und dann fiel dem Kanzler, der so kleinbürgerlich daherkam wie das Gros seiner Wähler, die deutsche Einheit noch wie ein Geschenk des Himmels zu.

All das wirkt bis heute nach. Wie begeisterte Teenager verzeiht die Mehrzahl der Christdemokraten der Ikone alles. Kohl ist nach wie vor die CDU. Die CDU ist Kohl. Sie haben ihm nie angekreidet, dass er nicht Platz für Schäuble gemacht hatte, nachdem klar war, dass mit ihm keine Wahl mehr zu gewinnen sei. Jetzt sehen sie es ihm nach, dass er mit seinen finanziellen Machenschaften nicht nur der CDU einen enormen politischen Schaden zugefügt, sondern die Partei möglicherweise in einen finanziellen Ruin geführt hat. Wie die Lemminge rennen sie mit ihm ins Unglück.

Jene, die die Gefahr erkennen, wagen es nicht, den Mund aufzumachen. Der „Königsmord“ würde ihnen sofort auf die Stirn gebrannt. Hilflosigkeit macht sich breit: Würde der innerparteiliche Druck so groß, dass alle wirklich alles sagen, was sie wissen, „könnte uns der Supergau“ drohen, fürchtet ein langjähriges Parteimitglied. Zwinge man Kohl, den Ehrenvorsitz dranzugeben, so raunzt ein Landespolitiker, „haben wir 100.000 Parteiaustritte“.

Auch der neue Parteivorsitzende sieht die Gefahr: „Unsere Anhänger würden uns verfluchen, wenn wir über Kohl schlecht reden würden“, sagte er in der Fraktion.

Die CDU hat sich von ihrem ehemaligen Parteivorsitzenden nicht emanzipiert, als es möglich war. Zum Beispiel nach der verlorenen Bundestagswahl 1998. So ist und bleibt der Mythos Kohl ein riesiges Problem auch für die neue Parteiführung. Steht sie weiter loyal zu dem „schwarzen Riesen“, setzt sie sich des Verdacht der Mitwisserschaft aus, distanziert sie sich zu sehr von ihm, verprellt sie die Basis. „Wir zahlen heute die Zeche für 25 schöne Jahre, erkauft mit den Schattenseiten des Systems Kohl“, bilanziert ein Christdemokrat. Karin Nink, Berlin

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