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Attentat von HanauWer gedenken will, soll aufklären

Gastkommentar von Armin Kurtović

Am Jahrestag des Attentats von Hanau am 19.2. wollen Politiker auf dem Friedhof der Opfer gedenken. Der Vater des getöteten Hamza Kurtović ist dagegen.

Erinnerung an die Opfer des Hanauer Anschlags am 19. Februar 2023 Foto: Cigdem Ucuncu/NarPhotos/laif

I n Franken, wo ich groß geworden bin, hier in Ha­nau, und überall gilt: Die Ruhe der Toten ist zu respektieren, die Störung der Totenruhe ist eine Straftat.

Am 19. Februar wird es vier Jahre her sein, dass unser Sohn, ein fröhlicher, hilfsbereiter und bei Freun­den wie Arbeitskollegen sehr geschätzter junger Mann, mein Hamza, von einem rassistischen Mörder nur deshalb ermordet wurde, weil dieser Rassist meinen Sohn und die anderen acht Opfer für Untermenschen hielt, die man töten muss.

Tausende Menschen, hier aus Hanau und von überall, in Deutschland und international, haben ihre Anteilnahme und ihre Unterstützung bekundet. Das war und das bleibt für unsere Familie unendlich wertvoll. Nicht selten, wenn wir ans Grab kommen, liegen dort Blumen. Oder wildfremde Menschen bekunden Anteilnahme als Menschen mit Mitgefühl, für das ge­raubte junge Leben und auch für die Angehörigen. Das berührt sehr.

Unsere Trauer, unser Leid bleiben groß, weil es neben wunderbaren Menschen aus Hanau und anderswo auch solche gibt, die eine ganz andere, eine eigene Agenda verfol­gen. Diese Agenda hat wenig bis nichts mit dem schrecklichen Tod dieser jungen Menschen zu tun, sondern viel bis alles damit, die eigene Haut zu retten, die eigene, schreckliche Verantwortung zu vertuschen.

In Deutschland holt man für jedwede öffentliche Bekundung an einem Grab selbstverständlich das Einverständnis der Familie ein, bevor man dazu Einladungen verschickt. Für den Oberbürgermeister von Hanau gilt das nicht.

Oberbürgermeister verschickt Einladungen

Claus Kaminsky wusste seit Langem, dass einige Angehörige mit einer Gedenkveranstaltung von Politikern auf dem Friedhof Probleme haben. Dennoch hat er am 1. Februar offiziell für den 19. Februar zum „stillen Gedenken“ auf dem Hanauer Hauptfriedhof Einladungen verschickt, an Vertreter von Stadt, Land und Bund und auch an uns, die Angehörigen der Ermordeten. Die Zustimmung von mir und meiner Familie dazu hatte er nicht.

Wie weit darf jemand gehen, wie weit dürfen Gefühle einer trauernden Familie, und das ausgerechnet an einem ohnehin schweren Jahrestag der Ermordung des eigenen Kindes, zertrampelt werden?

Was wäre jetzt zu tun? Soll die Familie in stillem Protest das Grab schützen vor jemandem, der nicht den Respekt aufbringt, die Toten einfach ruhen zu lassen, und der das Gedenken auch noch am Friedhof inszeniert?

Soll die Stadtgesell­schaft und sollen alle anderen, denen die Totenruhe wichtig ist, nun um Unterstützung gebeten werden? Unterstützung, um zu verhindern, dass die Toten, die sich nicht mehr wehren können, für eine Inszenierung missbraucht werden? Können die vielen anständigen Leute aus der Politik dem Mann Einhalt gebieten, der den Respekt vor den Toten so klar vermissen lässt?

Zwei der Opfer könnten noch leben

Es gibt drängende Fragen – die Fragen, die der OB von Hanau nicht hören will. Eine davon ist die Frage, warum der Notausgang der Arena Bar, in der zwei der Opfer des Attentats, darunter mein Sohn, erschossen wurden, verschlossen war. Im Abschlussbericht des Hessischen Land­tags steht, dass die Stadt Hanau ihre Fürsorgepflicht vernachlässigt hat. Sie hat im Vorfeld des Attentats zahlreiche Hinweise auf den stets verschlossen gehaltenen Notausgang der Arena Bar ignoriert. Das Londoner Institut Forensic Architecture kommt zu dem Ergebnis, dass zwei der Opfer noch leben könnten, wäre der Notausgang nicht zugesperrt gewesen. Weil die Gäste der Bar wussten, dass die Tür immer verschlossen ist, versuchten sie sich anders zu retten, vergeb­lich. Man kann das grausam auf dem Überwachungsvideo der Kneipe sehen.

Der OB kann das nicht vertuschen, seine Behörde wusste um den versperrten Notausgang, lange. Er trägt Mitverantwortung für den Tod dieser jungen Leute, auch unseres Soh­nes.

Ist es zu viel verlangt, wenn wir an diesem Tag der schweren Trauer erwarten, dass nicht ausgerechnet Claus Kaminsky oder andere „Offizielle“ am Grab unseres Sohnes erscheinen? Wir haben das Recht auf Trauer, ohne Inszenierung.

Es gibt andere Formen, der Toten zu gedenken. Die von allen wichtigste wäre: Endlich auch die Fehler von Behörden und Polizei aufzuklären, zuzugeben und nicht länger zu vertu­schen. Das wäre würdig, respektvoll und den Toten angemessen.

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15 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Kaminsky ist meines Wissens in der Tat direkt nach dem Attentat eher eine positive Ausnahme gewesen wie Politiker:innen mit derartigen Ausnahmesituationen umgehen können.

    Aber vielleicht habe auch ich, nicht nicht weit von Hanau wohnend, die Folgejahre des Terroranschlags nur unzureichend verfolgt.

    Liebe taz'ler:innen: gibt's was Neues zum abscheulichen Verhalten des Tätervaters? Hierzu taz in 2023:

    taz.de/Ausreisefor...tschland/!5941454/

    Der Kerl war übrigens vor dem Anschlag den Behörden bekannt, weil er abstruse schriftliche Eingaben an die Stadt Hanau gemacht hatte.

    Letzte Ergänzung zum Fall. Die Ermittlungen hatten ergeben, dass der rechtsextrem motivierte Täter zwei Tage vor seiner Tat diverse AfD-Webseiten angesurft hatt eauf dem später untersuchten PC/Notebook.

    Ebenso wie der Idar-Oberstein-Tankstellen-Killer (während der Pandemie) ein Höcke-Fan war. Von Stefan E. (Lübcke Mörder) und dessen AfD-Bezügen brauchen wir gar nicht erst wieder anfangen ...

    Sowas kommt von sowas her.

  • Die Angehörigen haben ja Zivilklage auf Schadenersatz gegen das Land Hessen wegen des Versagens der Behörden eingereicht. Ab dem Zeitpunkt ist es dann natürlich kein Wunder wenn selbst schmallippige Schuldeingeständnisse ausbleiben da diese sonst vor Gericht direkt verwertet werden könnten. Es geht halt auch hier um Geld. Ob das der angestrebten Aufklärung zuträglich ist, wage ich zu bezweifeln.

  • Das Vorgehen der hessischen Behörden ist (auch) in diesem Fall eine Beleidigung der Opfer. Ich weiß nicht, wie viele der Opfer auf dem Hauptfriedhof begraben sind, wie viele der Familien einer zentralen Gedenkveranstaltung zustimmten und wie viele explizit nicht.



    Viel verstörender als den verschlossenen Notausgang (die Verantwortung dafür liegt meines Erachtens primär beim Betreiber der Bar), fand ich den nicht erreichbaren, unterbesetzten Notruf.

    Frage: Was passiert, wenn ein Polizeipräsident die Umsetzung eines Erlasses zur Zentralisierung der Notrufe über 7 Jahre ignoriert und eigenmächtig entscheidet, dass für eine 100.000 Einwohner-Stadt zwei Notrufleitungen ausreichen ? Die Nichterreichbarkeit, aus finanziellen Überlegungen beschlossen, kostete mutmaßlich Menschenleben.



    Antwort: er wird zum Landespolizeipräsidenten befördert

    19feb-hanau.org/20...nisationsversagen/

    Zufall ? Ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes ist anwesend, als in einem Internet-Café ein Mensch hingerichtet wird. Konsequenz: die Akteneinsicht wird für 120 Jahre gesperrt.



    Frankfurter Polizisten geben die geschützten Meldedaten einer Journalistin an Rechtsradikale weiter und betreiben einen "Nazi-Chat". Nachdem dies ausflog, werden sie vom Dienst suspendiert, sie erhalten nunmehr seit vier Jahren weiterhin ihre vollen Gehälter und das Gericht weigert sich Anklage gegen sie zu erheben. Hessen - Stahlhelmfraktion - "jüdische Vermächtnisse" ...

  • In diesem Fall wurden viele Fehler begangen. Vor allem in der Nachbetrachtung. Lebend in der Nähe Hanaus habe ich mitbekommen, dass Kaminsky sehr aktiv war, als es um Unterstützung der Familien ging.



    Ich bin mir nicht sicher ob er in diesem Fall zurecht angegriffen wird.

  • Ich stimme mit den Argumentationsrichtungen des Artikels nicht vollständig überein. Was ich völlig teile ist die Auffassung, dass die Angehörigen Herrin des Verfahrens sind, ihr Einverständnis ist, auch soweit es sich bei der unmittelbaren Umgebung einer Grabstelle um öff. Grund handelt, einzuholen bzw eine Versagung zwingend zu beachten. Im Übrigen zeigt zumindest mir der Artikel, welches Ansehen Politiker, im Mittel mE zu Recht, haben, und darüber sollten sie gründlich nachdenken; auch diejenigen, die im Grunde angetreten sind, um dieses Ansehen zum Positiven zu ändern.

  • Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen.

    Es ist eine Schande für uns und unser Land. Ich schäme mich für unsere Politiker und unsere Behörden die ihren Worten keine Taten folgen lassen.



    Man verschweigt, vertuscht, verschleppt, schwärzt Akten, vernichtet Beweise und Dokumente. Verhindert die Aufklärung.

    Angela Merkel zum Gedenken an die Opfer des NSU:

    "Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Daran arbeiten alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck. Das ist wichtig genug, es würde aber noch nicht reichen. Denn es geht auch darum, alles in den Möglichkeiten unseres Rechtsstaates Stehende zu tun, damit sich so etwas nie wiederholen kann. "

    Es ist eine Schande

  • Störung der Totenruhe ist im deutschen Strafgesetzbuch recht eindeutig definiert - und es ist aller Wahrscheinlichkeit nicht anzunehmen, daß der Herr Oberbürgermeister vorhat, die dort aufgeführten Tatbestandsmerkmale zu erfüllen.

  • Was ist "Störung der Totenruhe"?

    § 168 Störung der Totenruhe



    (1) Wer unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten den Körper oder Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen, eine tote Leibesfrucht, Teile einer solchen oder die Asche eines verstorbenen Menschen wegnimmt oder wer daran beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.



    (2) Ebenso wird bestraft, wer eine Aufbahrungsstätte, Beisetzungsstätte oder öffentliche Totengedenkstätte zerstört oder beschädigt oder wer dort beschimpfenden Unfug verübt.



    (3) Der Versuch ist strafbar.

    Ich gehe davon aus das Herr Kaminsky die Ruhe der Toten nicht stören wird.

    Es bleibt die Frage, ob er politischen Nutzen aus der Situation ziehen und auf der Welle gegen rechts reiten will?



    Oder ist es ihm doch ernst mit der Trauer?

    Ersteres wäre dann doch zumindest Unfug und der Friedhof ist dafür nicht der geeignete Ort.

    Letzteres setzt dann, meiner Meinung nach, doch ein persönliches Gespräch mit den Angehörigen voraus.

    Besonders durchdacht ist diese Aktion nicht. Aber möglicherweise stellt er sich dann doch einem persönlichen Gespräch.

    Gruß vom Mondlicht

    • @Moonlight:

      hoffen wir das es ihm nicht verhilft und eher zu seiner Abwahl bei der nächsten Wahl führt...

  • Schwer gestört, unstrittig psychisch krank ....



    Der Mann hat Wahnvorstellungen, hört Stimmen und wird von fremden Mächten mit Stimmen belästigt einer von vielen, vielen.

    Dieser wurde zum Amokläufer... hinterlässt eine unsagbare Blutspur mit 9 ermordeteten Menschen und und tötet anschließend seine kranke Mutter und sich selbst.

    Schuldvorwürfe, um Schuldvorwürfe...wie immer im Nachhinein wissen immer alle was schiefgelaufen ist, wo die Versager sitzen.

    Was gesagt werden müsste, was nicht gesagt wird...dieser Amoklauf war deshalb so tötlich...



    Ein gut ausgebildeter " Sportschütze",



    Ein mit Präzision Waffen ausgerüsteter " Sportschütze"

    Diese Frage steht im Raum....braucht die Gesellschaft so was ! Braucht die Gesellschaft " Sportschützen" mit Mordwaffen im trauten Heim ?

    Meine Meinung...wer schießen als Sport betrachtet und ausüben will...kann das mit Luftgewehren ausüben.

    • @Peace85:

      Schusswaffen zB im s.g. Sport gehören vollständig verboten und aus dem Verkehr gezogen. Diese Art von Besitz und Gebrauch ist nicht demokratische Nischen-Freiheit, sondern behandlungsbedürftig.

    • @Peace85:

      Das war kein Amoklauf. Das war ein Terroranschlag.

  • "Endlich auch die Fehler von Behörden und Polizei aufzuklären, zuzugeben und nicht länger zu vertu­schen. Das wäre würdig, respektvoll und den Toten angemessen."

    Das sollte man dann wohl auch den übergeordneten Behörden und Gremien ins Hausaufgabenheft schreiben.

    • @Bolzkopf:

      Entsprechende Berichte gibt es, nur kommen die wohl aus Sicht der Hinterbliebenen nicht zu einem genehmen Ergebnis.

  • Diese Form von "Politik machen" ist Missbrauch reinsten Wassers.



    Wenn die Familie tatsächlich, wie im Artikel erwähnt, nicht zugestimmt hat, dann ist das nicht nur Missbrauch der Familie und des Opfers, sondern geradezu unverschämt.

    Macht der Bürgermeister das immer so? Oder nur im "Superwahljahr"? Oder nicht bei anderen Familien?

    Keine Ahnung, aber der Typ sollte sich schnellstens entschuldigen und seine Aktion (die Einladung) rückgängig machen!