piwik no script img

Attentat auf Cristina Kirchner„Der Hass bleibt draußen“

In Argentiniens gehen regierungsnahe Menschen für Cristina Kirchner auf die Straße. Oppositionelle sind kaum unter den Demonstrierenden zu finden.

„Treue zu Cristina“: Fans der argentinischen Vizepräsidentin gehen auf die Straße Foto: Rodrigo Abd/dpa

Buenos Aires taz | In Argentiniens haben am Freitag landesweit tausende Menschen gegen das Attentat auf Cristina Kirchner demonstriert. Vor allem regierungsnahe Parteien, Gewerkschaften und soziale Organisationen mobilisierten ihre Mitglieder. In der Hauptstadt Buenos Aires waren sie in mehreren Kolonnen waren durch die Straßen auf die Plaza de Mayo vor den Präsidentenpalast gezogen.

„Angesichts des Mordversuchs gegen die wichtigste Politikerin des Landes, kann niemand, der die Republik verteidigt, schweigen oder seine ideologischen Differenzen über die einmütige Ablehnung stellen“, heißt es in einer auf der Plaza verlesenen Erklärung. Sie endet mit einem Aufruf zur nationalen Einheit, „aber nicht um jeden Preis: der Hass bleibt draußen.

„Hass“ war das am meisten zu hörende Wort. „Hoffentlich ist das Attentat ein Wendepunkt, um die Kultur des Hasses zu überwinden“, sagt auch Gladys Mires, die aus der Provinz Buenos Aires in die Hauptstadt gekommen war. Immer wieder habe sie die Bilder vor Augen, die im Fernsehen gezeigt wurden. „Gestern war es Cristina, heute kann es jemanden von uns treffen“, so die 45-jährige Grundschullehrerin.

Am Abend zuvor war die Vizepräsidentin und ehemalige Präsidentin Cristina Kirchner nur knapp einem Attentat entgangen, als eine Person mit einer geladenen Pistole aus unmittelbarer Nähe auf sie zielte und abdrückte. Da sich kein Schuss löste, blieb die 69-jährige Politikerin unverletzt. Die Tat hatte parteiübergreifend Entsetzen und Ablehnung ausgelöst.

Für die einen Heilige, für die anderen korrupt

Oppositionelle Parteien waren dennoch nicht auf den Straßen auszumachen und Einzelpersonen in der Minderheit. Wie etwa Madlén Grunski, die an der Ecke der beiden Avenidas Las Heras und Pueyrredón überlegt, zwischen welchen Blöcken sie mitmarschieren will. „Ich habe Cristina nie gewählt, werde es nie tun und hoffe, dass die Justiz sie wegen Korruption ins Gefängnis steckt“, sagt die 48-jährige Besitzerin eines Bioladens im Barrio Norte. „Das ist ein Anschlag auf unsere Demokratie. Deshalb gehe ich auf die Straße“, sagt sie und nützt den Abstand zwischen zwei Blöcken.

Gegen Kirchner läuft gegenwärtig ein Korruptionsprozess. Erst vor wenigen Tagen hatte die Staatsanwaltschaft zwölf Jahre Haft und eine lebenslange Sperre für öffentliche Ämter gegen Kirchner gefordert. Kirchner – von 2007 bis 2015 Präsidentin – bestreitet die Vorwürfe.

Das Attentat ereignete sich im Stadtteil Recoleta von Buenos Aires während Kirchner zu ihrer Wohnung zurückkehrte und von einer Menschenmenge begrüßt wurde. Der Angreifer war von Kirchner-Anhängern überwältigt und der Polizei übergeben worden. Bei dem mutmaßlichen Täter handele es sich um einen 35-jährigen Straßenverkäufer aus Brasilien, der seit 1998 in Argentinien lebe, hieß es aus dem Sicherheitsministerium. Motiv und Hintergründe der Tat seien noch unklar. Ermittelt werde in alle Richtungen.

Bereits die Forderung nach einer Haftstrafe für Kirchner hatte die ohnehin latente Polarisierung der Gesellschaft wieder belebt. Das Attentat hat sie über Nacht kräftig verstärkt. „Das politische Klima in Argentinien ist vergiftet, der Graben ist unüberwindbar tief“, sagt der aus Venezuela stammende Rubén Valarone, der als Lieferant jobbt. Mit der Warmhaltebox auf dem Fahrrad hält er Ausschau nach einer Lücke im Demozug.

Für die einen sei Cristina eine Heilige, die unschuldig von der Justiz, den Rechten und den Medien verfolgt und ohne Wenn und Aber verteidigt werden muss. Für die anderen sei sie eine der korruptesten Politikerinnen, die längst eingesperrt gehöre. „Beide Seiten werfen sich vor, den Hass zu schüren. Verständigung? Unmöglich“, sagt Valarone noch schnell und sprintet mit Fahrrad und Lieferung auf die andere Straßenseite.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!